Süddeutsche Zeitung

Wolfratshausen:Ganz ohne Schweinsgalopp

Isura-Madrigalchor singt romantische Chormusik und entlässt das Publikum rechtzeitig zum Fußball

Von Reinhard Szyszka, Wolfratshausen

In einer Stunde alles vorbei - geht das? Der Isura-Madrigalchor wurde nicht müde, seinen Konzertbesuchern zu versichern, er werde am Samstag rechtzeitig zum Anpfiff des EM-Viertelfinales Deutschland-Italien mit dem Konzert fertig sein. Und das, ohne das vorgesehene Programm zu kürzen. Besorgnis kam auf, ob dieser enge Zeitrahmen nicht zu Lasten der Musik gehen würde, und ob die Tempi nicht allzu sehr vom Blick auf die Uhr bestimmt sein würden. Ein anspruchsvolles Konzert lässt sich nicht einfach im Schweinsgalopp durchziehen. Und in der Tat hätte man das Ganze auch etwas entspannter angehen können. Dass ausgerechnet am Konzertabend die deutsche Mannschaft spielen würde, stand erst seit wenigen Tagen fest; die Termine und Anpfiffzeiten der EM aber waren seit Monaten bekannt. Ein Konzertbeginn um 19 Uhr oder um 19.30 Uhr hätte alle Bedenken von vorneherein zerstreut und mehr Ruhe in das Konzert gebracht.

Der Isura-Madrigalchor ist bekannt für die hohe Kunst des A-cappella-Gesangs. Dennoch begann er seinen Auftritt in der Loisachhalle mit Instrumentalbegleitung. Die vier Gesänge für Frauenchor, Harfe und zwei Hörner von Johannes Brahms werden wegen ihrer unkonventionellen Besetzung selten aufgeführt, zählen vielleicht auch nicht zu den ganz großen Gipfelwerken dieses Komponisten. Mit weichem, rundem Hornklang untermalten Rainer Schmitz und Wolfram Sirotek den Gesang der Chordamen, und die perlenden Harfenklänge von Christoph Bielefeld setzten aparte Akzente. Die Sängerinnen folgten flexibel dem ausdrucksstarken Dirigat von Christoph Buxbaum und zeigten die Stärke des Chors: glasklar intonierter Gesang mit vielen Klangfarben und großer dynamischer Bandbreite. Die gemischte Aufstellung, wie sie für diesen Chor typisch ist, eignet sich gerade für romantische Musik besonders gut, weil sie zur Verschmelzung der Stimmen beiträgt. In puncto Textbehandlung und Aussprache hätte man noch mehr machen können, und die Nachsilben gingen manchmal gegen die Instrumente unter. Doch dies sind Winzigkeiten, die den positiven Gesamteindruck nicht ernstlich trüben konnten.

Dann traten die Herren hinzu, und der volle Chor sang das erste Mahler-Stück des Abends: "Urlicht", bekannt aus der Zweiten Sinfonie, für zwei fünfstimmige Chöre gesetzt von Clytus Gottwald. Und hier, im Verbund der Männer- und Frauenstimmen, konnten die Sängerinnen und Sänger ihre volle Stärke ausspielen. Denn das ist der Isura-Madrigalchor: ein gemischter Chor, bewundernswert ausgewogen und homogen. Es ist sicherlich nicht unfair, wenn man den Herren des Chors attestiert, dass sie bei ihren Nummern für Männerchor allein - Franz Schubert und Richard Strauss - dieses Niveau nicht ganz erreichten. Ein Männerchor ist eben nicht ein gemischter Chor, dessen Damen gerade mal pausieren, sondern ein Klangkörper ganz eigener Prägung. Er singt gewissermaßen doppelt a cappella, weil er nicht nur auf instrumentale Unterstützung verzichten muss, sondern auch auf die Ergänzung durch Sopran und Alt.

Den Schwachpunkt des Konzerts bildeten die beiden Lieder von Richard Strauss, von der Sopranistin Magdalena Bielefeld zur Harfenbegleitung ihres Mannes Christoph Bielefeld gesungen. Nicht nur, dass die Lieder ein ausgesprochener Fremdkörper im Programmablauf waren und unnötige Auf- und Abtritte des Chors erforderlich machten: die Sängerin verfügt auch beim besten Willen über keine Strauss-Stimme. Obendrein hatte sie sich zwei sehr bekannte Lieder dieses Komponisten ausgesucht, was den Vergleich mit berufeneren Interpreten geradezu herausfordert. Beim "Ständchen" erfordert die Textpassage "hoch glühn" eine triumphal aufstrahlende Höhe; die recht kleine Sopranstimme Magdalena Bielefelds konnte dem nicht gerecht werden.

Umso besser fügte sich Bielefelds Sopran dann ein beim Mahler-Lied "Ich bin der Welt abhanden gekommen" für 16-stimmigen Chor, wo sich die Stimme der Sängerin bei ihrer kurzen Solo-Passage jubelnd und frei erheben konnte.

Chorleiter Johannes Buxbaum hatte klug daran getan, sich die Höhepunkte - Peter Cornelius und zweimal Mahler - bis zum Schluss aufzusparen. Und bei diesen drei Stücken stimmte wirklich alles. Wunderbar, wie sich bei Cornelius' "Liebe, dir ergeb ich mich" die Männer- und Frauenstimmen die Bälle zuwarfen, aber auch die fahlen Klänge, die das "Grab der Sterblichkeit", von dem der Text spricht, sinnfällig illustrierten. Munter und mitreißend dann Mahlers "Scheiden und Meiden"; man sah die drei Reiter förmlich vor sich, die bei diesem Lied "zum Tore hinausreiten".

Und so wie die Reiter eilten auch die Mitwirkenden und das Publikum nach dem verdienten Schlussapplaus schleunigst "zum Tore hinaus", um pünktlich zum Anpfiff vor den Fernsehgeräten zu sitzen. Der Chor hatte es tatsächlich geschafft - ganz ohne Schweinsgalopp.

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SZ vom 04.07.2016
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