Wolfratshausen:Die Kraft persönlicher Kontakte

Kreisheimatpfleger Martin Englert leitet seit 25 Jahren den Bad Tölzer Partnerschaftsverein Vichy-San Giuliano Terme. Europa ist für ihn eine Wertegemeinschaft

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Martin Englert ist ein heimatverbundener Mensch. Der Architekt, der in Ellbach lebt und aufgewachsen ist, engagiert sich ehrenamtlich als Kreisheimatpfleger, saß zwölf Jahre für die Freien Wähler im Stadtrat und leitet seit fast 25 Jahren den Partnerschaftsverein Vichy-San Giuliano Terme. Heimatverbundenheit und Offenheit für kulturelle Unterschiede - für Englert geht das wunderbar zusammen. Vielfalt sei doch gut und regionale Eigenheiten wichtig. "Wir dürfen ruhig Selbstbewusstsein haben", findet er. Denn nur wer die eigenen Wurzeln kenne, könne Verständnis für andere entwickeln.

Am besten funktioniere das über persönliche Beziehungen: Die Lebensumstände von Menschen aus anderen Ländern kennenlernen und die Vergangenheit aufarbeiten - das sei der Sinn der Städtepartnerschaften. "Europa ist verdammt wichtig", sagt Englert. Und Partnerschaftsvereine, in denen Bürger aus verschiedenen Ländern persönliche Beziehungen pflegen, leisteten einen wichtigen Beitrag.

Im Jahr 1963 haben Konrad Adenauer und Charles de Gaulle mit dem Élysée-Vertrag den Grundstein für Städtepartnerschaften zwischen Deutschland und Frankreich gelegt, damit aus Feinden Freunde werden können. Drei Jahre später wurde in Bad Tölz die Partnerschaft mit Vichy begründet. 30 Jahre später sei dieser Austausch einigermaßen eingeschlafen, sagt Englert. Seitens der Stadt sei man sich aber einig gewesen: "Die Partnerschaft mit Vichy ist uns wichtig." Also habe er als damaliger Kulturreferent den Vorsitz übernommen. Er organisierte 1999 eine Fahrt mit zwei Bussen nach Vichy, 2004 gründete er den Partnerschaftsverein, der auch die Beziehung zu San Giuliano Terme pflegt, die 2003 als Partnerstadt dazugekommen ist.

Martin Englert

"Europa ist verdammt wichtig: Martin Englert ist Kreisheimatpfleger und überzeugter Europäer.

(Foto: Manfred Neubauer)

Ähnliche strukturelle Gegebenheiten verbinden das einst berühmte Bad Vichy, die Thermenstadt Giuliano und die Kurstadt Bad Tölz. Zurzeit gehören dem Partnerschaftsverein 125 Mitglieder an. Alle Aktivitäten laufen ehrenamtlich und werden über Mitgliedsbeiträge finanziert. "Die Stadt würde uns finanziell unterstützen, wenn es nötig wäre", sagt Englert. Jedes Jahr ist er bei den Fahrten, die abwechselnd in die Toskana und die Auvergne führen, dabei. Die Busse sind gut voll, auch seine Frau fährt oft mit. Teilnehmen kann jeder Tölzer Bürger, Sprachkenntnisse sind keine Voraussetzung. Vor den Fahrten bietet der Verein "Crashkurse" an.

Zu Vichy unterhält das Tölzer Gymnasium rege Kontakte, mit San Giuliano Terme die Realschule. Die Austauschfahrten der Schüler werden vom Verein unterstützt. Jedes Jahr organisieren Mitglieder einen Stand auf der "Agrifiera", der größten Verbrauchermesse der Toskana, bieten Reutberger Bier und Würstl mit Kraut an und gestalten einen "Tölzer Abend" mit Blasmusik. Im Gegenzug kommen Händler aus Giuliano mit ihren Spezialitäten auf den Tölzer Christkindlmarkt, eine Delegation aus Vichy wird jedes Jahr zur Leonhardifahrt eingeladen. So seien in den vergangenen Jahren viele persönliche Freundschaften entstanden, sagt Englert. Der stellvertretende Bürgermeister von Vichy, Bernard Kajdan, sei schon als Gymnasiast im Rahmen des Schüleraustauschs nach Tölz gekommen und halte der Kurstadt die Treue. "Der Bernard ist ein absoluter König-Ludwig-Fan", sagt Englert. Wie die meisten Besucher aus den Partnerstädten, mit denen der Verein Ausflüge zu den Königsschlössern organisiert, Stadtführungen oder Fahrten aufs Brauneck.

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Nach fast 25 Jahren als Vorsitzender denkt der 70-Jährige allmählich ans Aufhören. Um die Nachfolge macht er sich keine Sorgen - auch wenn jungen Leuten, die heutzutage ganz selbstverständlich um die halbe Welt reisen oder sich im World Wide Web vernetzen, der Sinn eines Partnerschaftsvereins nicht immer einleuchte. "Wir haben doch mit unseren Nachbarländern keine Probleme", höre er dann. Die Aufarbeitung der Geschichte sei für junge Leute oft kein Thema mehr. Dennoch bekomme bei vielen die "Idee von Europa" mit den Jahren mehr Gewicht. "Europa ist nicht bloß eine Wirtschafts- sondern eine Wertegemeinschaft.".

Am 26. April fährt Englert wieder in die Auvergne. Ein großes Event steht an, das "Kaiserfest" zu Ehren Napoleons III., der Vichy als Kurort aufgebaut hat. "Wenn ich ein Jahr nicht in der Auvergne war, geht mir das ab."

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