Süddeutsche Zeitung

Wolfratshausen:Die Rechnung, bitte!

Seit Monaten ist das Rathauscafé in Wolfratshausen zu. Nun muss es der Pächter wegen erheblicher Mietrückstände räumen. Eine Geschichte über zerplatzte Lebensträume im Herzen der Stadt.

Von Viktoria Spinrad

In der Ecke des Hofs sind noch ein Dutzend Tische und Stühle, angekettet und verlassen. Auf einem von ihnen steht ein Aschenbecher, in dem die Zigaretten im Regenwasser schwimmen. An der Hausfassade lehnt eine vertrocknete Orchidee. Und wer durch die Fensterscheiben lugt, sieht noch ein Klappschild - Erdbeerbecher mit Sahne für sechs Euro. Davor der Zettel: "Geschlossen!"

Es ist ein trister Anblick, den das einst traditionsreiche Rathauscafé dieser Tage bietet. Mindestens so traurig aber auch verworren ist auch die Geschichte, die sich rund um das seit Mai geschlossene Café im Herzen der Stadt abgespielt hat. Eine Geschichte, in der Naivität, Bürokratie und Zerwürfnisse eine Rolle spielen - und deren letzter Akt nun eingeleitet wird: Denn nach einem Entscheid des Landgerichts München I vom Donnerstagabend soll das Café demnächst geräumt werden - wegen Mietrückständen in Höhe von mehr als 12 000 Euro.

Damit endet ein langes Hin und Her zwischen dem gescheiterten Betreiber Franz Haberzettl, seiner Vorgängerin Rita Streicher und der Stadt Wolfratshausen als Vermieterin der Immobilie. Es ist eine Dreieckskonstellation, in der jeder seine eigene Version der Geschichte hat.

Um diese zu verstehen, muss man die Zeit in den September 2018 zurückdrehen. Nach langer Suche scheint Betreiberin Rita Streicher endlich einen Nachfolger für die Konditorei am Loisach-Ufer 6 gefunden zu haben. Franz Haberzettl ist zwar nicht vom Fach, aber sympathisch und signalisiert, dass er das Café unbedingt betreiben möchte. Er unterschreibt einen Mietvertrag mit der Stadt, lässt sich einen Businessplan erarbeiten, kauft das Inventar von Streicher ab und kündigt längere Öffnungszeiten an. "Ich habe mir das angeschaut und mich spontan dafür entschieden", sagt Haberzettl damals. Ein Café mit Wiener Einschlag zusammen mit seiner Partnerin: Es ist die vermeintliche Erfüllung eines Traums.

Was weder Streicher, die als Angestellte weiter im Café Kuchen backen soll, noch die Stadt zu diesem Zeitpunkt wissen: Haberzettl hat keine Schanklizenz, mit der er Alkohol verkaufen dürfte. Die ist offenbar aber an den Pachtvertrag gekoppelt und eigentlich auch nicht schwer zu kriegen. Doch das Ordnungsamt verweigert Haberzettl die Lizenz. Woran das liegt? Vom Landratsamt ist dazu nichts Näheres zu erfahren. Seitens der Behörde heißt es lediglich, die Zuverlässigkeitsprüfung habe ergeben, "dass keine Konzession erteilt werden kann". Eine Ermessensentscheidung also, die gegen Haberzettl ausfällt.

Anfang 2019 hängt Haberzettl einen Ausdruck an die Tür, "Café aus betrieblichen Gründen geschlossen". Er sieht sich jetzt als Betreiber ohne Betriebserlaubnis. Einer Auszubildenden droht ihr Lehrbetrieb abhandenzukommen. Da fällt Haberzettl ein rettendes Konstrukt ein: Seine Vorgängerin und Mitarbeiterin Streicher soll das Café als eine Art Untermieterin offiziell betreiben. Streicher willigt ein.

Zu diesem Zeitpunkt ist das Verhältnis zwischen den beiden schwierig geworden. Haberzettl soll sich mit der betriebswirtschaftlichen Seite des Cafés schwertun; die Zuständigkeiten sind unklar. Und auch die Stadt scheint keine Lust auf das Hickhack zu haben: Als Streicher die Miete für den April überweist, überweist die Stadt diese mit dem Verweis wieder zurück, dass das Geld vom eigentlichen Pächter kommen müsse - und der ist immer noch Haberzettl. So oder so: Nun hat die Stadt einen Hebel, den Pächter ohne Lizenz loszuwerden.

Die Stadt hat für dieses Vorgehen einen guten Grund: Zum 1. Mai soll ein neuer Betreiber einsteigen. Streicher packt ihre Sachen zusammen, gibt Ende April die Schlüssel ab. Doch die Nachfolge kommt nicht zustande. Mitte Mai erhält Haberzettl die fristlose Kündigung von der Stadt, wegen Mietrückständen und verspäteter Zahlung. Bis zum 24. Mai soll er das Café räumen. "Das war nicht machbar", sagt sein Anwalt. Einen Monat später erhält er die Räumungsklage der Stadt, der nun stattgegeben wurde.

Wie geht es nun weiter? Damit es nicht zu einer teuren Zwangsräumung kommt, soll Haberzettl das Café möglichst freiwillig ausräumen. "Das beabsichtigen wir", sagt Haberzettls Anwalt Reinhold Wunderlin. Es wäre die sogenannte "Berliner Art" der Räumung. Die Stadt könnte sich so die hohen Kosten für den Abtransport und die Verwahrung des Interieurs sparen.

Und so endet Haberzettls Versuch, ein Herzensprojekt zu verwirklichen. "Es war nicht seine Absicht. Er war der falsche Mann am falschen Ort", sagt Konditorin Streicher. "Das war nicht seins", sagt auch sein Anwalt Wunderlin. "Es ist alles ein bisschen ungut gelaufen", sagt Bürgermeister Heilinglechner. Haberzettl selbst wollte sich aktuell lieber nicht äußern.

Bei allem Verdruss gibt es aber auch einen Lichtblick. Nach dem traurigen Ende soll in dem Café ein neues Kapitel aufgeschlagen werden: Laut Rathaus stehen bereits drei Bewerber parat, um dem Café neues Leben einzuhauchen. Der neue Pächter soll dann vom Stadtrat abgesegnet werden und das Café langfristig betreiben. "Es wird auf einer soliden Basis stehen", verspricht Bürgermeister Heilinglechner. Im Hof vor seinem Büro wird aus dem Stillleben dann hoffentlich wieder echtes Stadtleben.

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Quelle:
SZ vom 24.08.2019
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