Süddeutsche Zeitung

Wildes Wachstum in Bad Heilbrunn:Kraut und Rüben

Lesezeit: 3 min

Hauptsache, keine Ordnung: Nach diesem eigenwilligen Konzept einer Permakultur bringt der österreichische Landwirt Sepp Holzer die Äcker der Stiftung Nantesbuch zum Grünen und Blühen

Von Nora Schumann, Bad Heilbrunn

Im Garten der Stiftung Nantesbuch herrscht Chaos: Nicht nur Kraut und Rüben, auch Bohnen, Mais, Kartoffeln und unzählige weitere Gemüsesorten wachsen wild neben- und übereinander. Wo die Großmutter überm Gemüsebeet die Hände über den Kopf schlagen würde, reibt sich Sepp Holzer, 67, zufrieden die Hände. Er steht in einer Gruppe junger Leute und hält eine Kartoffel in die Höhe. "Des, was die Leut sagen, musst vergessen", sagt er und zeigt auf die grüne Seite. Auch grüne Kartoffeln könne man gefahrlos essen, wenn sie gekocht seien.

Holzer ist Landwirt, Buchautor und Vertreter einer eigenen Variante der Permakultur - einer Anbaumethode, deren Philosophie auf Nachhaltigkeit und der Natur als Inspirationsquelle beruht. Natürliche Ökosysteme werden nachempfunden und durch Beobachtung und Experimentieren weiterentwickelt. "Im Buch Natur steht alles. Man muss das nur lesen lernen können", sagt Holzer.

So auch in Karpfsee, dem Sitz der Stiftung Nantesbuch: Holzer wurde im April von der Stiftung zu Rate gezogen. Diese besitze rund 300 Hektar Land, erklärt Geschäftsführer Konstantin Reetz, nur ein Teil davon sei verpachtet. "Wir wollen zeigen, was man mit dem brachliegenden Land machen kann." Das erste Ziel: Die eigene Küche für Mitarbeiter und Gäste mit Obst und Gemüse zu versorgen. Ein Demonstrationsprojekt, für welches Holzer die Wissensgrundlage liefern sollte.

Es habe gegolten, in Nantesbuch einen "blanken, festgetretenen Lehmboden" in fruchtbares Land zu verwandeln, sagt der Landwirt. Dafür hatten Seminarteilnehmer das abschüssige Gelände im Frühjahr terrassiert und Hügelbeete zur Wasserspeicherung angelegt. Gesät worden sei alles durcheinander, sagt Holzer, "denn Vielfalt und nicht Einfalt erhält das System". Jetzt im September ist er zurück und durchaus zufrieden mit der Umsetzung: "Man sieht, was hier alles wachsen kann."

Dass Holzer einen ungewohnten Denkansatz verfolgt, macht sich immer wieder bemerkbar. Bei der Frage nach Unkrautbekämpfung dröhnt seine Stimme: "Das einzige Unkraut ist der Mensch!" Die Pflanzen arbeiteten miteinander, so sein Credo; setze sich eine Art durch, diene die schwächere Art der starken. Wenn es zu viel Brennnessel gebe, sei das ein Hinweis auf guten Boden, da würde er Mais oder Sonnenblumen säen. Die wüchsen in die Höhe und nähmen das Licht weg, der Stickstoff steige auf, die "Brenneselschwemme" werde ihrer Grundlage beraubt. Bei Monokulturen benötigten alle Pflanzen die gleichen Nährstoffe, die man zuführen müsse, was Geld und Arbeit mache und den Boden kaputt, erläutert Holzer seine Erfahrungen.

Holzer ist Naturmensch durch und durch und weiß aus einem immensen Erfahrungsschatz abenteuerliche Geschichten zu erzählen. Von Äckern in Russland, auf denen Melonen wüchsen, weil ein metertiefer Krater die Wärme und das Wasser speichere. Oder von Landwirten, die nach 18 Jahren konventioneller Landwirtschaft zu ihm kämen, weil ihre Böden kaputt und unfruchtbar seien. Er öffnet einen alten Baumstamm mitten auf der Wiese und deutet auf den Bienenstock hinter einer Plexiglasscheibe. "Für die Bestäubung", sagt er.

Von Theorie hält Holzer nicht viel, er sei ein Praktiker von klein auf. "Ich bin auf einem extremen Bergbauernhof aufgewachsen", sagt er. Dort habe er Pflanzen in der Wildnis kultiviert und gemerkt, dass der natürliche Wuchs viel besser funktionierte als bei seiner Mutter im geordneten Gemüsebeet. Von den ersten verkauften Samen und Pflanzen habe er sich ein Eis gegönnt, erzählt er schmunzelnd. Den Begriff "Holzersche Permakultur" habe er sich eigentlich vornehmlich auf Empfehlung zugelegt, weil das Wort so en vogue ist. Kritik störe ihn nicht, "das motiviert mich", sagt er. Ein bisschen Stolz ist ihm als Berater zig internationaler Projekte anzumerken: "Wer hätte das gedacht, dass ich als einfacher Volksschüler weltweit an internationalen Unis lehre?", sagt er.

Begriffsdefinition der Permakultur hin oder her, die Holzersche Methode scheint zumindest in Nantesbuch äußerst erfolgreich zu funktionieren. Neben Artischocken wachsen Physalis und Amarant, der Kohl gedeiht prachtvoll. Auch Reetz zeigt sich zufrieden. Der Erfolg habe seine Erwartungen übertroffen, sagt der Geschäftsführer der Stiftung. Es sei eine Umstellung vom "Reih- und Glieddenken", gibt er zu, während er das fruchtbare Dickicht betrachtet. "Ich habe es bei mir zu Hause in meinem Stadtgarten auf zehn Metern auch versucht", fügt er dann an. Die natürliche (Un-)ordnung trage wortwörtlich Früchte, derzeit ernähre er seine achtköpfige Familie.

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Quelle:
SZ vom 14.09.2019
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