Wohnungsmarkt im Oberland:Angst vor der Abwärtsspirale

Wohnungsmarkt im Oberland: Sie erleben die Wohnungsnot in der Region gerade am eigenen Leib, lassen sich aber die Hoffnung auf einen passenden Vermieter und den Lebensmut nicht nehmen: Die Familie Herold aus Ebenhausen mit (von links) Aurelia, Linus, Lavinia, Stephanie Herold, Helena und Maximus.

Sie erleben die Wohnungsnot in der Region gerade am eigenen Leib, lassen sich aber die Hoffnung auf einen passenden Vermieter und den Lebensmut nicht nehmen: Die Familie Herold aus Ebenhausen mit (von links) Aurelia, Linus, Lavinia, Stephanie Herold, Helena und Maximus.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Stephanie Herold hat schon viel versucht, um zwischen Schäftlarn und Geretsried eine Wohnung für sich und ihre fünf Kinder zu finden - sehr viel. Doch die Probleme und Hürden werden für die Alleinerziehende mehr statt weniger

Von Marie Heßlinger, Schäftlarn

Am linken Tischende sitzt Aurelia, fünf Jahre alt, und formt Knete, am rechten Kopfende der siebenjährige Linus und legt Holzwürfel zu Mustern zusammen. Hinter der Küchenzeile sieht man Lavinia verschwinden, die Achtjährige hat gelben Blütenstaub auf der Nase und rosa Lippen, im Nebenraum sind Helena, zehn, und Maximus, elf. Die Mutter sitzt in der Mitte, eine schlanke Frau in rotem Kleid, mit frechem Pony und einem Lächeln wie Cameron Diaz. Sie erzählt von ihrer Wohnungssuche. "Mama, Du kannst auch ein bisschen von meinem Geld", sagt Linus. "Ja, Schatz. Alles gut", sagt Stephanie Herold und lächelt. Dabei ist eigentlich, von außen betrachtet, gar nicht alles gut.

Mit 28 Jahren lernte Stephanie Herold ihren Mann kennen, sie bekamen fünf Kinder, er arbeitete als Unternehmensberater, sie, gelernte Anwaltsgehilfin und spätere Bankmitarbeiterin, wurde zur Hausfrau. So erzählt Herold es. Elf Jahre später, im vergangenen Herbst, trennte sich das Paar laut ihren Angaben. Herold will nicht, dass man Kontakt zu ihrem Ex-Mann aufnimmt. Ihre Geschichte ist nun die einer Frau, die darum kämpft, nicht in eine Abwärtsspirale zu geraten. Die 39-Jährige sucht einen Job und vor allem: eine günstigere Wohnung. Doch das scheint mit fünf Kindern unmöglich.

Seit Monaten sucht Herold nach einem neuen Zuhause, gerne zwischen Hohenschäftlarn und Geretsried, am besten mit Busanbindung. Weil die Mietpreise in der Region oft Herolds Budget übersteigen, würde sie jede anständige Aufgabe annehmen, um die Differenz zum Mietpreis mit ihrer Arbeitskraft auszugleichen: Sie würde als Hausmeisterin arbeiten und Treppen putzen, sie würde Buchhaltung machen und Gärten pflegen, älteren Menschen helfen oder auf einem Bauernhof anpacken und in einem Gasthof kellnern. Sie sei sich zum Anpacken nicht zu schade, sagt Herold, sie brauche nur eine Starthilfe. "Ich stehe auch keiner Mieterhöhung im Weg, sobald ich Geld verdiene." Bisher bekam Herold trotzdem nur Absagen bei ihrer Suche nach einer Bleibe. "Wenn ich für eine kleinere Wohnung anfrage, dann halten sich alle die Ohren zu: Was, fünf Kinder? Drei Zimmer?"

Herold sitzt aufrecht am Tisch, mit einer Tasse Kaffee vor sich, wenn die Kinder Fragen haben, antwortet sie freundlich, gelassen. In ihren Augen blitzt etwas Amüsiertes, Herold lacht viel, vor allem, wenn die Kinder Lustiges machen. Zum Beispiel, als sie im Nebenzimmer im Chor die Sekunden zählen, während es draußen donnert und blitzt. Vielleicht gibt sie sich gerade jetzt Mühe, nicht ängstlich zu wirken. "Karma wird es schon richten", sagt sie. Aber als Linus nach Schokolade sucht, und nach der Backkiste greift, hält sie ihn zurück. "Nein, die ist für den nächsten Geburtstag." Als er protestiert, dass der doch erst im September sei, fügt sie leiser hinzu: "Man weiß nie, was kommt."

Herold und ihre Kinder wohnen im Schäftlarner Ortsteil Ebenhausen in einer Fünfeinhalbzimmer-Wohnung für 3000 Euro kalt. Der Wohn- und Essbereich ist geräumig, auf der Tischplatte steht eine Schale mit Kirschen, auf einem Teller liegen Apfelstücke. "Es muss nur ein Eigentümer verstehen, dass ich fleißig bin, dass wir sauber sind", sagt Herold.

Zusammen mit ihrem Mann hat Herold in Berlin gelebt, in Dubai, in Istanbul und Alicante. "Dann wollte ich einfach wieder nach Hause", sagt sie. Vor drei Jahren zog die Familie nach Ebenhausen. Die Kinder gehen auf die Waldorfschule in Geretsried, die jüngste, Aurelia, noch in den Schäftlarner Kindergarten. Sie haben Freunde in der Nachbarschaft, sagt Herold, sie seien hier sozialisiert, integriert, beliebt. Ihnen zuliebe würde sie am liebsten in Schäftlarn bleiben. Schon einmal musste Lavinia ihre beste Freundin in Berlin lassen. "Die Kinder haben gesagt: Wir wollen nicht mehr reisen."

Um eine Wohnung im Umkreis zu finden, hat Herold Anzeigen auf Facebook gepostet und den Bürgermeister um Hilfe gebeten, sie hat von Hand Postkarten in Briefkästen geworfen und freundlich an wildfremde Wohnungen geklingelt, sie hat ein Bewerbertraining bei der AWO Wohnungsnothilfe gemacht, und die Kassiererinnen im örtlichen Drogeriemarkt angesprochen. Doch ihre Anfragen blieben meist unbeantwortet. Eine Vermieterin habe eine Wohnung über Wochen im Internet stehen gehabt, doch Herolds Anfragen habe sie trotzdem wegen der Kinder abgelehnt, sagt sie. Bestimmt habe sie an die 150 Menschen kontaktiert, schätzt sie.

Einmal hat Herold sich auf zwei Gemeindewohnungen in Schäftlarn beworben - ihre Familie hätte in der einen Wohnung im einen Stockwerk geschlafen, in der anderen hätte der Wohnbereich sein können. Doch der Gemeinderat lehnte ab. "Es gab damals sozial dringlichere Fälle", begründet Bürgermeister Christian Fürst (CSU) die Absage. In den vergangenen zwei Jahren entstanden in Schäftlarn 15 neue Gemeindewohnungen, bald sollen sieben weitere gebaut werden. Doch das reiche nicht, um die Wohnungsnot zu bekämpfen, sagt Fürst. "Selbst wenn alle Gemeinden im Umland jedes Jahr ein Wohnhaus bauen würden, wäre das Problem nicht mehr gelöst." Er findet, der Staat, der Bund, müsse wieder sozialen Wohnungsbau betreiben wie in den 1950er bis 1970er Jahren.

Herold indes will eigentlich aufgrund von Erfahrungen in der eigenen Vergangenheit nicht in einen typischen Sozialbau. "Meine Kinder sind höflich und gepflegt", sagt sie. "Es ist mir ein Anliegen, dass die Kinder wohlbehütet aufwachsen." Für sie liegt die Lösung ihres Problemes eigentlich vor ihrer Haustüre. Nur zwei Hausnummern weiter hat sie eine Fünfeinhalbzimmer-Wohnung für 1500 Euro Kaltmiete gefunden. Doch ausgerechnet der Staat, das Jobcenter, würde sie, obgleich die neue Wohnung günstiger wäre, nicht bei der Zahlung von Umzugs- und Kautionskosten unterstützen. Denn wegen einer Corona-Ausnahmeregelung zahle das Arbeitsamt ihr zwar insgesamt rund 2800 Euro für die aktuelle Wohnung, sagt Herold, aber da die neue Wohnung über der eigentlichen Obergrenze von 1320 Euro liege, würde es die Umzugs- und Kautionskosten nicht tragen. Zu Herolds Einzelfall will sich das Arbeitsamt aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht äußern. Doch es bestätigt die Regelung, dass Umzugs- und Kautionskosten nicht getragen werden, wenn die Mietobergrenze überschritten wird. Eigentlich würde das Arbeitsamt mit Herolds Umzug Geld sparen. "Das ist Steuergeld", sagt Herold. Dass sie beim Umzug trotzdem nicht unterstützt wird, findet sie "das Oberknallerding." Doch Umzugskartons und Kaution alleine zahlen kann sie nicht. "Herr Fürst weiß Bescheid, die Gemeinde weiß Bescheid, die Ämter wissen Bescheid - alle wissen Bescheid", sagt Herold. "Die Lösung liegt hier vor der Haustüre." Doch diese Hoffnung hat sich zwischenzeitlich zerschlagen - wenige Tage nach dem Gespräch war auch diese Wohnung anderweitig vergeben. Verzweifeln will Herold trotzdem nicht. "Ich glaube nicht, dass ich dauerhaft auf Arbeitssuche bin", sagt sie. "Ich bin viel zu fleißig und tüchtig dafür." Ihr Bruder habe es mal so formuliert: "Du bist jetzt ein Opfer, aber kein Opfertyp." Hilfe kann sie jetzt dennoch gebrauchen.

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