Süddeutsche Zeitung

West Side Story jugendlich inszeniert:Großartig!

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Das Tölzer Gabriel-von-Seidl-Gymnasium und die Musikschule liefern souverän und selbstbewusst eine hoch professionelle Aufführung.

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Kaum zu glauben, wie gut sich die Turnhalle des Gabriel-von-Seidl-Gymnasiums zur Premiere der "West Side Story" am Freitag in einen Theatersaal verwandeln ließ. Eine riesige Leinwand flankiert die Bühne, auf welche die virtuell erzeugten Schauplätze projiziert werden - verwahrloste Hinterhöfe mit dunklen Backsteinbauten, ein Drugstore, ein Brautmodenladen. Vor der Bühne der Orchestergraben für das 50-köpfige Easiwesso-Orchester, das sich eigens für diese Inszenierung zusammengefunden hat, aufwendige Licht- und Tontechnik, 600 ausverkaufte Plätze. Den Begriff "Schulaufführung" kann man bei diesem Projekt, das anlässlich des 100-jährigen Schuljubiläums geplant war und in mehr als vierjähriger Arbeit gemeinsam von Gymnasium und Musikschule verwirklicht wurde, getrost vergessen. Denn was die 200 Mitwirkenden auf und hinter der Bühne leisten, dafür reichen ein Wort und ein Ausrufezeichen: Großartig!

Diese Inszenierung ist hoch professionell und schwerlich zu toppen. Es ist beeindruckend, wie souverän und selbstbewusst junge Leute, oft erst 15 oder 16 Jahre, vor großem Publikum anspruchsvolle Gesangspartien meistern, spielen, tanzen und aus sich herausgehen. Dafür braucht es Mut und Ausdauer, Lehrerinnen und Lehrer, die die jungen Leute anleiten und ermutigen und eine Schule, die das möglich macht. All das ist gelungen, und so ist diese Inszenierung unter der Regie von Elisabeth Artmeier-Mogl, Sarah Thompson, Stefanie Regus und Christina Strobel, mit der Choreografie von Susanne Molendo und unter der Gesamtkoordination von Eva Emmler und Harald Roßberger ein wunderbares Beispiel dafür, was erreicht werden kann, wenn viele ihre Talente einbringen.

Leonard Bernsteins West Side Story wurde 1957 uraufgeführt, die Handlung basiert auf dem "Romeo und Julia" - Stoff, übertragen in das New York der Fünfzigerjahre. Die tragische Liebesgeschichte von Tony und Maria spielt vor dem Hintergrund eines Bandenkriegs zwischen den US-amerikanischen "Jets" und den puerto-ricanischen "Sharks". Liebe und Freundschaft, Gruppenzugehörigkeit, Gewalt, Konflikte mit den Erwachsenen, Träume und Wünsche, die an der gesellschaftlichen Realität scheitern - all das sind Themen, die junge Menschen aus ihrer Lebenswirklichkeit kennen. Den Schauspielerinnen und Schauspielern gelingt es hervorragend, sie zu transportieren. Ohne Überzeichnung, ohne süßlichen Kitsch.

Optisch sind die beiden verfeindeten Gruppen durch die Farben ihrer Kostüme zu unterscheiden; Rottöne für die Sharks, blau für die Jets und ihren Anführer Riff (Elias Schumann). Auch mit musikalischen Mitteln werden die beiden Gruppen charakterisiert. Progressiver Jazz mit treibendem Rhythmus für die Jets. Mambo, Cha-Cha, oft mit kompliziertem Huapango-Rhythmus, für die Puerto-Ricaner. "I want to be in America" zum Beispiel": Die bunte Szenerie ist in rotes Licht getaucht, die Mädchen tragen schwingende Röcke und Blumen in den zurückgebundenen Haaren. Der Anführer der Sharks, Bernardo (Francesco Giacalone), flirtet mit seiner Freundin Anita, temperamentvoll gespielt von Luzia von Huene. Die erotische Spannung zwischen den beiden ist greifbar, ebenso die pulsierende Lebensfreude der jungen Tänzer.

Es gibt viele tolle Szenen. Etwa "Dance at the Gym", jene Tanzveranstaltung, bei der sich die puerto-ricanische Einwanderin Maria (Charlotte Rein) und der US-Amerikaner Tony (Julius Steinbach) zum ersten Mal begegnen. Die Erwachsenenrollen sind mit Lehrern besetzt. Über der Szenerie wacht reglos Officer Krupke (Cornelius von der Heyden). Mit Sonnenbrille, dunkler Uniform und Schlagstock repräsentiert er wie Lieutenant Schrank (Maximilian Dietz) die Welt der Erwachsenen und ihre Normen. Schrank ist ein zynischer Rassist. "Ich habe den Stern, ihr die falsche Hautfarbe", sagt er und zündet sich eine Zigarette an. Eine Ausnahme bildet nur Doc (Markus Zimmermann), der hinter dem Tresen des Drugstores steht. In seiner hilflosen, resignierten Art ist aber auch er kein Vorbild.

Als Maria die Szene betritt, steht die Welt für Tony still. Die Geigen zupfen leise, die Tänzer im Hintergrund verharren reglos. Und dann gehört die Bühne Tony. Mit voller, weicher Stimme singt Steinbach, der Mitglied im Tölzer Knabenchor war und nun Gesang studiert, einen der vielen Evergreens aus dem Musical: "Maria". Eine Gänsehaut-Szene, Applaus brandet auf. Maria steigt auf den "Balkon", ein von den flinken Helfern des Komparserie-Teams hereingeschafftes Gerüst, im Duett singen die beiden einen weiteren Welthit, "Tonight".

Wunderbar meistert auch Charlotte Rein, die sich eigens für ihre Rolle als Puerto-Ricanerin die blonden Haare braun gefärbt hat, die schwierigen Gesangspartien. Einer der Höhepunkte ist das beschwingte "I feel pretty" nach der Pause, das sie bezaubernd singt und spielt.

Die Botschaft des Musicals ist zeitlos und bedrückend aktuell. Wenn Vorurteile, soziale Ungleichheit und überkommene Denkweisen Hass und Gewalt säen, dann gibt es keine Zukunft. Verstärkt wird die Atmosphäre durch die Tanzszenen, die den tragischen Konflikt vorwegnehmen, oder die Geschehnisse allegorisch überhöhen. Und natürlich spielt die Musik eine wesentliche Rolle. Sie ist zärtlich, leidenschaftlich, steigert sich zu aggressiven Sequenzen, die durch grelle Lichtblitze verstärkt werden, wenn sich Wut und Hass Bahn brechen.

Das Orchester, dem Profis wie Florian Rein, Elisabeth Heuberger, Peter Zoelch und Landrat Josef Niedermaier angehören, meistert diese ungeheuer komplexe Musik mit den ständigen Taktwechseln unter Leitung von Harald Roßberger bravourös. In der Turnhalle ist die Luft nach drei Stunden schwer, den Akteuren stehen Schweißperlen auf der Stirn. Sie müssen sich gedulden, denn erst gibt es noch minutenlangen Applaus und stehende Ovationen.

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