Wirtschaft in Dietramszell:Ende einer Trachtenära

Uschi Disl gibt nach fast 30 Jahren ihre überregional bekannte Schneiderei und ihr Stoffgeschäft in Großegelsee auf - um künftig mehr Zeit mit ihren Enkeln verbringen zu können. Ein Nachfolger ist bisher noch nicht in Sicht

Von Annika Bingger, Dietramszell

Der erste Eindruck: klassisch, modern und elegant zugleich. Uschi Disl trägt ein schwarzes, schlicht gehaltenes Dirndl, kombiniert mit einem knallgrünen Mieder, das silberne Knöpfe verschließen. Dazu trägt sie eine dezent gemusterte, beerenrote Schürze und eine weiße Bluse mit schmalen Ärmeln und Spitzendetails. Natürlich ist alles handgefertigt, schließlich ist Disl Schneiderin und fertigt Trachtenmode in allen möglichen Ausführungen und Variationen, ganz individuell. Doch nach nun fast 30 Jahren gibt sie ihr bekanntes Dirndl- und Trachtenstoffgeschäft in Großegelsee bei Dietramszell auf. "Ich bin jetzt 70", sagt sie. Das sei für sie Anlass, die Türen ihres Ladens Ende Juni endgültig zu schließen.

Seit 1992 ist Uschi Disl selbständig und näht mit ganzer Leidenschaft. Zahllose Dirndl hat sie im Laufe der Zeit geschneidert, obwohl sie ursprünglich einen ganz anderen Beruf gelernt hat, nämlich Bankkauffrau.

Disl ist die Mutter der gleichnamigen ehemaligen deutschen Biathletin und mehrfachen Weltcup- und Olympiasiegerin. Doch ihre Enkel sehe die Dietramszeller Schneiderin viel zu selten, ihre Tochter lebe inzwischen in Schweden. Um ihre Enkel zu sehen, brauche sie einfach Zeit, sagt Disl. Doch die habe sie im Moment noch nicht. "Ich stehe jeden Tag von morgens bis abends im Geschäft", erklärt sie. Hinter ihr liegen Dutzende Stoffe in Farbnuancen, die von Weinrot über Giftgrün bis Himmelblau reichen. Natürlich würde die 70-Jährige gerne weitermachen, aber früher oder später müsse sie diesen Entschluss sowieso fassen. Ein Nachfolger sei bisher jedoch nicht in Sicht.

Uschi Disl Trachten

Im Dirndl- und Trachtenstoffgeschäft von Uschi Disl in Großeglsee kaufen Jung und Alt vom Allgäu bis in den Chiemgau und darüber hinaus ein.

(Foto: Manfred Neubauer)

Im Laufe der Jahre hat Uschi Disl viele treue Kunden für sich gewinnen können. Sie sehe immer mal wieder bekannte Gesichter in ihrem Laden, Jung und Alt kaufen hier ein, im Geschäft herrscht eine fast schon familiäre Atmosphäre. "Da kommt man schon mal ins Ratschen", sagt die 70-Jährige. "Und wenn Zeit bleibt, dann gibt's auch mal eine Tasse Kaffee."

Doch nicht nur Kunden aus dem Landkreis kommen zu ihr, auch Käufer aus Südtirol oder dem Allgäu besuchen ihren Laden, um sich ein Dirndl von ihr anfertigen zu lassen. "Ich denke, die Beratung macht's aus", meint Disl. Ihr sei es einfach wichtig, dass die Qualität stimme. Disl bietet mehr als 1000 verschiedene Stoffe an. "Bei uns ist alles handgemacht, selbst die Knopflöcher nähen wir mit der Hand", erklärt die Schneiderin und zeigt auf ein dunkelrotes Mieder: "Manche nähen die Löcher mit der Maschine. Aber das sieht man, das macht einfach einen Unterschied", erklärt die 70-Jährige. Sie nutze zudem alte Techniken, wie das Fertigen von festen, mit Stäbchen verstärkten Miedern zum Beispiel. Ein solches selbst zu nähen benötige viel Zeit. Eine ganze Arbeitswoche brauche eine Schneiderin alleine dafür.

Disl blickt mit gemischten Gefühlen auf ihre berufliche Bahn zurück: "Insgesamt war es aber eine wunderbare Zeit. Die möchte ich nicht missen", sagt sie. Im Hintergrund beraten ihre Angestellten die Kundschaft. Es werden viele verschiedene Stoffe nebeneinandergelegt und diskutiert, welcher der Passende ist. "Ich habe einfach ein top Team", erklärt die Chefin. Zwölf Schneiderinnen sind bei Uschi Disl angestellt, zwei davon lernen momentan noch bei ihr: "Die zwei Mädchen haben im Sommer ihre Abschlussprüfung. Solange hat das Geschäft ja aber auch noch offen", erklärt sie.

Uschi Disl Trachten

Im Geschäft herrscht eine fast schon familiäre Atmosphäre. Doch im Sommer dieses Jahres ist Schluss.

(Foto: Manfred Neubauer)

Disl rechnet damit, dass die Tracht zukünftig eine "Hochkonjunktur" erfahren wird. Denn während Berufsschulen die Zukunft von Trachtenschneiderinnen eher schwarz malen, ist sie sich sicher, dass auch in 20 Jahren noch Dirndl per Hand genäht werden. "Beim Oktoberfest tragen heute alle eine Tracht", meint Disl. Früher, zu ihren Jugendzeiten, hätte es das jedoch nicht gegeben. "Da ging jeder mit Hose und Dirndlbluse", sagt die Schneiderin. Vergleichbar mit der "hiesigen" Tracht seien die heutigen Dirndl der Besucherinnen allerdings nicht. Doch wie in jeder Modebranche gäbe es auch in der Trachtenmode sich ständig ändernde Trends. Das konnte Uschi Disl während ihrer gesamten Zeit beobachten: "Ganz lange war die Landhausmode angesagt", sagt sie. Irgendwann seien dann große Ärmel modern geworden. Heute aber trage man wieder kurze, schmale Blusenärmel. Der Wechsel der Mode sei im Trachtengeschäft jedoch deutlich "nachhaltiger".

Bei Uschi Disl selbst hängen mehr als 20 verschiedene Dirndl im Kleiderschrank: "Ein paar davon kann ich gar nicht mehr anziehen. Bei manchen fehlen Knöpfe, bei anderen ist die Farbe verblasst oder ein Fleck auf der Schürze". Disl erzählt, dass ihre Tochter früher Preisverleihungen und Sportehrungen ausschließlich im Dirndl besuchte. "Das ist einfach unser Gwand", sagt sie.

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