Süddeutsche Zeitung

Instrumentenbauer:Der Mann, der Bäume zum Klingen bringt

Horst Grünert hat sich auf Bässe spezialisiert, die überall auf der Welt zu hören sind, von New York über Tokio bis Südamerika.

Interview von Stephanie Schwaderer

Horst Grünert sieht einem Baum an, wie er klingt. Der Penzberger Instrumentenbauer ist Autodidakt und hat sich mit seinem Kollegen Wolfgang Suldinger auf den Bau von Kontrabässen und Celli spezialisiert. Zu Grünerts Kunden zählen internationale Spitzenmusiker und die großen Orchester der Welt. Von Bäumen und Hölzern weiß der Mann mit den schweren Händen ebenso Geschichten zu erzählen wie von Musikern und Dirigenten. Genau das wird er am Mittwoch, 22. Juni, tun, wenn die Penzberger Stadtbücherei zur "Nacht der lebenden Bücher" einlädt. Grünert und zwölf weitere Persönlichkeiten erzählen dann an verschiedenen Orten Ungewöhnliches und Unerhörtes.

SZ: Wo findet man Bäume, die gut klingen?

Horst Grünert: Die meisten haben wir in den Alpen gefunden, auf der Benediktenwand zum Beispiel. Aber der größte, den wir je hatten, ein Ahorn mit zwei Metern Durchmesser, stand in einem Park in Schottland. Der Baum war 400 Jahre alt und musste einer Straße weichen.

Sie sind nach Schottland gefahren, um sich einen Baum anzuschauen?

Ja. Solche Bäume sind selten, und dann steckt ja sehr viel Arbeit drin. Dieser Ahorn wog an die 20 Tonnen. Wir haben ihn im Hof abgeladen - und einen Tag später hatten wir hier eine Überschwemmung. Der Baum hatte uns den Kanal zerdrückt.

Tut es Ihnen nicht leid, einen solchen Riesen zu fällen?

Irgendwann ist auch die Zeit für einen Baum abgelaufen. In einem sehr alten Instrument, das wir hier einmal zur Reparatur hatten, haben wir einen handgeschriebenen Zettel gefunden, den hatte wohl einmal ein Musiker hineingesteckt. Darauf stand: Als ich im Wald lebte, habe ich geschwiegen. Nun, da ich gestorben bin, singe ich.

Wie viele Instrumente können Sie aus einem Stamm schneiden?

Das ist ganz unterschiedlich. Einmal hatten wie zum Beispiel einen Vogelaugenahorn, der 400 oder 500 Jahre alt war. Als wir ihn aufschnitten, stellte sich heraus, dass er innen nur noch aus Torf bestand. Das Holz hat dann gerade einmal für eine Gambe gereicht, und die haben wir nie verkauft, weil wir es nicht übers Herz gebracht hätten.

Gehen Sie noch oft auf Baumsuche in die Wälder?

Nein, in den vergangenen zehn Jahren habe ich gerade einmal zwei Stämme gekauft. Zum einen gibt es kaum noch etwas in dieser Qualität, zum anderen haben wir große Vorräte. Das Holz muss 20, 30 Jahre lagern, bevor man etwas damit anfangen kann. Gerade arbeiten wir zum Beispiel mit einem Birnbaum, den ich vor 40 Jahren gekauft habe. Damals hat mich die Branche für verrückt erklärt. Nun rufen mich Kollegen an und fragen, ob ich ihnen nicht ein Stück verkaufen könnte.

Das Holz lagert also mindestens 20 Jahre. Wie viel Zeit fließt in den Bau eines Kontrabasses?

Etwa ein Jahr. Aber wenn das Instrument handwerklich fertig ist, fängt unsere eigentliche Arbeit ja erst an. Dann heißt es, das Instrument auf den jeweiligen Musiker abzustimmen. Dem einen ist vielleicht die A-Saite zu hell, der andere will auf dem C mehr Wumm. Jedes unserer Instrumente ist ein maßgeschneidertes Unikat. Einige bauen wir aber auch auf Vorrat. Für Notfälle.

Notfälle?

Vor drei Jahren, zum Beispiel, klingelt das Telefon und die Wiener Symphoniker sind dran: Hilfe, Herr Grünert, wir kommen gerade aus Japan zurück und fünf Basshälse sind abgebrochen! Also haben wir fünf Bässe eingeladen, sind nach Wien gefahren und haben uns der Invaliden angenommen.

Sind Sie so eine Art Müller-Wohlfahrt für Kontrabassisten?

Nur ein bisschen. Mit Carlos Kleiber und der Münchner Oper bin ich einmal auf Japan-Tournee gegangen und hatte auch viel Arbeit. Aber das war die Ausnahme. Trotzdem sind mein Kollege und ich viel auf Reisen, im Jahr bestimmt drei Monate.

Wo sind Ihre Instrumente zu hören?

Überall auf der Welt, von Athen bis Peking, in New York, Australien, Südamerika.

Was zeichnet ihren Klang aus?

Da müssen Sie andere fragen. Aber als vor zehn Jahren die Oper in Valencia eingeweiht wurde, sind wir mit zehn Bässen runtergefahren, um unsere Instrumente vorzustellen. Zubin Mehta leitete eine Probe, es war die dritte Symphonie von Beethoven. Nach vier Takten bricht er ab und fragt: Was ist mit den Bässen los? Die Musiker antworten, dass sie neue Instrumente ausprobieren. Und Zubin Mehta sagt: Die kaufen wir!

Welche Geschichte werden Sie in der Stadtbücherei erzählen?

Das weiß ich noch nicht, vielleicht die von Nikolas Paryla, dem Schauspieler. Er hat am Münchner Residenztheater Patrick Süskinds Stück "Der Kontrabass" gespielt. 20 Jahre lang. Kurz vor der 500sten Vorstellung, die groß gefeiert werden sollte, passiert es: Der Bass fällt um und ist kaputt. Wir haben uns sofort um ihn gekümmert, aber es war unmöglich, ihn in 14 Tagen zu reparieren. Gegen große Widerstände ließ Paryla sich überzeugen, vorübergehend auf einem anderen Instrument zu spielen. Und als sein Bass wiederhergestellt war, musste ich fünf, sechs Vorstellungen lang anwesend sein - immer bis zum Schluss. Zu Beginn hat er stets den Augenkontakt zu mir gesucht und mich begrüßt.

Sind Musiker komplizierte Menschen?

Es macht sehr viel Spaß mit ihnen, ist aber auch anstrengend. Man muss es mögen - und wir mögen es sehr.

Sie arbeiten mit Ihrem Kollegen Wolfgang Suldinger seit 40 Jahren zusammen, Sie reisen mit ihm um die Welt - und Sie siezen ihn noch?

Ja, das ist wohl ungewöhnlich. Es zeugt von gegenseitigem Respekt. Ich gehöre einer Generation an, die nicht so schnell zum Du übergegangen ist.

Zwischen schnell und 40 Jahren gibt es aber doch eine gewisse Spanne.

Das stimmt. Aber es hat sich nie ergeben. Wir zwei sind wie ein altes Ehepaar. Wenn ich es gesundheitlich schaffe, werde ich so lange weiterarbeiten, bis wir zusammen in Rente gehen können.

Spielen Sie selbst Cello oder Bass?

Nein! Man kann nicht den ganzen Tag diese schwere Arbeit machen und am Abend die Axt gegen den Bogen tauschen. Aber ich liebe Musik. Und ich lebe mit, in und von der Musik. Was kann es Schöneres geben?

"Nacht der lebenden Bücher", Mittwoch, 22. Juni, 18 bis 21 Uhr, Stadtbücherei Penzberg, Anmeldung unter Tel. 08856/81 37 50

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Quelle:
SZ vom 16.06.2016
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