Geothermie:Wolfratshausen zaudert beim Fernwärmenetz

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Der Eavor-Loop in Gelting soll die Region mit klimaneutraler Wärme versorgen. Ob Wolfratshausen ans Netz geht, bleibt offen. (Foto: Eavor/oh)

Trotz eines Stadtratsbeschlusses zum Beitritt in die klimaneutrale Versorgung über den Geretsrieder Eavor-Loop hat der Verwaltungsrat der Stadtwerke gegen die Planung entschieden – wegen Kosten von 18 Millionen Euro. Das letzte Wort ist nicht gesprochen.

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Mit seiner „Loop“-Technologie will das kanadische Unternehmen Eavor in Geretsried Erdwärme nutzen. Das innovative Verfahren, das per Wasser-Einleitung in 4500 Meter tiefe Erdschichten die Geothermie auch ohne natürliche Heißwasservorkommen nutzbar machen soll, gilt als möglicher Meilenstein für klimaneutrales Heizen und könnte zum „Gamechanger“ werden, wie es das Unternehmen ausdrückt. Der Eavor-Loop soll von der EU gefördert werden und die Region nicht nur mit Strom, sondern auch mit Fernwärme versorgen. Die Geretsrieder Stadtwerke haben dafür die Tochtergesellschaft Isar Loisach Naturwärme GmbH (ILN) gegründet, die mit Eavor im Frühjahr 2024 einen Wärmeliefervertrag geschlossen hat. Die Nachbarstadt Wolfratshausen hatte bereits zwei Jahre zuvor Interesse bekundet, am Fernwärmenetz teilzuhaben. Seitdem ist dort viel über das Thema geredet worden, allerdings, wegen sensibler Vertragsdetails, unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Am Dienstag hat der Wolfratshauser Stadtrat die Frage nach dem Anschluss ans Fernwärmenetz nun erstmals öffentlich erörtert: In einer Sondersitzung erläuterte der Leiter der Stadtwerke Wolfratshausen, Thomas Fritz, auf Antrag von elf Stadtratsmitgliedern den Sachstand. In seinem Vortrag wurde nicht nur deutlich, wie weit die Vorplanungen bereits gediehen sind, sondern auch, dass der Wolfratshauser Einstieg in das klimaneutrale Fernwärmenetz eigentlich wieder auf Eis gelegt wurde. Denn der Verwaltungsrat der Stadtwerke, der die Entscheidung zu treffen hat, hat im Sommer 2024 mehrheitlich gegen eine Beteiligung gestimmt, wegen zu hoher Kosten für die Stadt. Das Gremium, dem neben dem Vorsitzenden Bürgermeister Klaus Heilinglechner (BVW) neun weitere Stadträte aller Fraktionen angehören, könnte diese Entscheidung allerdings noch revidieren: Für kommende Woche hat der Verwaltungsrats der Stadtwerke ebenfalls eine Sondersitzung angesetzt, in dem der Fernwärme-Einstieg erneut zur Diskussion gestellt wird.

Thomas Fritz, Leiter der Stadtwerke, stellte die Pläne im Stadtrat vor. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Wie Fritz in seinem Impulsvortrag darlegte, wird das Thema seit fast drei Jahren intensiv behandelt. Nach einer „unverbindlichen Interessenbekundung“ Anfang 2022 sei der Verwaltungsrat der Stadtwerke im November 2022 ermächtigt worden, weitere Schritte einzuleiten. Man habe das Ingenieurbüro Stefan Sendl aus Peißenberg beauftragt, ein Wärmekataster für die Netzplanung zu erstellen. In „sehr intensivem Kontakt und Datenaustausch“ seien dafür die Wärmeverbrauchzahlen ermittelt worden, von städtischen Liegenschaften, Gewerbebetrieben, Schulen, der Kreisklinik und größeren Hausgemeinschaften. Die Machbarkeitsstudie sei 2023 vorgestellt worden. Das Ergebnis der Analyse: Auf einer Netzlänge von circa 32 Kilometern sollen 429 Anschlüsse geschaffen werden, die meisten davon für Großabnehmer, die damit etwa 64 000 Megawattstunden Wärme pro Jahr beziehen sollen, bei einer thermischen Leistung von rund 32 Megawatt. „Nur in dieser Ausbaustufe lässt sich das wirtschaftlich darstellen“, sagte Fritz. Das Investitionsvolumen für das Wolfratshauser Netz liege insgesamt bei rund 80,8 Millionen Euro.

Für die Stadtwerke sei klar, dass sie dies unmöglich allein stemmen könnten. Deshalb müsse man nicht nur der ILN beitreten, die als Kooperationspartner mit 49 Prozent Anteil die Energie Südbayern GmbH (ESB) gewonnen hat. Für den Aufbau des Fernwärmenetzes, dessen Baukosten über das Bundesförderprogramm „Energieeffiziente Wärmenetze“ (BEW) mit 40 Prozent gefördert werden, sei man auch auf eine Anschubfinanzierung der Stadt für die ersten zehn Jahre angewiesen. Diese bezifferte Fritz mit 16 Millionen Euro, zuzüglich circa zwei Millionen für den „Einkauf“ in die ILN. Der Einstieg in das Fernwärmenetz sei für Wolfratshausen „nur im Rahmen dieser Kooperation darstellbar“, erklärte der Stadtwerke-Chef.

„Das Projekt ist momentan auf Eis gelegt“, sagt Stadtwerke-Chef Fritz

All dies ist nach Fritz’ Ausführungen im Juli 2024 dem Stadtrat dargelegt worden. Dieser habe dann in nicht öffentlicher Sitzung mehrheitlich beschlossen, am Einstieg in das Fernwärmenetz festzuhalten und den für die 18 Millionen Euro Anschubfinanzierung benötigten Kredit zu übernehmen. Für die konkrete Planung des Netzes sei bereits ein Förderbescheid in Höhe von 1,7 Millionen Euro ausgestellt worden, der nach Verlängerung um ein Jahr nun Ende Oktober 2025 auslaufe, sagte Fritz. Um den Zuschuss in Anspruch zu nehmen, müsse die Planung, die etwa sechs bis acht Monate dauere, daher bereits in wenigen Wochen in Auftrag gegeben werden. Der Verwaltungsrat der Stadtwerke habe jedoch nach der betreffenden Stadtratssitzung mehrheitlich entschieden, die weiteren Planungen nicht zu vergeben. „Das Projekt ist also momentan auf Eis gelegt.“

Zur Begründung rekurrierte Fritz einerseits auf die Tatsache, dass die äußeren Wolfratshauser Stadtteile wie Waldram, Weidach und Farchet mit ihren Ein- und Zweifamilienhäusern trotz dichter Besiedelung aus wirtschaftlichen Gründen nicht für die Geothermie-Versorgung infrage kämen, auch bei späterer Verdichtung des Netzes. Zum anderen wies er auf weitere Kosten hin: So sei es sinnvoll, im Zuge des Netzaufbaus gleich auch die dafür fälligen Abwasserleitungen zu sanieren, was für die Stadtwerke mit hohen Investitionen verbunden sei, die über die Gebühren abgefangen werden müssten.

Stefan Sendl erklärte dazu, dass verschiedene Kommunen beim Fernwärmeausbau mit den Sanierungen bestehender Leitungen unterschiedlich umgehen. Diese seien schließlich nicht zwingend überall gleich vorzunehmen, sagte der Ingenieur und plädierte für Augenmaß in der Sache.

„Es wäre eine Schande, diese Möglichkeit nicht zu ergreifen.“

Wie sehr die Frage polarisiert, wurde in einer intensiven Debatte deutlich. Zahlreiche Stadtratsmitglieder sahen im Beschluss ihres Gremiums, am Einstieg ins Fernwärmenetz festzuhalten, einen klaren Auftrag, dem der Verwaltungsrat der Stadtwerke nicht nachgekommen sei. „Wir haben eine Mehrheitsentscheidung im Stadtrat getroffen, und die ist auch von den Kollegen im Gremium der Tochterfirma zu respektieren“, sagte Fritz Meixner (SPD). „Jetzt die Reißleine zu ziehen, ist keine zukunftsweisende Entscheidung für unsere Stadt.“ Diese sei „in der glücklichen Lage, dass vor ihrer Haustür ein bombastisches Erdwärmeprojekt mit Millionen von EU-Geldern gestartet wird“, fand auch Hans-Georg Anders (Grüne). „Es wäre eine Schande, wenn man diese Möglichkeit nicht ergreifen würde.“

Ulrike Krischke (BVW) erklärte, dass bei der Ausschreibung der Planung das Risiko gering sei. Schließlich beginne der Bau des Netzes erst, wenn die Loop-Technik auch erwiesenermaßen funktioniere. Die Geothermie sei aber nicht nur eine Chance für die Stadt, sondern wegen des Klimawandels auch eine Pflicht, betonte sie. „Wenn wir jetzt nicht handeln, wann dann?“

Ihr Fraktionskollege Helmuth Holzheu warnte hingegen vor einem finanziellen Kollaps. Die Anschubfinanzierung bedeute eine jährliche zusätzliche Belastung von mehr als 1,5 Millionen Euro im Verwaltungshaushalt, rechnete er vor. Das könne sich die Stadt angesichts anderer Millionenprojekte wie der Schulsanierung am Hammerschmiedweg schlicht nicht leisten. Ähnlich sah es Zweiter Bürgermeister Günther Eibl (CSU). „Es muss uns bewusst sein, dass wir dann so einen drastischen Sparkurs fahren müssen, dass nur noch Pflichtaufgaben möglich sind“, sagte er.

„Steilvorlage für Unternehmen.“

Auch Richard Kugler und Manfred Fleischer (Wolfratshauser Liste) zeigten sich skeptisch und erklärten, dass eine Beteiligung von Haushalten und Gewerben erst seriös einzuschätzen sei, wenn der konkrete Preis für die bezogene Fernwärme feststehe. Dass dieser jedoch nicht das alleinige Kriterium sei, erklärte Andreas Scharli von der Energiewende Oberland, der für die Stadt derzeit die kommunale Wärmeplanung erstellt. Viele Firmen seien verpflichtet, bis zu einem festgesetzten Zeitpunkt emissionsfrei zu werden, um in ihrer Lieferkette zu bleiben, sagte Scharli. Bei den „großen Fischen“ habe er deshalb überhaupt keine Bedenken in Bezug auf die Akquise. „Wenn Sie sich für dieses Projekt entscheiden, liefern Sie eine Steilvorlage für viele Unternehmen, die sich einen Vorteil verschaffen wollen.“

Wie es nun weitergeht, bleibt vorerst offen. In einem weiteren Antrag hatten die elf Stadtratsmitglieder gefordert, Möglichkeiten zu diskutieren, wie das Wolfratshauser Fernwärmeprojekt doch noch fortgeführt werden könne. Die Debatte wurde dann jedoch auf Anregung Krischkes in den nicht öffentlichen Teil der Sitzung verlegt. Ob der Netzbeitritt nun doch noch geplant wird, wird also frühestens nach der Verwaltungsratssitzung zu erfahren sein.

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