"Weißer Ring":Hilfe beim Weiterleben

Helgard van Hüllen

Die Gaißacherin Hildegard van Hüllen leitet die Außenstelle des "Weißen Rings" im Landkreis.

(Foto: Manfred Neubauer)

Helgard van Hüllen und ihr Team unterstützen Opfer von Verbrechen im Landkreis

Von Claudia Koestler, Geretsried

Es mag zunächst ein wenig befremdlich klingen, wenn Helgard van Hüllen etwas flapsig einen Satz wie diesen sagt: "Wir hätten mal wieder gerne einen ganz normalen Handtaschenraub". Doch der Grund für eine solche Aussage erschließt sich schnell, wenn van Hüllen den Kontext erklärt: Die ehrenamtliche Opferhilfe-Vereinigung "Weißer Ring", deren Außenstelle Bad Tölz-Wolfratshausen van Hüllen leitet, muss pro Jahr allein im Landkreis durchschnittlich rund 100 Opfer betreuen. Das sind nicht nur zehnmal mehr als noch vor wenigen Jahren, die Betreuten sind auch zunehmend Opfer von schwerwiegenden Straftaten. Dazu kommen noch einmal zwischen 140 und 150 konstant zu Betreuende. "Es passiert mehr als man denkt", brachte es van Hüllen auf den Punkt.

Die meisten Fälle im Landkreis seien sexueller Missbrauch, gefolgt von Körperverletzungsdelikten, häuslicher Gewalt und Betrug, auch im Internet. Doch auch die freiwilligen Helfer brauchen Hilfe, sie kriegen schließlich keinerlei staatliche Gelder für ihre Arbeit. Umso wichtiger ist folglich die Öffentlichkeitsarbeit, weshalb van Hüllen beim jüngsten Stammtisch der CSU Geretsried die Gelegenheit nutzte, die Arbeit der Organisation zu präsentieren.

Auch hier stößt der Weiße Ring allerdings an Grenzen: "Es ist unglaublich schwierig, über ein Opfer zu berichten", erklärte die Gaißacherin, die gerade auch im Amt der stellvertretenden Bundesvorsitzenden bestätigt wurde. Nach dramatischen Gewalttaten und Verbrechen wie etwa dem Raubmord in Höfen bei Königsdorf mit zwei Toten und einer Schwerverletzten falle der Blick der Öffentlichkeit und Medien vor allem auf die Täter. Das sei aber auch der Tatsache geschuldet, das Opfer zu schützen. Nichtsdestoweniger könnten die Auswirkungen solcher und anderer Straftaten auf Opfer und Nachbarn noch Jahre spürbar sein, weshalb sie einer besonderen Betreuung bedürften, auch wenn das nicht immer im Licht der Öffentlichkeit passiere. Für sie setzen sich die Freiwilligen der Vereinigung "Weißer Ring" ein. Ihnen geben die Helfer beispielsweise menschlichen Beistand und unterstützen sie beim Kontakt mit Behörden. Die Mitarbeiter begleiten Opfer von Straftaten auch zu Gerichtsterminen und erklären die Konsequenzen der Entscheidungen, etwa wo sie am besten aussagen, um Mehrfachvernehmungen zu vermeiden. Sie klären vor Gericht auch, ob und wie sich Opfer und Täter erneut begegnen und informieren über Entlassungen und Freigänge. "Stellen Sie sich vor, der Mörder ihres Kindes steht plötzlich im Supermarkt vor ihnen, ohne dass Sie wussten, dass er Freigang hat", berichtete van Hüllen von einem realen Fall in der Region. Der Weiße Ring stellt auch Schecks und Gutscheine für eine psychologische oder anwaltliche Beratung sowie für gerichtsmedizinische Begutachtungen aus. Dazu überlegen die Helfer mit dem Opfer gemeinsam, was zu tun ist, wenn erneut eine Gewaltsituation auftauchen könnte. Sie könnten beispielsweise "einen Notfallkoffer bereithalten, ein Tagebuch führen". Auch um eine vorübergehende Unterbringung kann sich der Weiße Ring kümmern. "Bürozeiten gibt es nicht", sagte van Hüllen - und in der Regel treffe man sich mit dem Opfer in dessen eigenen vier Wänden. "Das Zuhause ist für die meisten ein geschützter Raum und vermittelt deshalb das Gefühl, Herr der Lage zu sein - etwas, was bei der Straftat ja nicht der Fall war."

Die Helfer vom "Weißen Ring" setzen sich insbesondere auch dafür ein, dass Opfer vom Entschädigungsgesetz profitieren können. "Auch die beste Opferhilfe kann die Tat nicht ungeschehen machen", wusste die Vorsitzende. "Aber wir wollen alles tun, dass der Leidtragende einer Straftat so verarbeiten kann, dass ein gutes Weiterleben möglich ist. Zumindest wäre das das Idealbild, das wir anstreben."

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