Wildtiere in Bayern:"Die Wölfe werden uns Konflikte bereiten"

Wolf

Nicht nur in den Tierparks gibt es Wölfe - auch in freier Wildbahn werden immer wieder Tiere nachgewiesen.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)

Darum müsste die Regierung ein sinnvolles Wolfsmanagement-Programm auflegen, sagt Wildbiologe Ulrich Wotschikowsky. Doch derzeit verschläft sie die Entwicklung.

Interview von Katharina Schmid

Ulrich Wotschikowsky ist eine gefragte Stimme, wenn es um die Rückkehr des Wolfes geht. Der 78-Jährige, der heute in Oberammergau lebt, ist studierter Förster und war in den 1970er Jahren im Nationalpark Bayerischer Wald für das Wildtiermanagement zuständig. Später erforschte er für die Wildbiologische Gesellschaft den Einfluss von Wölfen auf Schalenwild und Jagd. Mit der SZ sprach er über die Wiederansiedlung des Wolfes.

SZ: Herr Wotschikowsky, der letzte bekannt gewordene Wolf im Oberland riss vor einem Jahr am Starnberger See vier Schafe. Wann ist mit dem nächsten Wolf in der Gegend zu rechnen?

Ulrich Wotschikowsky: Morgen.

Morgen schon?

Ja natürlich. Wir haben keine Ahnung, wo genau Wölfe sind. Wir wissen auch nicht, ob Wölfe bereits hier in der Gegend sind. In Bayern haben wir einige in Grafenwöhr, im Veldensteiner Forst und im Bayerischen Wald. Insgesamt sind es sicherlich drei Paare, vielleicht mittlerweile Rudel. Und der ein oder andere Wolf kann als Einzelwolf herumlaufen.

In Südbayern traten bisher nur solche Einzelwölfe auf. Wird sich das ändern?

Das wird sich sicher ändern. Die Wölfe kommen außer aus dem Westen eigentlich von allen Seiten. Sie kommen aus Brandenburg und Sachsen, von den Alpen her aus der Schweiz. Und sie können auch aus dem Osten kommen bis aus dem Balkan. Eine Wanderung von mehreren hundert Kilometern macht einem Wolf überhaupt nichts aus.

Wölfe sind streng geschützt und dürfen nicht gejagt werden. Naturschützer freuen sich über die stetig wachsende Wolfspopulation. Aber wie begegnen Sie den Sorgen von Almbauern und Viehzüchtern?

Ich begegne da gar niemandem. Das ist Angelegenheit der Politik, und die verschläft die ganze Entwicklung. Man müsste sich seit Jahren in Bayern darauf vorbereitet haben, Förderrichtlinien auszuarbeiten und die Bauern zu unterstützen. Die Wölfe werden uns Konflikte bereiten. Wir brauchen entweder sichere Zäune, Herdenschutzhunde oder eine Behirtung. Und es ist möglich, dass man bestimmte Weidegebiete aufgeben muss, weil der Schutz dort zu aufwendig ist. All dies ist machbar, nur scheint man darauf zu hoffen, dass die Wölfe wieder von selbst verschwinden oder dass sie "verschwunden werden". Aber damit ist nicht zu rechnen. Die Wölfe kommen, da geht kein Weg dran vorbei. Wir müssen uns nur vorbereiten.

Sind die angesprochenen Schutzmaßnahmen wirklich praktikabel, denkt man beispielsweise an schwer zugängliche Almgebiete?

Wir sollten nicht immer bei den schwer zugänglichen Gebieten mit dem Denken anfangen. Sondern wir sollten uns darüber klar sein, dass auf 90 von 100 Flächen der Herdenschutz gelingt. Die Schweizer, Spanier und Italiener machen es uns vor. Und in Sachsen und Brandenburg machen es uns die Schäfer doch auch vor. Der allergrößte Teil unseres Landes ist nicht Felsgebiet, wo man keine Zäune aufstellen kann. Die weitaus meisten Gebiete lassen sich gegen Wölfe gut schützen.

"Rotkäppchen-Märchen schlimmster Ausformung"

Es gibt die Klage, dass der dafür nötige Mehraufwand finanziell nicht ausreichend ausgeglichen werde. Ist hier erneut die Politik gefragt?

Ja, wer denn sonst. Die Gesellschaft will die Wölfe zurückhaben, deswegen ist die Politik gefragt, die Weichen zu stellen. Wenn die Gesellschaft die Wölfe zurückhaben will, muss sie auch für die Kosten aufkommen, die die Weidetierhalter draußen haben. Es ist Sache der Politik, das auf die Reihe zu kriegen. Aber seit Jahren wird das einfach nicht umgesetzt.

Wildtiere in Bayern: Der Wolfsexperte Ulrich Wotschikowsky setzt auf Herdenschutz. Es sei Sache der Politik, die Weidetierhalter zu unterstützen.

Der Wolfsexperte Ulrich Wotschikowsky setzt auf Herdenschutz. Es sei Sache der Politik, die Weidetierhalter zu unterstützen.

(Foto: privat)

Das bayerische Kabinett diskutiert nun über einen "Aktionsplan Wolf". Es ist angedacht, verhaltensauffällige Wölfe abschießen zu lassen und die Population auf das "artenschutzrechtlich Erforderliche" zu begrenzen. Sie kritisieren das als "Einführung der wolfsfreien Zonen durch die Hintertür". Warum?

In dem Plan steht ja überhaupt nichts drin. Das sind ja nur Buchstaben. Was ist denn zum Beispiel das artenschutzrechtliche Minimum? Kein Mensch auf der Welt hat uns das erklärt. Sind das zum Beispiel zwei Wölfe, die sich paaren können? Wir haben ganz andere Vorgaben durch die EU und durch das Naturschutzgesetz, und das gilt auch für Politiker, dass sie sich daran halten. Hier neue Begriffe zu erfinden, hilft keinem Wolf, hilft keinem Weidetierhalter und hält kein Schaf am Leben. Wolfsfreie Zonen sind erstens durch das EU-Recht nicht statthaft und zweitens lassen sie sich praktisch nicht umsetzen. Wir wollen schon wieder Wölfe tot schießen, bevor überhaupt eine Handvoll bei uns Boden unter den Füßen hat. Was ist denn das für ein Denken im 21. Jahrhundert?

Wie sollte denn ein gelungenes Wolfsmanagement in Bayern aussehen?

Wir arbeiten seit Jahren an Vorschlägen in der Arbeitsgruppe "Große Beutegreifer". Wir haben genügend Vorschläge gemacht. Sie sind allesamt von der landwirtschaftlichen Seite abgelehnt worden. Mehr als Vorschläge zu machen, können wir nicht tun. Wir können natürlich auch auf andere Länder verweisen, die bereits funktionierende Managementpläne haben. Manche davon könnte man einfach nur abschreiben, zumindest für den nichtgebirgigen Teil von Bayern, der ja wesentlich größer ist als der Alpenanteil. Dann wäre man zum Beispiel in Oberfranken oder im Bayerischen Wald bereits aus dem Gröbsten raus.

Wenn schon Schafherden durch starke Elektrozäune geschützt werden müssen, was heißt das denn für den benachbarten Waldkindergarten?

Also das mit den Waldkindergärten ist der größte Witz aller Zeiten. Es hat vor einigen Jahren einmal einen Fall gegeben, da ist nachts um zehn Uhr ein Tier, das man für einen Wolf gehalten hat, in der Nähe eines Waldkindergartens vorbeigegangen. Die Kinder waren seit Stunden zuhause. Auch künftig wird ein Wolf gelegentlich mal an einem Waldkindergarten vorbei gehen. Und dann wird überhaupt nichts passieren. Ein Wolf hat etwas völlig anderes im Sinn, als in einen Waldkindergarten einzudringen und dort Kinder zur fressen. Das sind Rotkäppchen-Märchen schlimmster Ausformung. Tatsache ist doch, dass wir in Europa etwa 13 000 bis 15 000 Wölfe haben. Die leben alle in der Kulturlandschaft, und seit 40 Jahren ist überhaupt nichts passiert. Für Kinder, die in den Waldkindergarten gehen, ist es viel gefährlicher, dass ihnen ein Ast auf den Kopf fällt. Aber nicht dass ein Wolf schräg um die Ecke guckt.

Trotzdem gibt es diese Ängste von Menschen, eben auch geprägt von Märchen und Mythen. Wie können die abgebaut werden?

Das ist ganz schwierig. Denken Sie an die Spinnenphobie. Spinnen tun keinem Menschen was zu leide und trotzdem will kein Mensch eine Spinne anfassen. Das ist einfach so. Man hat eine gewisse Angst vor wilden Tieren wie dem Wolf, auch wenn sie de facto so gut wie ungefährlich sind. Dagegen kann man fast nichts machen. Aber man kann sich in Sachsen oder Brandenburg umschauen. Zur Schwammerlzeit stehen heute genauso viele Autos auf den Waldparkplätzen wie vor dem Wolf. Die Leute wissen, dass dort Wölfe sind und sie gehen trotzdem Schwammerl suchen. So wird das auch in Bayern sein.

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