Premiere im Tölzer Kurhaus:Real, surreal, nicht egal

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Er zieht andere Saiten auf, der Wolfgang Ferdinand in seinem Solo-Programm. Etwa auf eine Grab-Gabel. (Foto: Manfred Neubauer)

Der Künstler Wolfgang Ferdinand wagt als bayerischer Barde mit seinem Soloprogramm den Spagat zwischen lokalen Traditionen und weltoffenem Denken.

Von Claudia Koestler, Bad Tölz

Geplant war das sehr wahrscheinlich nicht, aber die Flucht aus dem Alltag geschieht an diesem Abend sanft. Der Septemberabend zeigt sich mild, im Kurpark tanzen die Falter, zwei Männer sitzen auf einer Bank und hören italienische Oper auf dem Handylautsprecher. Wer danach ins Kurhaus Bad Tölz eintritt, fühlt sich bereits angekommen in einer Parallelwelt. Und diese öffnet sich in den nächsten Stunden weiter, gewährt Einblick, wie Wolfgang Ferdinand Ramadan die Welt sieht. Eine Welt der Lyrismen und Aphorismen, des Aufbäumens und Aufschäumens, der Zartheit und Derbtheit, der Beschwörung des Bairischen, der Sehnsucht nach Frieden, Freude, und - ja, wenn’s dann auch noch Eierkuchen gibt, wen sollte das stören? Wolfgang Ferdinand präsentiert sein Solo-Programm „Real Bairisch“ in Bad Tölz, und zur Premiere an diesem Sonntagabend ist das Haus sehr gut besucht.

Der Künstler - man kann es sich nur schwer verkneifen, kurz ins Englische abzudriften und in Anlehnung an Princes Namenswechsel zu schreiben „the artist formerly known as Wolfgang Ramadan“ - erklärt die Umtauferei mit der Publikumswirksamkeit. „Wenn Ramadan auftritt, kommt kein Bayer, und die Muslime sind enttäuscht, weil ein Bayer auf der Bühne steht.“ Weil aber nicht nur er selbst, sondern auch sein Programm sehr geprägt sind von diesem besonderen Landstrich, beschränkt er seinen Künstlernamen aktuell auf die Vornamen.

Doch genug des Rahmens. Oder Halt, noch kurz zum Setting: Auf der Bühne warten mehrere Gitarren auf ihren Einsatz, rechts und links zwei mit einem Peace-Zeichen als Korpus. Diese Botschaft zieht sich später wie ein roter Faden durchs Programm, wie der Wunsch nach Orgasmen, am besten gleich multiplen. Den Abend eröffnet er mit einem bluesigen Riff auf einer Grab-Gabel, nicht unähnlich einer Heugabel, aber mit breiteren Zinken. Die habe er, plaudert er drauflos, während der Pandemie gebastelt, „damit ich die Kultur wieder ausgraben kann“.

Nach einer ersten Mitmachübung fürs Publikum, in der alle klatschen sollen, weil das Applaudieren „dieselben Hirnregionen anspricht wie ein Orgasmus“, ist der Höhepunkt allerdings noch lange nicht erreicht. Auf dem Weg in tiefere Regionen werden erste Aphorismen wie Brotkrumen gestreut: „Lieber Gebrauchslyrik als Lyrik, die keiner braucht“, „Lieber g’scheit fett als schee bläd“, und dann ein Liebesgedicht, das mit einem Wort auskommt – und einer Geste: Er zerreißt ein Blatt Papier, lässt es fallen und sagt „Sense“.

Wer es da noch nicht weiß, dem sagt es Wolfgang Ferdinand geradeaus ins Gesicht: „Karl Valentin ist mein Guru.“ Ihm eifert er fleißig nach mit seinen Sprüchen und Aphorismen, und ja, auch mit seinen Liedern und Betrachtungen. Manches bringt er dabei tatsächlich sehr treffend auf den Punkt: „Comedy heißt losgelacht, Kabarett heißt nachgedacht.“

So ganz entschieden hat sich Wolfgang Ferdinand aber noch nicht zwischen diesen beiden Polen, muss er auch gar nicht. Vielmehr versucht er, seine eigene Marke zu sein zwischen Biografie und Belletristik, Weisheit und Witz, Philosophie und Valentin. Die vermeintliche Leichtigkeit hat aber auch einen Anker im Schmerz, den der Künstler erfahren hat – und den vielleicht manche im Publikum teilen. Etwa, wenn ein anderer „Guru“ erwähnt wird, Robert Zimmermann alias Bob Dylan, dessen friedensbewegte Songs in der heutigen Zeit nachgerade verloren wirken. „Soll man Anti-Kriegslieder singen, wenn sie gar nichts bringen?“, reimt Wolfgang Ferdinand und macht es grad mit Fleiß – mit einer bairischen Version von „Masters of War“.

„Wo die Liebe krepiert, hat sie nie existiert“, eröffnet Ferdinand den zweiten Teil und erzählt, wie er als Zwölfjähriger an der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in München teilgenommen hat als Tänzer der Schäffler. Im Anschluss hätten die Friedenstauben jedoch den Weg nicht aus dem Stadion gefunden, seien Runde um Runde geflogen und hätten ihm wie den anderen dabei fröhlich auf den Kopf geschissen. Dass er begann, Sitzkissen als Kopfschutz zu verteilen und Stadionsprecher Blacky Fuchsberger – die Älteren werden sich erinnern – lauthals lobte „Kinder, Ihr seid’s super“, das habe ihn wie einen Helden fühlen lassen. Ein Höhenflug, kurz darauf jäh zerbombt durch das schreckliche Attentat. Das Leben, eine Achterbahnfahrt. Am Ende übersetzt Ferdinand das Friedensgebet von Franz von Assisi neu, proklamiert „lieber Maßkrüg’ als Weltkrieg“, betont mehrfach, welch Gnade es ist, in diesem Bayernland leben zu können. Er spielt seinen Stiefvater durch alle Jahreszeiten nach, wagt den Spagat zwischen zwei eigentlich unvereinbaren Lagern, 1860er und Bayern per Kappe mit den Logos beider Fußballvereine und verbeugt sich mit der Erinnerung an den ersten Rausch („I hob’ g’lernt, a Norgerl is’ a Kindergetränk“).

Eine Gratwanderung, der Abend, zwischen bayerischen Traditionen und weltoffenem Denken, Sehnsucht und Sinnsuche. In einer Zeit der vereinfachten Weltbilder und dem Schielen nach Schablonen der Erfolgsfaktoren aber durchaus erfrischend unterhaltsam, weil sehr eigen. Und damit wiederum sehr bayerisch. Real Bairisch also.

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