Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise in Wolfratshausen:Laptop statt Schlafsack

Der Campingplatz Wolfratshausen bietet nun "Camp Offices" in Zelten an. Betreiber Michael Kramer will damit eine Alternative zur täglichen Arbeit am Schreibtisch zuhause schaffen - und Familien glücklich machen.

Von Konstantin Kaip

Das Home-Office, in dem viele Menschen wegen der Kontaktbeschränkungen seit Wochen ihren Arbeitstag verbringen, mag Vorteile haben: den kurzen Arbeitsweg vom Küchen- an den Schreibtisch, die Möglichkeit, Jogginghosen zu tragen und Paketpost entgegenzunehmen. Die notgedrungene Verschmelzung von Arbeits- und Wohnraum birgt aber auch jede Menge Konflikte: Der Partner will den Einkauf ausgerechnet dann besprechen, wenn man gerade eine wichtige E-Mail schreiben muss, die Kinder kommen mitten in der Videokonferenz mit dem Kunden schreiend ins Zimmer gestürmt, der Nachbar bohrt am Stichtag für die Abgabe lautstark Löcher in seine Wände. Dazu kommt noch der Frust des Lagerkollers, weil man tagein, tagaus auf immer dieselben Möbel und Wände starrt. Viele sehnen sich derzeit nach einem Ort weit weg, an dem sie sich ohne Ablenkung in ihre Aufgaben vertiefen können, um dann entspannt und zufrieden zu ihren Lieben nach Hause zu kommen.

Einen solchen Ort können sie nun auf dem Campingplatz Wolfratshausen finden. Dort stehen seit vergangenem Mittwoch sechs orangefarbene Pavillonzelte, die man als "Camp-Office" mieten kann. Umgeben von Grün und Vogelgezwitscher, ausgestattet mit Holzboden, Campingstuhl, Gartentisch, Kochplatte, Stromanschluss und Wlan. In dem spartanischen Umfeld kann man sich mit dem mitgebrachten Laptop auf das Wesentliche konzentrieren, arbeiten und gleichzeitig Urlaub von zu Hause machen. Mittags kocht man sich etwas, manchmal wird auch der Grill am Grillplatz angefeuert. Wer will, kann in einem Tipi nebenan auch eine Massage beim Ickinger Masseur Frank Trautmann buchen - alles nach den geltenden Hygienevorschriften, wie Campingplatzbetreiber Michael Kramer betont. "Wir glauben, nach so einem Arbeitstag freust du dich auf deine Familie und deine Familie freut sich auch auf dich", erklärt er dazu auf der Facebookseite des Campingplatzes.

Die Idee, fertig eingerichtete Zelte zu vermieten, hatte Kramer schon lange. Dann kam die Coronakrise, und er habe sie "auf Eis gelegt", wie er sagt. Kürzlich aber habe ihm ein Freund sein Leid vom Home Office mit all seinen Schwierigkeiten geklagt, und da habe er entschieden, Zelte zum Arbeiten anzubieten. Statt der ursprünglich geplanten Tipis mit mehreren Betten hat er Pavillonzelte gekauft, sie auf seinem leeren Zeltplatz aufgestellt, innen mit Fichtenboden und einer kleinen Terrasse aus Lärchenholz davor ausgestattet, zu der auch ein kleiner Liegestuhl gehört. Die Einrichtung habe er "bewusst spartanisch gelassen", sagt der 48-Jährige. "Es ist und bleibt ein Campingplatz. Und der soll ja auch Urlaubsflair haben. Das ist ja der Gag." Aus seinem ehemaligen Restaurant auf dem Gelände könne er genügend Geschirr anbieten, die dortige Spülmaschine sei mit 80 Grad virensicher. Mieter der "Camp-Offices" könnten die Toiletten im einstigen Gasthaus nutzen, maximal zwei gleichzeitig und mit Mundschutz. Alle ein, zwei Stunden werde das WC desinfiziert.

Die strengen Hygieneauflagen waren ein wesentlicher Anlass für Kramer, neue Wege zu gehen. Eigentlich dürfte er seinen Campingplatz schon am Pfingstmontag wieder für Urlauber öffnen, "Wir machen aber auf jeden Fall erst am 15. Juni auf", sagt der Wolfratshauser. Denn Gemeinschaftsräume seien nach den Corona-Regeln nicht erlaubt und müssten gesperrt werden. Die 2015 erneuerten Sanitäranlagen mit Duschkabinen könne er daher für die Gäste nicht freigeben. Er hat nun den Herren- und den Damentrakt jeweils zu Familienbädern gemacht, die derzeit den 15 Dauercampern vorbehalten sind: Familien, Paare oder Einzelpersonen können die Anlagen nutzen und müssen sie danach desinfizieren. "Ich hatte vor, acht einzelne Familienbäder zu bauen, damit ich wenigstens auf dem Zeltplatz acht Plätze anbieten kann", sagt Kramer. "Aber die Baugenehmigungsprozesse dauern zu lang." Nun wolle er mit der Planung für Einzelkabinen beginnen, "damit wir wenigstens in der zweiten Hälfte der Saison etwas anbieten können". Reservierungen nehme er derzeit nur für Wohnmobile und Camper an, die eine eigene Dusche an Bord haben. Kunden mit VW-Bus oder Zelt müsse er vertrösten, sagt Kramer.

Normalerweise hätte die Saison am Wolfratshauser Campingplatz im April angefangen. Nun ist Kramer froh, dass er seine Dauercamper, von denen einige auch auf dem Platz wohnen, als feste Einnahmequelle hat. Wegen der Corona-bedingten Einbußen habe er staatliche Soforthilfe beantragt und "Gott sei Dank bekommen", sagt der 48-Jährige. "Auf die Saison gesehen ist das aber ein Tropfen auf den heißen Stein." Denn auch wenn er wieder öffne, werde die Zahl der Gäste schließlich weit unter den bis zu 120 Campern liegen, die in guten Sommern seinen Platz bevölkerten. "Wir werden auf jeden Fall die Kapazität herunterschrauben", sagt Kramer. Auf der Zeltplatzwiese wolle er Parzellen errichten, auch die Wohnwagen sollen großzügiger gestellt werden.

Kramer rechnet auch in den kommenden zwei Jahren mit weniger Kunden. "Die Leute werden sicher noch länger sensibel bleiben, was Nähe betrifft", glaubt er. Deshalb habe er auch noch einen KfW-Kredit beantragt. Er sehe die Lage aber "relativ entspannt". Schließlich sei es nicht wie einst, als er mit seinem Gasthaus insgesamt 14 Mitarbeiter auf dem Platz hatte. Den von der Stadt gepachteten Campingplatz, den er 1997 im Alter von 24 Jahren übernommen hat, führt er derzeit alleine, nur seine Freundin helfe ab und zu mit, sagt er. Zwei Aushilfen stünden für bessere Zeiten bereit.

Die Pfingstferien werden in der grünen Oase an der Badstraße noch ruhig verlaufen. Eine gute Gelegenheit für vom Home-Office Gestresste, sich eines der Zelte zu nehmen. Mieten kann man die orangefarbenen "Büros" von Montag bis Samstag, für 25 Euro pro Tag von 8 bis 19 Uhr. Ihm sei klar, dass die "Camp-Offices" nicht für jeden gleichermaßen geeignet seien, sagt Kramer. Wer etwa dauernd Videokonferenzen führen müsse, sei vermutlich woanders besser aufgehoben. Für andere aber könnten sie "eine individuelle Alternative" sein. "Man kann gechillt an seinem Laptop arbeiten." Auf Facebook hat Kramer für die Idee spontan viele positive Kommentare bekommen. "Ich kann mir vorstellen, dass es ein paar Tage dauern wird", sagt Kramer. "Aber es wird schon laufen." Jedem, der Bedenken hat, rät er, das Büro im Zelt einfach mal auszuprobieren. Nach der Online-Buchung bekomme man eine pdf-Datei mit den Hygieneregeln, auf dem Campingplatz gebe es dann eine Einweisung. "Es ist ungewöhnlich", sagt Kramer zu seinem Angebot. "Aber es ist auch ungewöhnlich, eine Pandemie zu haben."

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SZ vom 03.06.2020/aip
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