Süddeutsche Zeitung

Wolfratshausen:Ein Bild ist zwei Bilder ist drei Bilder

Eine reizvolle und raffinierte Ausstellung des Künstlerpaars GH Goldstein im Bergkramerhof

Von Sabine Näher, Wolfratshausen

Beim ersten Blick entdeckt man allerhand vertraute Abbildungen: Goethe, wie ihn Tischbein sah, Marilyn, wie sie Warhol deutete, Audrey Hepburn in ihrer berühmtesten Rolle als Holly Golightly in "Frühstück bei Tiffany". Soweit völlig unspektakulär. Doch der Titel der am Donnerstagabend im Bergkramerhof eröffneten Ausstellung von GH Goldstein - wohinter sich das Künstlerpaar Gabriele und Heinrich Goldstein verbirgt - lautet "Wandelbilder". Soll heißen: Das Bild wandelt sich, indem der Betrachter vorüberwandelt. In jedem Bild sind nämlich zwei bis drei Abbildungen versteckt.

Im Falle der drei eingangs genannten Kunstwerke bedeutet das: Wir sehen Goethe, wie ihn der befreundete Maler Tischbein auf der Italienreise malte: "Goethe in der Campagna" - und damit das (idealisierte) Bild des Dichterfürsten schuf, das jeder Bildungsbürger im Kopf hat. In der Mitte wächst daraus eine Marmorbüste, die den Dichter vollends auf den Sockel der Heldenverehrung hebt, und von rechts betrachtet gewinnt Andy Warhols Blick die Oberhand. "Et in arcadia ego" heißt das Bild, das die Rezeption von Kunstwerken und den Umgang mit deren Schöpfern zugleich amüsant und kritisch reflektiert.

Audrey Hepburn zeigt sich in der Filmgestalt sowie als sehr junge und als reife Frau - eine berührende Bildkomposition. Und die Monroe, nach ihrem skandal- und geheimnisumwitterten Tod 1962 mit gerade einmal 36 Jahren vollends zur Ikone geworden, fasziniert in "Pink dreams" mit einem der wundervoll entspannten Fotos aus "The last sitting", übergehend in einen rosa Traum, aus dem sich Warhols poppig bunte Marilyn herausschält.

Wie kommt man auf die Idee solcher "Wandelbilder"? "Wir denken immer über neue Darstellungsmöglichkeiten nach", erklärt Heinrich Goldstein. "Und es gibt da ähnliche Vorläufer in der Kunstgeschichte." Die genaue Technik, die hinter diesen Arbeiten steckt, möchte er allerdings nicht näher erläutern: "Das ist Betriebsgeheimnis." Nur so viel: Es handle sich um sehr komplexe Verfahren der Bildbearbeitung und sei keineswegs so einfach, wie es auf den vorüberwandelnden Betrachter wirken möge. Das Künstlerpaar arbeitet ausschließlich gemeinsam; alle Bilder stammen von beiden. Sie finden, so fließe ein weiblicher wie ein männlicher Blick auf die Dinge ein, und die verschiedenen Erfahrungen, Anschauungen und Herangehensweisen garantierten ein besseres Ergebnis. "Bei den Wandelbildern entstehen so verblüffende, vollständig analoge Überblendungseffekte, die man sonst nur aus dem Film oder den elektronischen Medien kennt."

In der Tat ist das Spiel mit der wechselnden, sich immer wieder verschiebenden Perspektive reizvoll. Der berühmte "Vier-Jahreszeiten-Baum" ist neu erlebbar, wenn Blütentraum, sattes Grün, herbstliche Nacktheit und Schneepracht ineinanderfließen. Auch die urbayerischen Ikonen kommen zu ihrem Recht: "Träume" heißt das goldglitzernde Werk, das auf der einen Seite das Porträt des jugendlichen Ludwigs II., auf der anderen Seite Neuschwanstein zeigt. Hochaktuell dagegen "America first": Die trauernde Freiheitsstatue, die die Hände vors Gesicht schlägt, einerseits; und andererseits die amerikanische Flagge, darauf ein brüllender Donald Trump, erschreckend affenähnlich.

"Ich habe insgeheim das Gefühl, nicht vollkommen echt zu sein, so etwas wie eine gut gemachte Fälschung." Mit diesem Zitat von Marilyn Monroe, das perfekt zu dieser Ausstellung passt, eröffnete die Kunsthistorikerin Brigitte Seidel ihren Einführungsvortrag. Darin kam sie auf die kunsthistorischen Vorläufer der gezeigten Arbeiten zu sprechen, erwähnte die sogenannten Riefelbilder des 18. Jahrhunderts, die "aus aneinander gereihten, dreikantigen Elementen bestehen, wobei je zwei Seitenflächen mit verschiedenen Motiven bemalt sind, zum Beispiel Porträts von Ehepaaren." Sie wies darauf hin, dass wir mit der fortschreitenden Digitalisierung ganz neue Möglichkeiten der Kunstrezeption gewonnen haben: "Das Bild vom Bild ist jederzeit und für alle verfügbar."

Wie spannend also, aus dieser Bilderflut wiederum etwas ganz Neues, Einzigartiges zu schaffen. Neben vielen amüsanten Begegnungen hält die Ausstellung aber auch eine verstörende bereit: "Zwei von uns" zeigt links Stalin in der bekannten Herrscherpose, rechts Hitler in seiner vermeintlichen Harmlosigkeit. Und in der Mitte, in einem Spiegel, sieht sich der Betrachter selbst. "Deshalb heißt dieses Bild 'Zwei von uns'", erklärt Heinrich Goldstein. "Jeder von uns hat das Potenzial zum Ungeheuer, trägt das Böse in sich. Es ist übrigens mein Lieblingsbild in dieser Ausstellung."

"Wandelbildern", Bergkramerhof (Alte Wolfratshauser Straße) täglich 10 bis 15 Uhr; bis 30. April

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SZ vom 07.03.2017
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