Wolfratshausen:Ein Lantfrid kommt selten allein

Nach Auffassung des Salesianerpaters Leo Weber war das Kloster Benediktbeuern im 8. Jahrhundert nicht nur ein geistlicher, sondern auch ein militärischer Mittelpunkt. Der fränkische Hausmeier Karl Martell sicherte sich damit die Macht im Reich. Schriftliche Quellen und archäologische Indizien sprechen für diese These

Von Klaus Schieder

Karl Martell ("der Hammer") war Hausmeier. Das klingt für zeitgenössische Ohren ziemlich bieder und gerade so, als sei er - phonetisch naheliegend - vielleicht eine Art besserer Hausmeister gewesen. Im 8. Jahrhundert bedeutete dieses Amt allerdings etwas ganz anderes. Im merowingischen Frankenreich, das immer wieder anders in Herrschaftsgebiete aufgeteilt wurde, führten Hausmeier mehr oder weniger die Regierungsgeschäfte für den König. Sie verwalteten die Güter, ernannten Beamte, stellten Urkunden aus. Karl Martell, der Großvater von Karl dem Großen, war sogar noch mehr als ein bloßer Statthalter. "Er war der wichtigste Feldherr Europas", sagt Pater Leo Weber über Karl, der 732 bei Poitiers den arabischen Vormarsch zum Stehen brachte. Nach Webers Überzeugung ist der Hammer auch der Gründer des Klosters Benediktbeuern.

Der inzwischen 86 Jahre alte Professor für Kirchengeschichte und christliche Kunstgeschichte gilt als der wohl profundeste Kenner der Klosterhistorie. Die Auffassung des Salesianerpaters teilen jedoch nicht alle Wissenschaftler. Die einen plädieren für das Jahr 739 als Gründungsdatum des Klosters, der Münchner Professor für bayerische Geschichte, Ludwig Holzfurtner, verlegt es gar um 20, 30 Jahre nach vorne. Pater Weber winkt ab. Er bezieht sich auf die Fredegar-Chronik aus dem 7. und 8. Jahrhundert, die er als zuverlässig ansieht. Die Fragen, die sich zu den Anfängen des Klosters stellen, beantworten sich für ihn auch nicht aus einer Geschichtsforschung, die sich rein auf schriftliche Quellen stützt und archäologische Methoden eher beiseite lässt. Und jene Urkunde zur Klostergründung im Jahr 725, die Ludwig der Bayer um 1330 erhielt, stellte sich nach dem Zweiten Weltkrieg zwar als Fälschung heraus. Aber nur formal, sagt Pater Weber.

Karl Martell also. Die landschaftliche Schönheit des Voralpenlandes spielte für ihn bei der Gründung des Klosters Buron kaum eine Rolle, sie dürfte ihm einerlei gewesen sein. Den Ort wählte er rein aus strategischen Gründen. Von hier aus konnte er den einzigen Durchgang im südöstlichen Teil des Frankenreiches durch die Alpen nach Italien kontrollieren. Dieser Weg führte als östliche Nebenroute der alten Römerstraße "Via Claudia Augusta" über den Kesselberg, Großweil, Oberau, Partenkirchen und Gleis, wo noch heute etwa 100 Meter der von den Römern gebauten Straße erhalten sind. Im Inntal bei Wilten mussten die Reisenden eine Fähre über den Inn nehmen, um dann über den Brennerpass nach Trient zu gelangen.

Das Kloster Buron war damals, umgeben von schützenden Sümpfen, Mooren und Flüssen, nicht bloß ein Ort stillen Gebets. Ein paar Mönche lebten dort, die aus St. Gallen gekommen waren. Vor allem aber war es mit Soldaten besetzt. Buron diente demnach auch als Kommandozentrale für zwölf Befestigungen in der Umgebung. Pater Weber kennt sie alle: die große und kleine Birg, Ohlstadt, Schaumberg, Eschenlohe, Oberau, Großweil, Hagen, die Insel Wörth im Staffelsee, Uffing, Penzberg, Schloss Bichl und Mileck. Militär und Mission, weltliche und geistliche Macht - das war typisch für Klöster der Zeit.

Welche Bedeutung Buron hatte, fasst Pater Weber in einem Satz zusammen, den er mehrmals wiederholt: "Das war die erste und einzige Reichsgrafschaft in Altbayern." Martell, der viele Feldzüge gegen Sachsen, Friesen, Thüringer, Bajuwaren und nicht zuletzt auch gegen die Mauren führte, ließ sich dort nicht selbst nieder. Er lebte meist im heutigen Frankreich und wählte Lantfrid als Vasallen aus. 725 kam Karl den weiten Weg nach Buron geritten und setzte den alemannischen Adligen ein. Der kernige Reitersoldat bekam allerdings schnell Probleme. Er sei unschuldig wieder vertrieben worden, berichtet Karl Meichelbeck, Benediktiner und Historiker aus dem 17. Jahrhundert. Vom wem, ist unklar. Pater Weber ist sich jedoch sicher, dass die Frühbajuwaren, die in der Nähe bei Sindelsdorf siedelten, die Übeltäter waren. Sie beherrschten seinerzeit die Gegend, betrachteten den Alemannen Lantfrid als "Reing'schmeckten", wie Weber sagt, und bekämpften ihn "bis aufs Blut". 728 erschien Martell deshalb ein zweites Mal in Buron. Er verlieh Lantfrid mehr Land und mehr Macht, um seine Herrschaft zu sichern. Damit legte er auch den Grundstein für den späteren Reichtum des Klosters Benediktbeuern, das noch im 16. Jahrhundert mit dem Adjektiv "amplissimus" umschrieben wurde - als überaus bedeutend.

Die Klosterkirche wurde 739 von einem Heiligen der katholischen Kirche geweiht. Erzbischof Bonifatius, mit dem Martell zuweilen bei der Christianisierung des Reiches zusammenarbeitete, kam dazu nach Buron. Zum Abt weihte er Lantfrid. Den Reitersoldaten? Mitnichten, erklärt Pater Weber, sondern seinen Sohn, der den gleichen Namen trug. "Ein Lantfrid kommt selten allein." Wichtig war damals, dass der Abt aus dem Adel stammte, die Lantfrids gehörten zur Familie der Huosi. "Die Mönche hätten nur einem hochadeligen Abt gehorcht", sagt Pater Weber. Auch zwei andere Klöster entstanden in der Region im 8. Jahrhundert - in Schäftlarn und in Schlehdorf. Pater Weber verweist auf eine Urkunde aus dem Jahr 783 im Hochstift Freising, wonach Schlehdorf von Buron aus gegründet wurde.

Im Kloster Benediktbeuern gibt es heute kaum noch Zeugnisse aus der Zeit vor 1200 Jahren. Eines allerdings doch: 1988 wurde bei Ausgrabungen nicht nur ein Sarkophag aus dem 12. Jahrhundert im Kreuzhof des Ostflügels entdeckt. Gefunden wurden in dieser "Kernzone", wie Pater Weber sagt, auch drei Kastengräber aus Schlehdorfer Tuffsteinplatten, die sich unmittelbar unter der Kirchenmauer befinden und aus dem 8. Jahrhundert stammen. Ein solch prominenter Platz war nur hochgestellten Persönlichkeiten vorgehalten. Und wer könnte wichtiger gewesen sein als die ersten drei Äbte von Buron - Lantfrid, Waldram und Eliland? Karl Martell kam übrigens nie wieder in die Gegend. Der fränkische Hausmeier starb im Oktober 741 und liegt in St. Denis begraben. Für Pater Leo Weber war er "der bedeutendste Mann im fränkischen Reich".

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