"Wir suchen die Eier legende Wollmilchsau":Neue Doppelspitze bei Tölzer Knaben

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Live-Auftritte fehlen den Knaben derzeit. (Foto: Hartmut Pöstges)

Nachfolger von Clemens Haudum soll sich ganz auf den Konzertchor konzentrieren

Von Stephanie Schwaderer, München/Bad Tölz

Wer Singen, Klavierspielen und Dirigieren kann, über ein starkes Durchsetzungsvermögen verfügt und Spaß an pädagogischen Herausforderungen hat, könnte sich derzeit beim Tölzer Knabenchor bewerben. Geschäftsführerin Barbara Schmidt-Gaden will die Organisation des weltberühmten Chores neu strukturieren und ist auf der Suche nach einem Künstlerischen Leiter für den Konzertbereich. "Im Theater würde man sagen: Wir suchen die Eier legende Wollmilchsau", erklärt sie und lacht.

Seit 2014 gab es eine Doppelspitze bei der Künstlerischen Leitung. Clemens Haudum und Christian Fliegner teilten sich die Aufgabe, etwa 200 Buben in fünf Ausbildungsstufen zu unterrichten und mit den Ältesten, dem Konzertchor, auf Reisen zu gehen. 150 Auftritte hatten sie in Vor-Corona-Zeiten pro Jahr zu bewältigen - große Konzert- und Operndarbietungen in aller Welt, aber auch Einsätze bei Fernseh- und CD-Produktionen. Nun hat sich der 42-jährige Stimmbildner Haudum entschieden, seinen Posten abzugeben und sich stattdessen auf sein Theologiestudium zu konzentrieren und Pfarrer zu werden. "Das tut uns sehr leid", sagt Barbara Schmidt-Gaden, "aber wir kommen seinem Wunsch natürlich nach." Als Stimmbildner werde Haudum den Chor weiterhin unterstützen.

Die Zäsur solle nun dazu genutzt werden, die Personalstruktur zu optimieren. Ihr Vater, Gerhard Schmidt-Gaden, hatte den Chor 1956 gegründet und bis 2016 geleitet. Mittlerweile ist er 83 Jahre alt. Die beste Garantie, sein Erbe zu bewahren und weiterzutragen, sei Christian Fliegner, erklärt Barbara Schmidt-Gaden. "Ich sage immer: Er ist fast die Reinkarnation meines Vaters."

Der 44- jährige Tölzer ist dem Chor seit seiner Kindheit verbunden. Bereits als Achtjähriger übernahm Fliegner Solopartien und entwickelte sich zu einem der großen Solisten des Chores. 1992 wechselte er als Chorleiter und Stimmbildner auf die Lehrerseite. "All seine Tricks und all sein Fachwissen hat er von meinem Vater gelernt", sagt Barbara Schmidt-Gaden. Nun sei es ihm ein "großes Bedürfnis, dieses Wissen weiterzugeben". Fliegner wolle seine Tätigkeit daher künftig auf die Ausbildung der Chöre zwei bis fünf konzentrieren. Chor Nummer eins, der Konzertchor, soll hingegen von Haudums Nachfolger geleitet werden. Erstmals würden also Ausbildungs- und Konzertbereich klarer getrennt.

Frist bis Ende des Monats

Die Frage, ob der neue Kollege auch eine Kollegin sein könnte, bejaht Schmidt-Gaden: "Freilich! Wenn sie der pubertierenden Knaben Herr, besser: Frau, wird, dann ja." Etwa ein Dutzend Bewerbungen seien bislang bei ihr eingegangen. Die Frist läuft bis Ende des Monats.

Sorgen bereiten ihr die aktuellen Einschränkungen beim Unterricht, aber auch die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie. Während zuletzt Einzelunterricht möglich war, zwingen die steigenden Inzidenzen Kinder und Lehrer seit Mittwoch wieder in den Fernunterricht. "Selbst die Einzelstunden haben nicht wirklich weitergeholfen, weil gerade die ganz Kleinen noch keinen Chorgesang kennen und alleine nicht zweistimmig singen können." So blieben die Kinder "weit hinter dem zurück, was sie eigentlich leisten könnten". Gleichzeitig rücke das "Damoklesschwert Stimmbruch" immer schneller näher. Viele Buben verlören bereits mit zwölf oder 13 Jahren ihre reinen Sopranstimmen. "Da wird die Zeit knapp", sagt Schmidt-Gaden. "Was wir jetzt an kostbarerer Probenzeit verlieren, kann man hinterher nicht nachholen."

Zudem fehlten die Auftrittsmöglichkeiten. Einige Buben hätten noch nie vor Publikum gesungen. "Wir hoffen, zumindest ein paar Gottesdienste musikalisch umrahmen zu können, um den Kindern eine kleine Perspektive zu geben." Auftritte lieferten die Motivation zum Üben: "Dem Publikum eine Freude machen, sehen, wie die Leute reagieren, wenn ich schön singe."

In normalen Jahren hätte der Chor um diese Zeit 70 Neuzugänge, sagt die Geschäftsführerin. "In diesem Jahr sind es 18 Kinder. Viel zu wenig." Aufgrund der Corona-Pandemie sei das Casting in den Schulen ausgefallen. "Damit werden wir noch Jahre zu kämpfen haben."

© SZ vom 15.04.2021 / stsw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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