Süddeutsche Zeitung

Denkmalschutz in Wolfratshausen:"Rohrballade" am Obermarkt

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Nach einem Eingriff der Stadt läuft Wasser ins Mauerwerk eines denkmalgeschützten Hauses. Für den Schaden will keiner aufkommen. Was tut der Bauherr, der das Anwesen mir großem Aufwand saniert? Er dichtet.

Von Wolfgang Schäl, Wolfratshausen

Goethe ist vielleicht nicht mehr in aller Munde, aber mit ein bisschen Humor und Erinnerungen an den Deutschunterricht lässt er sich immer noch für den Alltag passend machen. Zum Beispiel mit einer leicht abgewandelten Version der bekannten Ballade vom Zauberlehrling, der die Abwesenheit seines Hexenmeisters nutzt, um selber auch mal Geister zu beschwören, und sie dann prompt nicht mehr los wird. Mit Geistern hat es die Familie Marklsdorfer, die mit viel Herzblut, Arbeit und hohem finanziellen Einsatz das denkmalgeschützte Anwesen Nummer 45 am Obermarkt saniert, zwar nicht zu tun, dafür aber mit allerlei Widrigkeiten, die bei der Rettung eines Denkmals schon mal auf einen zukommen können, und die jetzt in Strophenform in eine amüsante, vom deutschen Dichterfürsten inspirierte "Rohrballade" Eingang gefunden haben.

Zum Sachverhalt: Wer auf der rechten Seite des Obermarktes stadteinwärts geht, stolpert nahezu über zwei Rohre, die aus dem historischen Gebäude herausragen und direkt auf den an dieser Stelle extrem schmalen Gehsteig münden, was gefährlich für Fußgänger sein kann. Zu dem Missstand kam es, weil an der Engstelle auf behördliche Anweisung ein Verkehrsschild angeschraubt wurde, wobei es zu einer Verletzung des darunter liegenden Entwässerungsrohrs kam. Um das Schild trotzdem zu fixieren, wurde das Bohrloch mit Beton ausgegossen, der wiederum in das Rohr rutschte, sich verfestigte und es verstopfte. Das herabrinnende Wasser konnte fortan nicht mehr abfließen und versickerte in der Hauswand, mit der Folge, dass es zu Rissen im nassen Mauerwerk kam und der Verputz abbröckelte.

Ironisch beleuchtet die Wolfratshauser Zauberlehrlings-Adaption diesen Vorgang unter verzeihbarer Verletzung des Goetheschen Versmaßes in der letzten Zeile:

"Walle! - Walle manche Strecke, dass zum Zwecke Wasser fließe und mit reichem, vollem Schwalle sich über Jahre hinweg in das denkmalgeschützte Mauerwerk ergieße."

Ganz ohne Zauberei wird es bei der Regulierung des Schadens dabei vermutlich nicht abgehen. Denn weder Denkmalamt, Straßenbauamt noch die Stadt fühlen sich für die Regulierung des Schadens zuständig. Das sei Sache des Hauseigentümers, heißt es. Kurios dabei ist, dass die Eigentümer trotz der Misere Entwässerungsgebühren entrichten müssen.

Wie erkennbar, hat das Ehepaar Christoph und Franziska Marklsdorfer, dem das Anwesen am ensemblegeschützten Obermarkt seit 2014 gehört, nicht nur den notwendigen Humor, sondern auch die Geduld und das Fachwissen, das für die Sanierung des etwa 300 Jahre alten Gebäudes unabdingbar ist. Marklsdorfer ist selbst Architekt und weiß mit der Baustelle umzugehen. So galt es nach seiner Schilderung zunächst, die Standfestigkeit des Gebäudes zu sichern, dann den gerissenen Putz auszubessern, Decken zu erneuern, Stützmauern zu setzen, Balken auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen und Stahlträger einzuziehen -"ein langwieriger Prozess", der auch finanziell viel Ausdauer verlangt. "Für das, was wir hier investiert haben, hätten wir leicht zwei neue Häuser bauen können", versichert der Bauherr. Das liegt nicht zuletzt an den hohen Anforderungen des Denkmalschutzes, der die Sanierungsarbeiten mit strengem Blick, aber konstruktiv verfolgt, wie Marklsdorfer betont. An Konflikten und gegenseitigen Provokationen sei keine der beiden Seiten interessiert.

"Beim Oberfärber" heißt das Gebäude, weil dort im Innenhof früher ein Färbereibetrieb angesiedelt war. Davon zeugt ein "Färbergalgen" an der Fassade, an dem die behandelten Stoffbahnen vor der Fassade zum Trocknen aufgehängt wurden. Fußgänger mussten daher notfalls immer den Gehsteig wechseln, wie Marklsdorfer erzählt. Das Haus, das auf zweieinhalb Stockwerken über acht Zimmer verfügt, war einmal für seine kunstvollen Lüftlmalereien überregional bekannt, die aber am Anfang der Siebzigerjahre durch neuere Fassadengemälde ersetzt wurden. Ein reizvolles bauliches Detail ist ein "Guckerl", ein winziges Fensterchen, durch das ein ungebetener Besucher leicht zu erkennen war.

Falls sich jemand für die Rohrballade mit ihren zwölf tapfer gereimten Strophen interessiert: Sie hängt zur Lektüre beim Oberfärber im Fenster.

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