Süddeutsche Zeitung

Zum Weltfrauentag:"Wie freies Fliegen!"

Nicole Gödecke, Christina Rauber und Patricia Neumair sind Gründerinnen aus der Region. Wie sie den Weg in die Selbständigkeit gefunden haben - und wie sie damit erfolgreich sind.

Von Jana Daur, Bad Tölz-Wolfratshausen

Rund um den Globus dreht er sich um die größere Hälfte der Menschheit, in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern wurde er sogar zum Feiertag erklärt: Am 8. März findet der jährliche Weltfrauentag statt. Doch das ist kein reiner Anlass zum Feiern. Stattdessen werden Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern thematisiert. Auf dem Arbeitsmarkt spürt man diese besonders. Nach Angaben des KfW Gründungsmonitors sind es weiterhin überwiegend Männer, die in den Führungsetagen von Unternehmen sitzen. Dabei kämpfen ähnlich oder gleich qualifizierte Frauen schon seit Jahrzehnten für Gleichberechtigung bei der Vergabe von Chefposten. Drei junge Unternehmerinnen aus der Region zeigen, dass in ihnen Gründerinnengeist steckt - und sind damit ziemlich erfolgreich.

Nicole Gödecke aus Dietramszell ist die Gründerin von "Homely Stay", einer Anlaufstelle für Besitzer von Ferienwohnungen. Die gebürtige Thüringerin kam als Quereinsteigerin in die Branche: Nachdem sich Gödecke durch verschiedene Berufe probiert hat, landete sie bei einer Homesharing-Plattform im Bereich Kommunikation und Koordination. In dieser Tätigkeit fand sie ihre Passion, mit der gewinnorientierten Ausrichtung des Unternehmens war sie aber unzufrieden. Deshalb erfüllte sich Gödecke einen lange gehegten Traum und machte sich selbständig. Nun verfolgt sie das Konzept einer persönlichen Kundenbetreuung, bei der nicht das Kapital im Vordergrund steht.

Auch Christina Rauber aus Bad Tölz ist der persönliche Kundenkontakt besonders wichtig. Ihr Unternehmen "Immoxxess" ist auf die Verwaltung von Miet- und Eigentumsanlagen ausgerichtet. Sie kooperiert mit dem "Real"-Verbund in Bad Tölz und vermittelt darüber Praktikumsplätze an Menschen, die nach einer psychischen Erkrankung ins Arbeitsleben zurückkehren wollen. Zunächst arbeitete Rauber in Banken. Nach der Geburt ihrer Tochter ging sie in die Immobilienbranche, daraus wuchs der Wunsch nach einem eigenen Unternehmen. Rauber absolvierte berufsbegleitend eine Ausbildung zur Immobilien-Verwalterin und gründete schließlich im April 2022 "Immoxxess".

Patricia Neumair fing nach dem Abitur ebenfalls in der Bank an. Weil ihr der soziale Umgang mit den Kunden wichtig war, wurde der Lenggrieserin zu einer Ausbildung als Krankenpflegerin geraten. Stattdessen kehrte sie der Bank den Rücken zu und fing an, Beratungen zu Versicherungen und Finanzierungen anzubieten. "Zu Beginn meiner Selbständigkeit hatte ich keine Ansprechpartnerinnen. Ich habe mir also alles selbst aufgebaut", schildert Neumair. Heute betreut sie viele Kunden, darunter vor allem niedergelassene Ärzte.

Obwohl sie in verschiedenen Branchen arbeiten, sind die Gründerinnen ähnlichen Herausforderungen begegnet: Netzwerke finden, Werbung machen, Kunden gewinnen. Doch noch ein weiterer Faktor prägt ihre Arbeit: Frauen sind in der Unternehmensführung nach wie vor unterrepräsentiert. Zuletzt lag ihr Anteil an allen Unternehmensgründungen deutschlandweit bei 42 Prozent. Das ist zwar eine Steigerung zum langjährigen Durchschnittswert von 39 Prozent, spiegelt aber immer noch keine gleiche Verteilung der Geschlechter wider. Bei der Übernahme von Unternehmen ist der Frauenanteil mit 21 Prozent sogar noch geringer.

Die Unternehmerinnen berichten, dass vor allem Männer sie von der Selbständigkeit abhalten wollten. Patricia Neumair vermutet als Grund unterschiedliche Interessen zwischen den Geschlechtern: "Meine Philosophie ist es, auch sozialverträglich zu arbeiten und nicht nur kapitalorientiert. Für Männer ist das oft nicht greifbar." Nicole Gödecke sieht das ähnlich: Oft dominiere eine männergetriebene Führungskultur. "Brust raus, breite Schultern, laute Stimme", fasst Gödecke die Erwartungen zusammen.

Die Gründungsszene scheint weiblicher zu werden

Doch sie sieht auch positive Entwicklungen. Gödecke sieht auf Netzwerktreffen zunehmend mehr Frauen, auch rein weibliche Investorinnengruppen gibt es mittlerweile. Seit 2014 steigt außerdem der Anteil von Start-up-Gründerinnen stetig, zuletzt um 2,6 Prozentpunkte. Und im Jahr 2021 gründeten insgesamt 25 Prozent mehr Frauen ein Unternehmen als im Vorjahr. Die Gründungsszene scheint also weiblicher zu werden. Rauber, die sich im April 2022 selbständig gemacht hat, erzählt: "Ich hatte nicht das Gefühl, benachteiligt zu sein, obwohl das Thema bestimmt in vielen Hinterköpfen rumschwirrt."

Die Gründerinnen brennen für ihre Unternehmen. Sie wollen Frauen ermutigen, den Weg in die Selbständigkeit zu gehen. "Wir kommen im Beruf immer wieder ins Stocken. Aber eine Grenze zu erreichen, ist nicht das Ende der Karriere", so Gödecke. Neumair kann das bestätigen: Sie hat seit 20 Monaten ein Kind, zeitgleich wächst ihre Beratungsfirma weiter. Das Bild der Hausfrau und Mutter - es muss kein Widerspruch zur selbständigen Gründerin sein. Ein sozialer Wandel, der mit diesen Stereotypen bricht, soll durch den Weltfrauentag vorangetrieben werden. Rauber hat dieser Wandel im wahrsten Sinn beflügelt: "Die Selbständigkeit bringt einen völlig neuen Enthusiasmus mit sich. Es ist ein spannender Entwicklungsprozess - wie freies Fliegen!"

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