Wolfratshausen:"Erst einmal blocken sie ab"

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Claudia Sommer setzt Ängsten Lieblingslieder entgegen

Interview Von Stephanie Schwaderer

Als Sängerin steht Claudia Sommer solo und mit großen Orchestern auf der Bühne, mal im Trio, mal im Quartett. Jeden Dienstagabend, wenn sie mit Kindern und Jugendlichen des Kinderheims Inselhaus in Lengenwies bei Beuerberg musiziert, ist nicht nur ihre Stimme gefragt. Ebenso nötig sind Fingerspitzengefühl, Flexibilität und viel positive Energie.

SZ: Warum fällt es vielen Inselhaus-Kindern schwer zu singen?

Claudia Sommer: Die erste Reaktion ist oft: "Nein! Das mag ich nicht. Das mache ich nicht." Dahinter steckt die Angst zu versagen. Wenn man ehrlich ist: Auch als Erwachsener hat man Hemmungen, sich hinzustellen und zu singen. Die meisten Heimkinder haben sehr wenig Selbstvertrauen, deshalb blocken sie erst einmal ab. Das darf man nicht persönlich nehmen. In der allerersten Stunde saßen alle mit verschränkten Armen da und haben gesagt: "Wir singen nicht."

Wie haben Sie reagiert?

Das war lustig. Ich habe gesagt: "Heute ist singen verboten! Wehe, einer singt." Und dann habe ich den ersten gefragt, wer sein Lieblingssänger sei. Und er hat Michael Jackson gesagt. Also habe ich "Beat it" angestimmt. Der zweite sagte ACDC, und zum Glück ist mir auch dazu ein Stück eingefallen. So ging es die Runde durch. Und die Kinder haben gemerkt: Das ist keine doofe Lehrerin, die uns "Hoch auf dem gelben Wagen" beibringen will, die macht etwas, das uns gefällt.

Gibt es Stunden, in denen keiner singt?

Nur zweimal in fünf Jahren habe ich abgebrochen. Da war einfach zu viel Aufgestautes im Raum: Wut, Aggression. Die Kinder kommen hier ja nicht unbelastet rein. Manchmal haben sie richtig Streit miteinander. Dann kann man nicht verlangen, dass sie sich hinsetzen und mit einer Stimme singen.

In Kürze werden voraussichtlich 14 minderjährige Flüchtlingskinder im Inselhaus leben. Wie werden Sie die einbeziehen?

Da muss ich mir noch etwas einfallen lassen, ich kann ihnen ja kein Textblatt in die Hand drücken. Es gibt Lieder, die nur mit Lauten arbeiten. Aber ich werde sicherlich auch mehr Instrumente einsetzen. Idealerweise würde ich mir noch einen Trommler dazuholen.

Ist Singen heilsam?

Singen geht in die Seele, wenn man es zulässt. Ich habe keine therapeutische Ausbildung, aber ich liebe Kinder und ich liebe Musik. Und ich habe hier schon viele wunderbare Momente erlebt. Wenn diese Kinder sich öffnen, passiert Unglaubliches.

© SZ vom 13.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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