Wolfratshausen:Der Feind von nebenan

Vor dem Amtsgericht geben zwei Nachbarn Einblick in unglaubliche Zerwürfnisse

Von Wolfgang Schäl, Wolfratshausen

Szenen einer Nachbarschaft: Hat sich die 49-jährige Gertraud K. (Namen geändert) aus Bad Heilbrunn vor dem Hintergrund einer seit mehr als vier Jahren schwelenden Fehde mit einer Familie aus dem Ortsteil Obersteinbach dazu hinreißen lassen, in der engen Ortsdurchfahrt mit ihrem Kleinbus auf den 14-jährigen Sohn der verhassten Ortsbewohner loszufahren, um ihn zu verletzen und dabei ihr Auto als Waffe zu benutzen? Falls dieser Tatvorwurf sich bewahrheitet hätte, dann wäre das Strafmaß über den Rahmen hinausgegangen, den ein Amtsgericht hat. Gemeinsam mit zwei Schöffen kam Amtsrichter Helmut Berger am Montag nach dreistündiger Verhandlung allerdings zu dem Schluss, dass der aus Sicht der Angeklagten ungeheuerliche Vorwurf nicht nachweisbar sei, und sprach K. frei. Auch die monatelang entzogene Fahrerlaubnis erhielt sie noch im Gerichtssaal zurück. K. hatte wiederholt beteuert, sie könne sich an einen Vorfall dieser Art überhaupt nicht erinnern und sei aus allen Wolken gefallen, als sie von der Strafanzeige gehört habe.

Der Freispruch durch das Schöffengericht stützte sich in erster Linie auf die Aussage eines Verkehrssachverständigen, der zu dem Schluss gelangte, der Vorfall am 4. Juli morgens um 7 Uhr dieses Jahres könne sich nicht so abgespielt haben, wie der in der Verhandlung nicht anwesende Hauptbelastungszeuge dies dargestellt hatte. Der hatte behauptet, der Wagen der Angeklagten sei in der Tempo-30-Zone mindestens 50 Stundenkilometer gefahren. Dies sei in der Rekonstruktion unmöglich. Auch mehrere Anwohner bestätigten, dass die 49-Jährige auf der schmalen Ortsstraße immer mit angemessener Geschwindigkeit unterwegs gewesen sei.

So schwierig es war, den Tatvorwurf präzise zu widerlegen, so greifbar war die Feindschaft zwischen den beiden Familien. Während die Mutter des Buben versicherte, ihr gehe es nur darum, endlich einmal Frieden zu haben und ihre Kinder ohne Angst auf die Straße lassen zu können, schlug Gertraud K. die dringliche Aufforderung Bergers, die Animositäten mit Hilfe einer Mediatorin zu bereinigen, in den Wind. "Irgendwas muss passieren, damit nicht irgendwann was passiert", warnte Berger. Andernfalls werde man sich demnächst wieder vor Gericht sehen. Gertraud K. aber zeigte sich unversöhnlich: Mit jemandem, der ihr einen solchen Wahnsinn unterstelle, könne sie einfach nicht mehr reden.

Die Mutter des Buben machte dessen ungeachtet geltend, dass sich solche Vorfälle nach Erzählung ihrer beiden Kinder in den vergangenen Jahren immer wieder ereignet hätten. Die Tochter habe mehrmals berichtet, dass das Auto der Angeklagten "auf sie Kurs genommen" habe, ergänzte der Vater. Der 14-Jährige, der im Verlauf der Vernehmung in Tränen ausbrach, schilderte den Vorfall so, dass er morgens mit dem Fahrrad zur Bushaltestelle habe fahren wollen, als ihm die Angeklagte mit ihrem VW-Bus entgegenkam. Er habe dann zweimal in verschiedene Richtung ausweichen wollen, unter anderem, um nicht an einer angrenzenden Betonmauer zu landen, jedesmal aber habe auch die Angeklagte in seine Richtung gesteuert. Er sei danach auf eine Grünfläche gefahren und verängstigt stehen geblieben. Deshalb habe er auch den Linienbus verpasst, mit dem er täglich zur Schule fährt.

Der größte Teil der Verhandlung entfiel auf den Versuch, die Hintergründe der massiven Reibereien zu beleuchten. Ein bissiger Hund spielte dabei eine Rolle, ein vor die Haustür geschippter Schneehaufen und eine Hecke, die der ungeliebte Nachbar ohne Erlaubnis geschnitten habe. "Das mag ich nun mal nicht", sagte der Vater des 14-Jährigen.

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