Süddeutsche Zeitung

Wolfratshausen:Goldesel und Oachkatzlbahn

Lesezeit: 4 min

Den Wolfratshauser Märchenwald gibt es seit 1968. Das Familienunternehmen ist heute längst zum Freizeitpark geworden, für den sich die Betreiber immer wieder neue Attraktionen ausdenken

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Schneewittchen liegt in ihrem Glassarg, um den die sieben Zwerge und ein Königssohn stehen. Sie warten hinter einer Glasscheibe auf jemanden, der einen der beiden Knöpfe drückt: einen für deutsch, einen für englisch. Tut man das, erzählt eine Stimme die Geschichte von Schneewittchen, die den vergifteten Apfel der bösen Königin isst und wie der Prinz sie mit einem Kuss rettet. In den drei Schaufenstern, die das verkürzte Grimm-Märchen illustrieren, geht das Licht an, und die Figuren bewegen sich. Doch die Knöpfe werden nicht gedrückt. Schneewittchen interessiert an diesem Augustnachmittag niemanden im Freizeitpark Märchenwald in Wolfratshausen.

Ganz anders die "Oachkatzlbahn": Vor der Achterbahn hat sich eine lange Schlange gebildet, in der Mütter und Väter ihre Kinder an der Hand halten. Drei Mädchen hüpfen in freudiger Erwartung auf und ab. Oben am Einlass hat Benedikt Wammetsberger, der mit seinem Vollbart, dem Holzohrring und dem schwarzen Kopftuch auf den langen Haaren wie ein Pirat aussieht, die Lage im Griff. "Wenn du zu fest drückst, bleibt die Bahn stehen und fährt eine Viertelstunde nicht mehr", sagt er zu einem Buben, der ungeduldig am Einlassbügel rüttelt. "Dann machen wir ein Foto von dir und zeigen es jedem, der fragt warum." Als der Wagen in Form eines Eichhörnchens mit Nuss im Maul einfährt, fragt er die Insassen: "Wollt ihr noch mal? Dann müsst ihr euch noch mal anstellen." Maximal drei Kinder dürfen sich auf eine der Sitzreihen mit Sicherheitsbügel setzen, da ist Wammetsberger hart. Dafür drückt er ein Auge zu, was die ausgeschilderte Mahnung betrifft, auf der Fahrt nicht zu schreien. Wenn der Achterbahnwagen auf steilen Kurven durch die Wipfel der Kiefern und Fichten rauscht, wird nach Herzenslust gekreischt.

Die Eichhörnchen-Achterbahn ist ein Publikumsmagnet, auf den Franziska Diessl besonders stolz ist. Auf der Achterbahn mitten im Wald könne man sich "wirklich wie ein Eichhörnchen fühlen, das flink durch die Bäume springt", sagt die 31-Jährige, die den Wolfratshauser Märchenwald zusammen mit ihrem Mann Daniel betreibt. Der 41-Jährige arbeitet seit seiner Jugend in dem Park, den sein Großvater und sein Vater 1968 gegründet haben. Anfangs sei es freilich noch anders gewesen, erzählt Franziska Diessl, "ein kleines Märchenidyll". Aber seit 1992 sei praktisch jedes Jahr eine neue Attraktion dazugekommen. "Wir sind immer mehr zum Freizeitpark geworden."

Der Märchenwald Wolfratshausen erstreckt sich über eine Fläche von 40 000 Quadratmetern. Er ist nicht nur einer der ältesten Märchenparks in Bayern, sondern auch einer der größten: 16 Märchenstationen gibt es hier. Darunter nicht nur die Klassiker der Gebrüder Grimm, sondern auch Zwerg Nase von Wilhelm Hauff und eine "Max-und-Moritz-Hütte", die die Lausbubengeschichten von Wilhelm Busch erzählt. Angeordnet sind sie an einem Rundweg um den Park, den Franziska Diessl als "unsere Buggy-Runde" bezeichnet - "für die, die es ruhiger haben wollen". Etwas von dem einstigen Märchenidyll hat also überlebt, freilich nur, bis man zum Huber-Hof kommt: In der großen Hütte singt die Plastikfigur eines Bauern mit kariertem Hemd und Gitarre sein Huber-Hof-Lied zur Melodie von "Old MacDonald had a farm". Um ihn herum steht die Hütte voller Schweine, Kühe, Gänse, Hühner und anderer Tiere, die sich jeweils auf Knopfdruck bewegen und in die Melodie einstimmen - ein gigantisches Crescendo aus Grunzen, Muhen, Gackern: "Ia-ia-ooh!" Für erwachsene Ohren ist das schwer zu ertragen, die Kinder lieben es.

57 Attraktionen listet der Plan des Freizeitparks Märchenwald auf, darunter die Wildsau-Bahn und die Hase-und-Igel-Bahn. Dazu gibt es jede Menge Karussells - vom schwindelerregenden "Blütenzauber" über die "Ballonfahrt" im Wellengang bis zu kleinen, langsameren Gefährten für Kleinkinder. Die Fahrgeschäfte seien nach wie vor beliebt, sagt Daniel Diessl. Der Trend aber gehe immer mehr zu aktiven Spielattraktionen: So gibt es im Märchenwald auch einen Kraxelgarten mit Kletterseilen und zusätzlichen Seniorenfitnessgeräten für die Großeltern, das Rutschen-Paradies und ein "Abenteuer-Spielhaus-Labyrinth". Die Eingangstüren sind extra klein gehalten, "damit die Kinder auch mal etwas besser können als die Erwachsenen", erklärt Diessl.

Die Diessls weisen darauf hin, dass alle Attraktionen, bis auf Speisen und Getränke in den Gastro-Stationen, im Eintrittspreis inbegriffen sind. Erwachsene zahlen 13, Kinder und Senioren 12 Euro. Wer unter dem 85 Zentimeter hohen Hasenohr am Eingang durchpasst, hat freien Eintritt. Der Wolfratshauser Märchenwald ist längst überregional bekannt. Besucher kommen aus allen umliegenden Landkreisen, viele aus München, aber auch Familien aus Österreich und Touristen aus Holland. Im Sommer sehe man auch Araber und Asiaten, sagt Daniel Diessl. An schönen Sommertagen arbeiten etwa 30 Leute in dem Freizeitpark, darunter auch ein Maschinenbau-Ingenieur und ein Elektriker. Benedikt Wammetsberger, der Pirat von der Achterbahn, ist gelernter Schreiner und seit 14 Jahren im Team.

Über Besucherzahlen wollen die Diessls nicht sprechen. Während sie sich durch das Gedränge vor den Fahrgeschäften und die beeindruckenden Reihen von Kinderwagen am Wegrand schieben, betonen sie aber, wie sehr ihr Geschäft vom Wetter in den Sommerferien abhängt. Sie haben selbst einen siebenjährigen Sohn, der gerade mit den Großeltern Ferien macht. "Sommerurlaub mit Mama und Papa gibt's bei uns nicht", sagt Franziska Diessl.

Die Diessls öffnen ihren Märchenwald eine Woche vor Ostern und schließen nach dem Kirchweihsonntag im Oktober. Im Winter entwickeln sie ihre Ideen. "Wir zeichnen sie auf und lassen sie dann von Künstlern gestalten", sagt Franziska Diessl. So ist etwa das "Elsternnest" entstanden, ein Sandkasten unter einer riesigen Figur des Rabenvogels, wo man nach Halbedelsteinen und Katzengold suchen kann. Oder der Schnuller-Baum, in den die Kinder ihre Gummisauger in einer Art ritueller Abschiedszeremonie werfen können. Hier seien schon viele Erinnerungsfotos entstanden, sagt Franziska Diessl.

Zu den neueren Attraktionen zählt auch der sprechende Baum, der drei Märchen erzählt. "Die Leute wollen Fahrgeschäfte", sagt Daniel Diessl. "Aber wir haben die Märchen nicht vergessen." Deshalb werde er die Erzählstationen nach und nach neu gestalten. "Die Figuren haben nach 48 Jahren ihren Zenit überschritten." Den Anfang werde im kommenden Jahr der "gestiefelte Kater" machen. "Das wird einen bleibenden Eindruck hinterlassen", verspricht Franziska Diessl. Etwas aber wird es im Wolfratshauser Märchenwald nie geben: "Alles mit Displays", sagt Daniel Diessl. "Die Kinder sollen hier was erleben und nicht auf einen Bildschirm schauen. Das tun sie daheim sowieso."

Im Märchenwald bleiben die kleinen Besucher dann doch immer wieder vor den Schaukästen stehen und schauen mit offenem Mund auf den Goldesel oder das Reh, während die Lautsprecherstimme "Brüderchen und Schwesterchen" oder "Tischlein deck' dich" erzählt. Oft sind es die erschöpften Eltern, die sie zum Weitergehen überreden wollen. Auf dem Weg zum Ausgang bleiben eine junge Mutter aus München und ihre Freundin aus Erlangen stehen, weil ihre Kinder sich nicht vom "Wolf und den sieben Geißlein" lösen können. Sie ist erstmals seit ihrer Kindheit wieder im Märchenpark, erzählt die Münchnerin. Ob sie die Märchenfiguren damals auch so fasziniert haben? Die junge Frau lächelt. "Eher die Fahrgeschäfte", sagt sie.

Informationen unter maerchenwald-isartal.de

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SZ vom 30.08.2016
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