Süddeutsche Zeitung

Kindesmissbrauch:62-Jähriger lockt Mädchen in Wohnung

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Der Mann gibt zu, eine Neunjährige mit Küssen bedrängt zu haben. Der Richter spricht von "Horror" und verhängt eine Freiheitsstrafe auf Bewährung.

Von Claudia Koestler, Wolfratshausen

Was an jenem Tag im Mai 2014 in einem Ort im Landkreis passierte, "ist der reinste Horror für jede Mutter und jeden Vater: dass ein Kind mit einem Fremden mitgeht und man keine Kontrolle mehr darüber hat, was passiert", sagte Richter Urs Wäckerlin. Er verurteilte am Dienstag einen heute 62-jährigen Mann, der ein damals neunjähriges Mädchen mit in seine Wohnung genommen und es dort mehrfach im Gesicht, am Hals und Dekolleté geküsst hatte. Die Freiheitsstrafe von zehn Monaten wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen wurde auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Bevor es zu noch schlimmeren Handlungen kam, konnte das Mädchen aus der Wohnung fliehen.

Der Angeklagte hatte an jenem Tag seinen 60. Geburtstag gefeiert - zunächst alleine, aber mit reichlich Bier, das er an einer Tankstelle gekauft hatte und trank. An der Tankstelle traf er auf das Kind, das eine Gutschein-Karte für die Mutter kaufen sollte. Die beiden kannten sich flüchtig über die Eltern des Mädchens.

Der heute 62-Jährige kaufte dem Mädchen ein Eis und knipste ein paar Fotos von ihr. Dann schlug er ihr vor, sie könne bei ihm auf dem Computer spielen, das Mädchen ließ sich darauf ein. Auf dem Weg zur Wohnung des Mannes kamen sie am Elternhaus des Mädchens vorbei, wobei das Kind den Eltern sagte, sie laufe zu benachbarten Schulfreundinnen. In der Wohnung des Mannes angekommen, schoss er weitere Fotos von ihr, gab ihr einen Himbeertee zu trinken und griff selbst zu einem weiteren Bier.

Auf dem Sofa sitzend begann er schließlich, dem Mädchen durch das Haar zu streichen und sie zu küssen. Als sich das Mädchen sträubte und gehen wollte, hielt er die Neunjährige zunächst fest, ließ sie aber letztlich gehen. Allerdings rang er ihr noch ein Schweigeversprechen ab. Erst ein Jahr später erzählte das Kind den Vorfall seiner Mutter, die ihn sofort anzeigte.

Vor dem Wolfratshauser Amtsgericht gestand der Angeklagte am Dienstag die Tat: "Es ist so abgelaufen, wie es die Staatsanwaltschaft dargelegt hat", gab der Mann zu. In einem Schreiben habe er bereits erklärt, dass er bereue und sich zudem entschuldige. "Ich war unter Alkoholeinfluss, ich wusste nicht, was ich tat", sagte er . Von diesem Tag an habe er keinen Alkohol mehr getrunken. Eine Therapie habe er allerdings nicht absolviert. "So was brauch' ich nicht", sagte der Angeklagte. Es sei das erste Mal gewesen, dass er sich zu einem Kind hingezogen gefühlt habe.

Die ermittelnde Kripobeamtin sagte als Zeugin aus, die Mutter des Mädchens habe von dem Übergriff erfahren, als sie ein Jahr danach in einem Gespräch die Tochter warnen wollte, nicht so vertrauensselig zu sein und mit jedem mitzugehen. Der Angeklagte sei bei der Vernehmung kooperativ gewesen und habe erklärt, er habe die Tat nicht geplant, sondern es sei "über ihn gekommen". Für die Ermittlungsbeamten sei sein schlechtes Gewissen auffällig gewesen, auch ein Jahr nach dem Vorfall. "Er hat gemerkt, was er tut, ist nicht in Ordnung, hat sich aber an der Schwelle befunden", sagte die Beamtin.

Das Vorstrafenregister des Angeklagten belastete ihn allerdings schwer. Nicht nur saß der arbeitslose Angeklagte zwischen 1974 und 1983 mehrfach im Gefängnis wegen schwerer Diebstähle und Betrugs. 1991 wurde er zudem wegen Mordversuchs und versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu sieben Jahren Haft verurteilt. Die Staatsanwaltschaft forderte aufgrund dieser einschlägigen Vorstrafen eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten zur Bewährung, weil er seit dem Jahr 2000, in dem er zuletzt wegen Fahrens ohne Führerschein verurteilt worden war, nicht mehr straffällig geworden war. Zudem sollte der Angeklagte eine Geldstrafe von 1500 Euro erhalten.

Dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Freiheitsstrafe folgte Richter Wäckerlin in seinem Urteil, nicht aber der Forderung nach einer Geldstrafe. Stattdessen machte er dem Angeklagten zur Auflage, 150 Stunden soziale Dienste zu leisten. Da der Angeklagte Arbeitslosengeld beziehe, könnte eine Geldstrafe dazu führen, "sich dann wieder auf dunklen Kanälen Geld zu besorgen", befürchtete Wäckerlin. Zwei Jahre lang steht der Mann nun unter Aufsicht eines Bewährungshelfers.

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SZ vom 17.02.2016
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