Gefragte TraditionskunstZu schön, um darauf zu schießen

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Veronika Stürzer bemalt „personalisierte Scheiben“, hier mit einem Hochzeitsbild. Die Nachfrage ist groß, ihr Terminkalender bis Mitte 2027 voll.
Veronika Stürzer bemalt „personalisierte Scheiben“, hier mit einem Hochzeitsbild. Die Nachfrage ist groß, ihr Terminkalender bis Mitte 2027 voll. (Foto: Manfred Neubauer)

Veronika Stürzer bemalt Schützenscheiben mit beeindruckend realistisch wirkenden Motiven und leuchtenden Farben. Ihre Werke sind gefragt: Zu den Kunden der gebürtigen Gaißacherin zählen nicht nur Vereine und Jubilare, sondern auch mehrere bayerische Ministerinnen und Minister.

Von Petra Schneider, Warngau

Es ist nicht einfach, das Atelier von Veronika Stürzer zu finden. Die Hausnummern in dem kleinen Ort Wall im Landkreis Miesbach sind nicht unbedingt stringent. Und Leute, die man nach dem Weg fragen könnte, trifft man selten. Dafür gibt es viel Landschaft: Hügelige Wiesen, Obstbäume, Bauernhöfe mit blühenden Gärten, den Taubenberg. Veronika Stürzer liebt ihre Heimat, die sie in stundenlanger Arbeit auf Holzscheiben bannt. Genauer gesagt auf Schützenscheiben, auf die freilich niemand schießt, weil sie dafür viel zu kunstvoll sind.

Durch das Fenster des kleinen Ateliers, das früher die Steinmetzwerkstatt ihres Schwiegervaters war, schaut man auf eine Wiese mit Kälbern. An ein Regal sind Fotos von Landschaften oder bäuerlichen Szenen gepinnt, die sie als Vorlagen verwendet. Der Fahrer von Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber, der eine Scheibe abholen will, hat sich angekündigt. „Da miass ma des Interview halt schnell unterbrechen“, sagt die gebürtige Gaißacherin, mit der man gleich beim Du ist.

Vor sieben Jahren ist die 38-Jährige mit ihrem Mann, einem Schreiner, in dessen Heimatort Wall gezogen. Er ist im Schützenverein, seine Frau nicht. „Noch ned“, ergänzt sie. Wenn die „Schützenvroni“, wie sie trotzdem manchmal genannt wird, von ihrer Arbeit erzählt, dann sprudelt sie. „Meine Intention ist es, die Schönheit meiner oberbayerischen Heimat einzufangen.“ Das Ehrliche und Schlichte, „ohne Filter, und KI“. So wie bei der Scheibe für die Landwirtschaftsministerin, die noch nicht fotografiert werden darf. Abziehende Gewitterwolken, die von der Abendsonne angeleuchtet werden, die Wallfahrtskirche Maria Gern und das Watzmannmassiv in gestochen scharfem Licht. Eine beeindruckend fotorealistische Abbildung in frischen Farben. Die Ministerin habe sich entweder ein landwirtschaftliches Motiv gewünscht oder eines aus ihrer Heimat Berchtesgaden, erzählt Stürzer.

Bemalte Zielscheiben haben eine jahrhundertelange Tradition. Bereits Kelten und Germanen veranstalteten jährlich den sogenannten „Vogelschuss“, wie in einem Beitrag im Deutschen Jagdportal zu lesen ist. Mit Pfeil und Bogen, später mit der Armbrust, wurde auf einen stilisierten Vogel auf einer Stange geschossen. Wer „den Vogel abgeschossen hat“, war der Schützenkönig. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 setzten sich hölzerne Schießscheiben durch, die von Laien mit Alltagsszenen, politischen Ereignissen oder Landschaften bemalt wurden. Diese Volkskunst ziert bis heute, vor allem in Bayern und Tirol, Vereinsheime, Gastwirtschaften oder Sitzungssäle.

Auf den Scheiben finden sich auch traditionelle Motive wie der Hubertushirsch, Fichtenzweige und die Böllergeräte.
Auf den Scheiben finden sich auch traditionelle Motive wie der Hubertushirsch, Fichtenzweige und die Böllergeräte. (Foto: Manfred Neubauer)

Meist wurden Ölfarben und Firnis verwendet, die im Lauf der Jahre nachdunkelten. Weil Stürzer das Vergilben nicht mag, malt sie mit Acrylfarben. Sie zeichnet die Umrisse mit Bleistift und Tusche auf die Scheiben, die zuvor mehrmals grundiert und geschliffen werden. Anschließend trägt sie die Acrylfarben in vielen Schichten auf, „damit das Bild Tiefe bekommt.“ Die Motive auf den Birkenholzscheiben, die einen Durchmesser von 60 Zentimetern haben, sind von einem Spruchband umrahmt: In Frakturschrift werden Anlass und der Name von Stifter und Schützenkönig verewigt, der üblicherweise im Folgejahr eine Scheibe stiften muss.

Stürzer ist Perfektionistin, und es braucht Zeit, bis sie zufrieden ist. Ungefähr 40 Stunden Arbeit stecken in jeder Scheibe, der Preis liegt bei 750 Euro aufwärts. Im Atelier steht eine fertige Scheibe für das „Jägerschießen Linden-Lochen 2025“ mit zwei Gämsen, daneben ein fast fertiges Porträt eines Ehepaars, das die Kinder zum 60. Geburtstag der Mutter bestellt haben. Und eine Scheibe mit dem Konterfei der Siegesgöttin Nike, die als Standbild auf dem Maximilianeum thront: ein Auftrag von Landtagspräsidentin Ilse Aigner. Auch Umweltminister Thorsten Glauber gehöre zu ihren Kunden, erzählt Stürzer. Und natürlich Schützenvereine, Feuerwehren, Jubilare oder Hochzeitspaare. „Personalisierte Scheiben“ nennt sie ihre Arbeiten, jede ein Unikat. „Da passiert’s ned, dass der Schorsch dasselbe schenkt wie der Sepp.“ Dass die Schützenscheibenmalerei ein angestaubtes Metier für ein Nischenpublikum sein soll, kann Stürzer nicht bestätigen. Ihr Terminkalender ist bis Mitte 2026 voll.

Pinsel für alle Fälle: Für ihre detaillierten Arbeiten braucht die Scheibenmalerin viele unterschiedliche Arbeitsgeräte....
Pinsel für alle Fälle: Für ihre detaillierten Arbeiten braucht die Scheibenmalerin viele unterschiedliche Arbeitsgeräte.... (Foto: Manfred Neubauer)
...und Acrylfarben, die sie in mehreren Schichten auf die grundierten Birkenholzscheiben aufträgt, um den Genälden Tiefe zu verleihen.
...und Acrylfarben, die sie in mehreren Schichten auf die grundierten Birkenholzscheiben aufträgt, um den Genälden Tiefe zu verleihen. (Foto: Manfred Neubauer)

Wie sie auf die Scheibenmalerei gekommen ist? Nun, kreativ sei sie schon immer gewesen und ihre Eltern hätten ihr Talent unterstützt, erzählt die junge Frau, die mit fünf Geschwistern auf dem elterlichen Bauernhof aufgewachsen ist. Nach der Mittleren Reife machte sie eine Ausbildung zur Vergolderin in den Restaurierungswerkstätten von Erwin Wiegerling und sattelte einen Abschluss als Malermeisterin drauf. Sie arbeitete als selbständige Kirchenmalerin und war anschließend elf Jahre Restaurateurin in den Werkstätten des Deutschen Museums. Ihre erste Schützenscheibe bemalte sie 2007 für einen befreundeten Musiker. Das Motiv: Ein Hai mit einer Tuba, weil das irgendwie mit dem Logo der Band zu tun gehabt habe.

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Ein ähnlich kurioses Motiv sieht man in ihrem Atelier zurzeit nicht; die Themen auf den Scheiben sind traditionell, aber tragen durch ihre Detailgenauigkeit und ausgefeilte Perspektiven eine ganz eigene Handschrift. Scheibenmalerei ist kein Lehrberuf und keine männliche Domäne. Im Gegenteil. Die einzigen Kollegen in der Region, die Stürzer kennt, sind Frauen: Eine in Sachsenkam und eine in Fischbachau, mit denen sie sich abspricht, wenn die Anfragen zu viel werden. Stürzer hat auf ihrem Instagram-Account inzwischen diverse Follower, die das Scheibenmalen lernen wollen. Im Herbst will sie deshalb einen Grundkurs in ihrem Atelier anbieten. Genaueres dazu soll es erst im September geben, da sie erst noch ein Handout vorbereiten müsse. „Weil, was Halbschariges mach’ ich ned.“

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