Woche der seelischen Gesundheit:Chancen nach der Krise

Der ReAL Verbund Isarwinkel vermittelt psychisch Kranken nach der Therapie Praktika, um wieder ins Leben zu finden. Drei Tölzer Arbeitgeber haben damit durchwegs positive Erfahrungen gemacht

Von Claudia Koestler, Bad Tölz

Psychisch erkrankte Menschen haben es nach wie vor schwer in der Gesellschaft - auch wenn Depressionen, Schizophrenie oder Persönlichkeitsstörungen heute stärker im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Wer erfolgreich eine Therapie hinter sich gebracht hat, steht vor einer weiteren Hürde zurück ins Leben: trotz der psychischen Störung zurück in den Arbeitsalltag finden. Hier setzt der ReAL Verbund Isarwinkel an. Seit 2016 werden dort Klienten aus ganz Deutschland mit einem individuellen Rehabilitationsplans nicht nur medizinisch-therapeutisch betreut, sondern auch in Praktika und teilweise in Ausbildung vermittelt.

Das geschieht im Rahmen der "Rehabilitation für Menschen mit psychischen Erkrankungen", kurz RPK genannt, in Bad Tölz. Diese Abteilung bietet sowohl stationäre als auch ambulante Aufenthalte an. Ziel ist die berufliche und soziale Wiedereingliederung. 46 Menschen konnten so bereits den Schritt zurück in die Arbeitswelt und ein selbstbestimmtes Leben wagen, aktuell sind bei ReAL 15 Klienten in Betreuung und Vermittlung.

Für eine Wiedereingliederung braucht es jedoch auch Arbeitgeber, die bereit sind, einem psychisch Kranken einen Praktikumsplatz anzubieten. Rosalie Dirmeier, Studentin der Sozialen Arbeit im Team Eignung-Vermittlung-Arbeit (EVA) bei ReAL, will regionale Betriebe dafür zu gewinnen - und greift auf die Erfahrungen anderer zurück. Zur Woche der seelischen Gesundheit hat Dirmeier ein Pressegespräch mit Unternehmern anberaumt, die psychisch Kranken bereits einen bedarfsgerechten Arbeitsplatz anbieten. Beate Reindl, Inhaberin des Cafés "Rendezvous der Genüsse" in Bad Tölz, Anke Matthäi, Verkaufsleiterin der Bäckerei Wiedemann und Michael Sauerhöfer, stellvertretender Vertriebsleiter der Stadtwerke Bad Tölz, teilten ihre Erfahrungen.

Woche der seelischen Gesundheit: Die Abteilung "Rehabilitation für Menschen mit psychischen Erkrankungen" in Tölz vermittelt auch Praktika.

Die Abteilung "Rehabilitation für Menschen mit psychischen Erkrankungen" in Tölz vermittelt auch Praktika.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

"Die Kooperation hat sich ein bisschen eingeschlichen", erzählte Reindl. 2012 seien Mitarbeiter der RPK auf sie zugekommen. In der Bäckerei Wiedemann waren in der Vergangenheit bereits Auszubildende mit eingeschränkter Lernfähigkeit willkommen. Seit 2016 arbeitet der Betrieb auch mit der RPK zusammen. Etwas länger schon bieten die Stadtwerke Praktika für Menschen mit psychischen Einschränkungen an. "Wir wollten es einfach ausprobieren", erinnert sich Sauerhöfer an die Anfänge. Vorurteile hätten er und seine Mitarbeiter keine gehegt: "Wir wollten einfach sehen, wie es läuft." Der Betreuungsaufwand sei "natürlich höher", sagt Matthäi. Oft müsse man die Dinge mehrfach erklären. Dass manches ein bisschen länger dauere, nehme man aber gerne in Kauf: "Bei so gut wie allen sieht man, dass sie mehr und mehr in Tritt kommen", sagt die Verkaufsleiterin über die Praktikanten der RPK. Eine positive Bilanz zieht auch Sauerhöfer: "Für uns waren und sind die Praktikanten mit psychischen Einschränkungen eine Hilfe im Tagesgeschäft, und wir sehen fast immer eine gute Entwicklung, nicht nur von der Arbeit, auch von der Persönlichkeit her".

Ausschlaggebend sei für die Stadtwerke gewesen, dass die Praktikanten "auch für uns eine Stütze" seien. Zwar dürften sie natürlich nicht mit einer Vollzeitarbeitskraft gleich gesetzt werden. "Aber es muss auch eine Unterstützung für uns als Betrieb sein. Wenn es nur die Mannschaft belastet ohne Mehrwert, dann würde es nicht funktionieren", betont Sauerhöfer. Dass es in so gut wie allen Fällen klappt, liegt auch daran, dass zuvor mit den Mitarbeitern der RPK intensiv die Chancen und Risiken abgeklopft werden: "Wir halten jeweils vier Plätze zur Eignungsabklärung vor, die wiederum vier Wochen dauert", erklärt Dirmeier. Dabei wird der passende Arbeitsbereich samt Stundenkontingent gesucht. "Wie lange das Praktikum dauert und was die Aufgaben sind, wird individuell zugeschnitten", bestätigt Reindl.

Woche der seelischen Gesundheit: Tanja Buburas und Rosalie Dirmeier sprechen mit Arbeitgeberin Anke Matthäi (v.li.).

Tanja Buburas und Rosalie Dirmeier sprechen mit Arbeitgeberin Anke Matthäi (v.li.).

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Die meisten Klienten haben bei Antritt ihres Praktikums schon einen langen, schwierigen Weg hinter sich: Psychische Erkrankungen führten häufig zu sehr langen Krankschreibungen, sagt Dirmeier, die Klienten seien also oft schon lange ohne Arbeitsalltag. Laut einer Studie der Bundespsychotherapeutenkammer sind psychische Erkrankungen der dritthäufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit. Sie haben auch volkswirtschaftliche Folgen. Es brauche nicht viel, um eine akute Krise auszulösen, warnt Reindl: "In vielen Branchen wird heutzutage sehr auf Flexibilität, Schnelligkeit und Leistung geachtet, der Druck nimmt ständig zu, das Thema Burnout ist ja längst in aller Munde".

Negative Erfahrungen haben die drei Arbeitgeber bislang nicht gemacht. Geblieben sind stattdessen viele positive Eindrücke und Kontakte. Einer der Praktikanten der Bäckerei Wiedemann schaffte es gar vom Praktikum in die Ausbildung und ist heute einer der besten Lehrlinge, wie Matthäi stolz erzählt. Reindl hat ebenfalls noch zu vielen ehemaligen Mitarbeitern Kontakt: "Man freut sich immer sehr, zu hören, dass es weiter bergauf ging". So wie bei einer jungen Frau, die nach einer Vergewaltigung an Depressionen erkrankte, bei ihr im Café wieder zurück in ein geregeltes Leben fand und heute im Ausland erfolgreich arbeitet.

Auch die Arbeitgeber nehmen viel Gutes mit aus der Kooperation, wie sie betonen: "Zum Beispiel, dass man mehr auf sich achten sollte", sagt Beate Reindl. "Und man wird aufmerksamer seinem Umfeld gegenüber. An den Praktikanten im Café sieht man täglich, dass es zu viel werden kann. Es muss auch mal ohne einen gehen."

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