Wochenendausstellung in der Schlehdorfer "Kunstfabrik":Klänge sehen - Bilder hören

Lesezeit: 3 Min.

Rita De Muynck malt synästhetisch und lädt Besucher dazu ein, Kunst tiefer wahrzunehmen als gewohnt

Von Felicitas Amler, Schlehdorf

Sitzen. Hören. Sehen. Besser noch: Entspannen. Hinschauen. Zuhören. Wer sich im Atelier von Rita De Muynck darauf einlässt, kann eine Ahnung davon bekommen, was die Künstlerin Besuchern ihrer Ausstellung nahebringen möchte - eine tiefere Wahrnehmung von Kunst. Die gleichzeitige Aktivierung verschiedener Sinne, wissenschaftlich ausgedrückt und im besten Fall des Erlebens: Synästhesie. De Muynck experimentiert seit zwanzig Jahren mit diesem Phänomen. Sie hört sich in einem tranceähnlichen Zustand völliger Entspannung Musik an, spürt und sieht und hört Farben, Formen, Figuren. Erst später, es können Tage oder Monate vergehen, bringt sie diese Bilder auf die Leinwand. Drei davon hängen in der aktuellen Schau in De Muyncks Schlehdorfer "Kunstfabrik".

Besucher können sich auf Sesseln vor den Gemälden niederlassen, die Künstlerin schaltet genau jene Musik an, bei denen sie die Bilder gehört-gesehen hat, und tatsächlich wandelt sich die Wahrnehmung auch beim Schauenden: Hat sich das bedrohlich schlundartige, aber so grandios pink-rote Wesen in dem geheimnisvollen Wald nicht gerade im Takt der Musik bewegt? Leuchtet das Licht plötzlich stärker? Knistert es im Geäst, pulsiert etwas und gewinnt an Größe?

Nun gut, könnte man sagen, Assoziationen hat man ja oft, wenn man Musik hört. Energisches Nein der Künstlerin: Das Erleben von Synästhesie sei nicht identisch mit Assoziationen. "Es werden Bilder generiert, die für einen selber überraschend sind." Ganz oft denke sie angesichts ihrer synästhetischen Impressionen: "Ja, da schau her! Was haben wir denn da?" Assoziationen? De Muynck sagt: "Ich gehe tiefer." Und Wissenschaftlerin, die sie ist, kann sie's auch erklären.

Rita de Muynck vor ihrem Gemälde "Diving Down". (Foto: Harry Wolfsbauer)

Rita De Muynck hat vor ihrem Studium an der Kunstakademie als Psychologin am Max-Planck-Institut gearbeitet. Hirnforschung ist ihr vertraut. Sie nimmt ein Blatt Papier. Zeichnet ein Oval, über dem sich ein größeres wölbt, darüber noch ein größeren. Sie scribbelt, schraffiert und erklärt: Reptiliengehirn, limbisches System, Neocortex. Sie zeigt auf die mittlere Ebene: "Synästhesien entstehen im limbischen System, aber an der Grenze zum Neocortex." Auch Kunst komme ja aus den tieferen Schichten, sagt sie - und: "Empathie."

Klein, zierlich, agil, lachende Augen, klug, gewitzt und so voller Energie: Rita De Muynck ist die lebende Synthese von Herz und Hirn. Und sie arbeitet als Künstlerin in einem Spannungsfeld aus Intuition und Intellekt. Ihre Traumbilder, die sie mit frischen Eindrücken gleich nach dem Erwachen zeichnet oder malt, sind so unmöglich, wie Träume es eben sind. Über eines davon lacht sie jetzt noch; sie habe sogar den Titel dazu geträumt: "Ich, nass geworden." Auf einer Wäscheleine baumelt sie also - in Einzelteilen: ein Kopf, daneben ein Arm, ein wenig Busen und Po, alles sauber aufgehängt zum Trocknen. Sie ist Psychologin, verfügt über das Repertoire, um solche Träume zu deuten. Tut sie aber nicht. Sie schaut die Bilder an, "als ob ich in einem Terrain bin, wo es ganz interessant ist". Das zu "verwörtlichen" würde dem ganzen den Zauber nehmen. "Es kommt dann in eine Ecke im Gehirn, wo es anders ist, als wenn nur das Bild bildnerisch sprechen darf."

"Resist in beauty"

Was die Künstlerin selbst über ihre Bilder spricht, ist teils hochaktuell und politisch. Das grelle Gemälde eines tollwütigen Hundes habe sie am 8. November 2016 gemalt, sagt sie. Was war da gleich wieder? "Da ging die Welt zugrunde. Trump wurde gewählt." Unter dem tobenden Tier ragt eine Hand ins Bild, die offenbar versucht, die Bestie zu stoppen. "Ein Menschlein", sagt De Muynck und unterstreicht damit die Schwäche der gemalten Geste.

"Resist in Beauty" steht auf einem anderen Bild, das eine leidenschaftlich aufbegehrende Person zeigt. Widerstand, das sei ihr Thema, sagt De Muynck: Mit Kunst etwas zu tun - "gegen die Hässlichkeit, gegen die Schreckgespenster".

Umso wichtiger ist ihr ein Forschungsprojekt, das sie begleitend zur Vorbereitung ihrer Ausstellung im Ismaninger Kallmann-Museum mit dessen Leiter Rasmus Kleine und dem Wissenschaftshistoriker Andreas Kühne begonnen hat: Was sind Museumsbesucher für Menschen? Dank einem Riesenpool an Persönlichkeitsdaten aus Cambridge und Stanford, auf den sie Zugriff hat, kann sie so viel schon sagen: Wer gern oder sehr gern in Kunstmuseen geht, hat eine offene Weltsicht, ist tolerant, empathisch, altruistisch und selbstbestimmt. Starke Argumente, so findet De Muynck, für sehr viel mehr Kunstunterricht an Schulen. Entschiedener denn je sei sie der Meinung, dass Kunst "so richtig" gefördert werden müsse. Denn: "Kunst öffnet das Hirn."

Kunstfabrik, Reuterbühler Straße 15, Schlehdorf, Samstag/Sonntag, 25./26. Mai, 11 bis 17 Uhr; mit Tonbeispielen jeweils um 14.30 und 16 Uhr

© SZ vom 23.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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