Wolfratshausen und München haben das gleiche Problem: In beiden Städten gibt es nach den Kardinälen Michael von Faulhaber und Joseph Wendel benannte Straßen – und eine Debatte darüber, ob diese Namen nicht besser von den Schildern verschwinden sollen. In der Landeshauptstadt hat eine Expertenkommission die Umbenennung empfohlen, in der Flößerstadt reagiert man darauf zurückhaltend. „Wir werden zunächst abwarten, welche Entscheidung der Stadtrat in München trifft“, sagt Bürgermeister Klaus Heilinglechner (BVW) auf Nachfrage. Man werde versuchen, an den Bericht und die Empfehlungen der Expertenkommission zu kommen, um das Thema im Stadtrat abschließend zu behandeln.
Die beiden geistlichen Würdenträger gelten wegen ihrer Haltung zum Nationalsozialismus und zu Missbrauchsskandalen innerhalb der katholischen Kirche als kritikwürdig. Das Expertengremium in München überprüft bereits seit 2019 womöglich historisch belastete Straßennamen. Was dessen Mitglieder empfehlen, bestätigten Rathauskreise der SZ. Ob wirklich umbenannt wird, hat allerdings der Stadtrat politisch zu entscheiden.
Der Wolfratshauser Stadtrat beauftragte den Archivar, die Münchner Erkenntnisse zu beobachten
Für Wolfratshausen ist der Vorgang relevant, weil der Stadtrat dort im September überein kam, sein Vorgehen an München zu koppeln. Das Gremium beauftragte den Wolfratshauser Archivar Simon Kalleder, die Untersuchungsergebnisse in der Landeshauptstadt zu beobachten und auch die Erkenntnisse in Würzburg zu prüfen, wo der Kardinal-Faulhaber-Platz in Theaterplatz umbenannt wurde. Bei belastbaren Befunden sollte sich der Stadtrat erneut mit der Frage auseinandersetzen.

Dort dürfte die Debatte weiter kontrovers bleiben. Assunta Tammelleo (Grüne) sieht akuten Handlungsbedarf. „Es kann nicht im Sinne einer demokratischen Gesellschaft sein, einfach gar nichts zu machen“, sagt sie. Kardinal Faulhaber habe mit Nazi-Funktionären freundschaftlichen Umgang gepflegt. Sie frage sich, wie Wolfratshausen in der Nachkriegszeit eine Straße nach dem Geistlichen habe benennen können, so Tammelleo. Aus ihrer Sicht stehe der jetzige Stadtrat auch in der Verantwortung der damaligen Politiker. Der Archivar sei aufgefordert, die vorliegenden Untersuchungsergebnisse zu sammeln. Auf dieser Basis müsse der Stadtrat erneut die Umbenennungsfrage debattieren. Womöglich könne auch eine ergänzende Erläuterungstafel inklusive QR-Code ausreichend sein.
Das könnte, so deutet es Manfred Menke (SPD) an, ein guter Kompromiss für alle Beteiligten sein. Die Wolfratshauser Fraktionsgemeinschaft seiner Partei mit der FDP hatte dieses Jahr den Antrag im Stadtrat eingebracht, sich kritisch mit den Kardinälen Faulhaber und Wendel auseinanderzusetzen.
Das Verhalten von Kardinal Faulhaber unter dem Nazi-Regime war ambivalent
Als Monarchist und Nationalkonservativer zählte Faulhaber zu den Gegnern der Weimarer Republik. Sein Verhalten unter dem Nazi-Regime war ambivalent. Einerseits lobte der Geistliche Adolf Hitler und traf sich mit dem Diktator auf dem Obersalzberg. Er schwieg zu Boykottaufrufen gegen jüdische Geschäfte, protestierte aber gegen das Euthanasieprogramm. In den 1920er-Jahren predigte Faulhaber gegen Antisemitismus. Wendel war als Münchner Erzbischof ab 1952 mit Missbrauchsfällen konfrontiert.
Stadtrat Fleischer warnt, der Mehrheit eine Minderheitsmeinung überzustülpen
Von einer „nicht vordringlichen Aufgabe“ für die Kommunalpolitik spricht weiterhin Manfred Fleischer (Wolfratshauser Liste). Im Stadtteil Waldram sei er oft unterwegs, spreche mit vielen Menschen, erzählt er. Aus seiner Sicht gelte es zuerst zu fragen, was die dortigen Bewohner wollten. Persönlich sehe er nicht, dass eine Umbenennung gewünscht sei. Er habe vielmehr den Eindruck, dass eine Minderheit der Mehrheit etwas überstülpen wolle.
In der Geschichte Waldrams sind Straßenumbenennungen nichts Ungewöhnliches. Erst errichteten die Nazis dort eine Siedlung für Zwangsarbeiter der nahen Sprengstoff- und Munitionsfabriken, ehe es nach 1945 zu einem Lager für jüdische Displaced Persons wurde. Schließlich übernahm das katholische Siedlungswerk das Gelände, um kinderreiche katholische Familien von Heimatvertriebenen anzusiedeln. Aus Föhrenwald wurde Waldram. Die Straßennamen änderten sich infolgedessen dreimal.
Daran erinnert Wolfgang Saal. Er ist Vorsitzender der Siedlungsgemeinschaft Waldram, die sich 1956 als Interessenvertretung der Bewohner des Stadtteils gründete. Dass sich Wolfratshausen in einem sehr komplexen Sachverhalt Zeit lasse, finde er grundsätzlich positiv, sagt er. Niemand sollte aus seiner persönlichen Sicht den Stab über Persönlichkeiten brechen, wenn noch nicht alle Facetten offen zu sehen seien. Gebe es aber stark belastende Erkenntnisse, müsse die Politik den Mut zur Konsequenz finden. Gleichzeitig warnt Saal davor, Ängste vor den Belastungen und den Kosten einer möglichen Umbenennung zu schüren.