Süddeutsche Zeitung

Podiumsgespräch:"Die Erinnerungsarbeit verkommt zu einem Ritual"

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Im Wolfratshauser Badehaus diskutieren Experten über die Frage, was rechtem Hass, Rassismus und Antisemitismus heutzutage entgegengesetzt werden kann und welche Ansätze wirkungslos bleiben.

Von Susanne Hauck, Wolfratshausen

Die offizielle Praxis des Gedenkens an die Shoah steht zunehmend in der Kritik. Gerade eben wurde wieder zum Holocaust-Gedenktag mit pietätvollen Reden und Blumen der NS-Opfer gedacht. Es gibt im Kalender viele solcher Tage, von Hitlers Machtübernahme bis zur Bücherverbrennung und dem Kriegsende, an denen jedes Jahr aufs Neue gemahnt und erinnert wird. Mittlerweile werden die Stimmen lauter, die dieser gebetsmühlenartigen und teils in Floskeln erstarrten Gedenkpolitik Wirkungslosigkeit gegen den zunehmenden Rechtsextremismus vorwerfen. Judenwitze, Hakenkreuzschmierereien, Pöbeleien und Anfeindungen nehmen erschreckend zu, die rassistischen Anschläge von Halle oder Hanau liegen nicht lang zurück.

Um diese Debatte ging es am Sonntag auch im Badehaus. "Deutschland ist Erinnerungsweltmeister", so eröffnete Jonathan Coenen die Podiumsdiskussion. Der stellvertretende Vorsitzende des Wolfratshauser Erinnerungsorts, der vergangenes Jahr seine Bachelor-Arbeit über Rechtsextremismus abgeschlossen hat, wollte von seinen Gästen wissen, was die bisherigen Ansätze gegen Antisemitismus und Rassismus ausrichten können.

Für Stephan Conrad sind die formelhaften Gedenkzeremonien weitgehend sinnlos, weil sie an der Oberfläche bleiben: "Die Erinnerungsarbeit verkommt zu einem Ritual, bei dem ein Kranz abgelegt wird und damit ist es abgehakt." Conrad kommt aus Döbeln, einer sächsischen Kleinstadt, die seit vielen Jahren gegen die rechte Szene kämpft. Er ist dort Leiter des Bürgerzentrums Treibhaus, das Jugendlichen mit verschiedenen Angeboten beispielhaft eine Alternative zu Nazi-Gedankengut bietet. Wie das Badehaus hat das Treibhaus im vergangenen Jahr den internationalen Obermayer-Award für sein demokratisches Engagement erhalten.

Jüdisches Leben als Bestandteil der Kultur

Einig waren sich alle, worin die große Gefahr bestehe: dass rechtes Gedankengut mit AfD und Konsorten längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei. Nachdem die Badehaus-Vorsitzende Sybille Krafft ein paar erschreckende Zahlen präsentiert hatte - in Bayern gibt es etwa 2700 Rechtsextremisten, mehr als ein Drittel davon sind gewaltbereit - lautete also die Kernfrage, wie moderne Erinnerungsarbeit aussehen muss, damit sie gegen rechten Hass nicht wirkungslos verpufft.

Es gelang Moderator Coenen und seinen Gästen, etliche wichtige Punkte herauszuarbeiten. Für Rupert Grübl, den Direktor der Landeszentrale für politische Bildung in Bayern, besteht der Kardinalfehler darin, den Antisemitismus immer nur aus der Perspektive der Shoah anzugehen. Denn so werde das Judentum stets nur im negativen Kontext der Opferrolle begriffen. Grübl hält es für wichtiger, das jüdische Leben nicht als etwas Fremdes, sondern als lebendigen Bestandteil unserer Kultur zu vermitteln. Ein weiteres Bollwerk sei die gute Zusammenarbeit zwischen politischen Organisationen und der Zivilgesellschaft. Längst habe auch die Landeszentrale ein eigenes Referat zur Bekämpfung des Rechtsextremismus eingerichtet.

Auf dem Podium saß auch Tahera Ameer von der Amadeu-Antonio-Stiftung. Die Berliner Einrichtung, die sich für eine offene und demokratische Gesellschaft einsetzt, hat sich nach Amadeu Antonio benannt, der 1991 in Eberswalde von Rechtsextremen zu Tode geprügelt wurde. Die Vorsitzende verspricht sich am meisten von dem unermüdlichen Engagement Einzelner, die auch in rechten Hochburgen Zivilcourage zeigen. "Wir brauchen Leute, die sich vor Ort der Gefahr stellen."

"Widersprechen statt aus falscher Rücksicht schweigen"

Die Zustände in Döbeln, von denen Treibhaus-Leiter Stephan Conrad berichtete, ließen die Zuhörer schaudern. Die Einrichtung wurde vor 25 Jahren als Schutzraum für Jugendliche vor prügelnden Neonazis eingerichtet und erlebte anfangs viele Anfeindungen, es wurden Autos in Brand gesetzt und Anschläge mit Buttersäure verübt. Noch heute kommen die Fenster des Treffs nicht ohne Gitterschutz aus. Conrad machte klar, dass die schulbuchhafte Gedenkkultur wenig erfolgversprechend sei. Bessere Erfahrungen hat er damit gemacht, den Jugendlichen einen persönlichen Bezug zur Geschichte zu ermöglichen, indem sie beispielsweise mit Führungen und Workshops die Vergangenheit ihres Orts erkunden.

Was denn der Einzelne gegen Rechts tun könne, wollte Coenen zum Schluss von seinen Gästen wissen. Immer wieder die eigene oft selbstgefällige Einstellung kritisch hinterfragen, war die Antwort von Tahera Ameer. Für Rupert Grübl von der Landeszentrale ist es am Wichtigsten, bei den Kindern anzufangen und ihnen Werte wie Freiheit, Toleranz und Respekt vorzuleben. Denn irgendwann sei es zu spät: "Aus einem erwachsenen Hardcore-Neonazi wird nie mehr ein Demokrat." Zur Wahl zu gehen und auch selbst bei der Kommunalpolitik aktiv zu werden, war die Empfehlung von Stephan Conrad. Und nicht einfach hinzunehmen, wenn rechte Stammtischparolen verbreitet werden. "Man sollte widersprechen und nicht aus falscher Rücksicht schweigen, wenn auf Arbeit oder in der Familie Blödsinn erzählt wird."

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