Traditionelle Wirtshäuser:Urgestein neben der Kirche

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Der Humplbräu steht seit fast 400 Jahren mitten in der Wolfratshauser Altstadt. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der Humplbräu war die letzte Brauerei in Wolfratshausen und hat schon dem Dreißigjährigen Krieg getrotzt. Seit 1912 ist er in der Hand der Familie Fagner. Oskar Maria Graf hat dem Lokal eine Erzählung gewidmet, Herbert Achternbusch hatte dort einen Stammtisch.

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Die Gemäuer des Humplbräu in Wolfratshausen stecken voller Geschichten. Schließlich gehört das Haus zu den ältesten in der Stadt. Erstmals urkundlich erwähnt wurde es im Kriegsjahr 1619, als es gemeinsam mit der benachbarten Kirche St. Andreas abbrannte. Im Jahr darauf erwarb der Brauer Hans Humpl das wieder errichtete Anwesen, das bis heute seinen Namen trägt. 50 Jahre lang betrieb er dort eine Brauerei und trotzte auch den Widrigkeiten des Dreißigjährigen Krieges: Als die Schweden 1632 in Wolfratshausen einfielen, geriet das Haus erneut in Brand, Humpl soll es in wenigen Monaten wieder aufgebaut haben.

Von den zu Hochzeiten insgesamt 13 Brauerein, die es in der Loisachstadt einmal gab, war der "Humpl" die letzte, die der Konkurrenz der Münchner Großbetriebe stand hielt: Bis 1909 wurde dort Bier hergestellt. Drei Jahre später, am 29. Februar 1912, erwarb Hans Fagner das Anwesen im Obermarkt. Seitdem ist es in der Hand der Wolfratshauser Wirtsfamilie, derzeit im Übergang von der vierten zur fünften Generation: Sein Urenkel Otmar Fagner steht dort heute gemeinsam mit Sohn Benedikt in der Küche.

Um die Zeit der Übernahme muss die Geschichte gespielt haben, die den Humplbräu auch zu einem literarischen Schauplatz gemacht hat: Oskar Maria Graf hat das Wirtshaus in seiner Erzählung "Die Firmung" verewigt, in der er mit dem Blick des Aufkirchner Bäckersbuben eindringlich ein Weißwurstgelage in der voll besetzten Wirtsstube schildert, an dem er, wegen seines geizigen Paten, nur bedingt teilhaben durfte. "Vollbesetzt sind die meisten Tische gewesen, überall hockten die lustigen Paten mit meinen Schulkameraden vor hochgehäuften Weißwursttellern, und jedes Mannsbild, jeder Bub hat gebampft, daß grad der Saft so herumgespritzt ist", heißt es darin.

Ähnliche Szenen gehören wohl zu den Kindheitserinnerungen von Otmar Fagner, wenn sie sich freilich auch viele Jahre später abgespielt haben. "Beim Humplbräu war eigentlich immer was los", sagt der heute 55-Jährige. Einmal sei ein Stammgast an Fasching mit dem Pferd in die Wirtsstube geritten. Ein anderer, erinnert er sich, habe ein Klavier angeschleppt, das lange in der Gaststube gestanden habe. "Da wurde jeden Tag musiziert, des war a Gaudi." Irgendwann habe der Gast das Piano auf einem Anhänger abgeholt, dann sei es kaputt gegangen und schließlich im Starnberger See versenkt worden.

Wenn es richtig herging, musste Otmar Fagner als Teenager den Schankkellner machen. Dann hat er auch Herbert Achterbusch zahlreiche Halbe gebracht, "an Tisch Vier", wo der Filmemacher stets gesessen sei, mit seinen Schauspielerfreunden Sepp und Annamirl Bierbichler und manchmal auch Barbara Sukowa. Weil man im tiefschwarzen Bayern der 1980er Jahre seine bissige Satiren zum Teil als blasphemisch eingestuft hatte, war Achternbusch nicht bei allen ein gern gesehener Gast. Während seiner Besuche im Lokal sollen einige in der benachbarten Pfarrkirche gebetet haben, der Künstler möge samt seiner obskuren Bagage doch wieder verschwinden.

Der Humplbräu auf einer historischen Postkarte von etwa 1890, aus der Sammlung Gollwitzer. (Foto: Hartmut Pöstges/Sammlung Gollwitzer)

Im Humplbräu aber waren und sind alle willkommen: Parteien, Trachtler, Schützen und der Historische Verein, der dort regelmäßig bei Weißwürsten sein Jahresprogramm vorstellt. Deren Vorsitzende, die Historikerin und Fernsehjournalistin Sybille Krafft, hat der Traditionsgaststätte kürzlich einen Artikel in der Zeitschrift Aviso gewidmet. Darin schwärmt sie nicht nur von der aus den Anfangszeiten erhaltenen Klause mit Marmorsäule und markantem Kreuzgewölbe, sondern auch von den zarten Rindsbackerln, den hausgemachten Würsten und dem Kartoffel-Endiviensalat, die man im "Humpl" serviert.

Es gehört zu den Vorzügen des ältesten Lokals der Stadt, dass sich die Fagners auch kulinarisch auf ihre Familientradition besinnen. So stellt der Senior in der hauseigenen Metzgerei etwa Weiß- und Milz- und Wollwürste selber her. Das Kühlhaus für das Fleisch, das die Köche verarbeiten, steht übrigens noch im Bierkeller aus der Anfangszeit, in dem heute auch die Hacker-Pschorr-Fässer lagern.

Über den drei Gaststuben beherbergt der Humplbräu insgesamt 28 Hotelzimmer, die schon zu Zeiten der Isartalbahn gefragt waren. Heutzutage übernachten dort viele Tagesgäste und Radtouristen, die auf der Route München-Venezia Station machen, erzählt Ursula Fagner, die mit ihrem Mann den Humplbräu betreibt.

Über dem Gasthaus hat bis vor kurzem auch ihre Schwiegermutter Zilla Fagner gewohnt, die Ende Januar im Alter von 83 Jahren gestorben ist. Sie kam einst mit 15 Jahren als "Biermaderl" nach Wolfratshausen, wo sich Ludwig Fagner in sie verliebte. Der Humplbräu, den die beiden seit 1962 betrieben, sei ihr "Wohnzimmer" gewesen, sagt Otmar Fagner über seine Mutter, die sich bis in ihre alten Tage noch gerne um die Gäste gekümmert hat. "Sie hätte ein Buch schreiben können mit Wirtshausgeschichten", sagt ihr Enkel Benedikt.

Als seine Eltern noch Wirte waren, habe man oft zwei Tische zum Stammtisch zusammenschieben müssen, sagt Otmar Fagner. "Und auch das hat nicht gereicht." Früher seien die Leute länger geblieben und hätten mehr getrunken und gegessen als heute, sagt seine Frau Ursula. In den vergangenen zwei Jahren habe es einen "ganz klaren Abwärtstrend" gegeben, berichtet sie. "Früher war das Wirtshaus nach dem Gottesdienst gesteckt voll." Zuletzt aber hätten sich die Kirchgänger nach der Messe in alle Himmelsrichtungen verstreut. Der Sonntagmittag, einst ihr Hauptgeschäft, habe sich am Ende nicht mehr gelohnt. So habe man den Sonntag nach dem Montag zum zweiten Ruhetag gemacht.

Otmar Fagner zählt die Widrigkeiten auf, denen der Humplbräu in der jüngsten Geschichte ausgesetzt war: das Rauchverbot, das die Stammtischkultur beendet habe; die Einbahnstraßenregelung im Markt, die kaum mehr Ortsfremde an dem im Zentrum der Altstadt gelegenen Lokal vorbeiführe; die Schließung des Isar-Kaufhauses nebenan, das einst die Ehemänner der shoppenden Damen in die Wirtsstube getrieben habe. Und dann Corona. Die Wirtsfamilie nimmt auch diese Unbill gelassen. Das Lokal ist derzeit nur am Samstag auch mittags geöffnet, von Dienstag bis Freitag nur ab 17 Uhr. Die Speisekarte wurde wie fast überall etwas abgespeckt. Damit man bei schönem Wetter genug Leute draußen bedienen kann, haben die Fagners nun einen großen Biergarten im Innenhof installiert. Sie haben sich mit der Maskenpflicht und den freizuhaltenden Tischen arrangiert - und hoffen, dass auch die Pandemie irgendwann nur eine von vielen Geschichten ist, die zu ihrem Wirtshaus gehören.

© SZ vom 10.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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