Engagement der besonderen Art:Hilfe für stigmatisierte Kinder in Marokko

Engagement der besonderen Art: Kinderdorf-Gründer Hansjörg Huber mit einem der diskriminierten Mädchen.

Kinderdorf-Gründer Hansjörg Huber mit einem der diskriminierten Mädchen.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Der Ickinger Manfred Braune engagiert sich in der Münsinger Stiftung Atlas-Kinder für das Dorf Dar Bouidar. Jetzt soll auch eine Dorfküche gebaut werden.

Von Susanne Hauck, Icking

Icking - Ein hilfloses Neugeborenes, abgelegt in einer billigen Einkaufstasche am Straßenrand. Passanten haben es rechtzeitig gefunden. Aber das heißt noch lange nicht, dass nun alles gut wäre. "Es ist ein Kind der Schande", erklärt Manfred Braune zu dem kurzen Videofilm, den er auf dem Handy zeigt. Jedes Jahr werden in Marokko mehrere Tausend nicht ehelich geborene Kinder ausgesetzt, das Ergebnis von Vergewaltigungen oder gebrochenen Heiratsversprechen. Die verzweifelten Mütter gelten als Huren, die verstoßenen Babys als Kinder der Schande, die mit dem Stigma ihrer Geburtsumstände lebenslang diskriminiert sind. Aber nicht alle diese Findelkinder teilen das Schicksal, ohne Liebe und Fürsorge in als Waisenhäusern laufenden staatlichen Verwahranstalten aufzuwachsen.

Es gibt ein Dorf am Fuße des Atlas-Gebirges, das sich dieser unerwünschten Mädchen und Jungen annimmt. Der Schweizer Hansjörg Huber hat es seit 2015 für sie gebaut, sein halbes Vermögen im Wert von mehr als zwei Millionen Euro dafür hingegeben. "Ein Riesenprojekt, eigentlich zu viel für einen einzelnen Mann", erzählt der Ickinger Braune. Ihn hat das nicht kalt gelassen, als er zum ersten Mal in Dar Bouidar war. Golffreund Norbert Kutschera, der Vorstand der Deutschen Stiftung Atlas-Kinder mit Sitz in Münsing, nahm ihn 2017 zu einer Benefizveranstaltung mit. "Wir haben die ganze Reise natürlich auf eigene Kosten bezahlt", beeilt sich Braune klarzustellen. Viel war noch unfertig auf der Baustelle inmitten steiniger Wüste, eine halbe Stunde von Marrakesch entfernt. Doch Braune hat sofort beschlossen mitzuhelfen. Das Glück der Kinder, die nun die Chance auf ein besseres Leben haben, und die visionäre Tatkraft des Schweizer Wohltäters, mit dem er mittlerweile auch privat befreundet ist, haben ihn tief beeindruckt.

Engagement der besonderen Art: Manfred Braune hilft beim Aufbau des Kinderdorfs.

Manfred Braune hilft beim Aufbau des Kinderdorfs.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Das Ehrenamt im Stiftungsvorstand ist inzwischen ein Halbtagsjob - einen Buchhalter könnte Braune gut brauchen. "Aber ich habe ja Zeit", sagt der 71-Jährige, ein hochgewachsener Mann mit freundlichen Augen, der ursprünglich aus Norddeutschland stammt. Der selbstständige Versicherungsmakler ist seit ein paar Jahren im Ruhestand, die beiden Töchter sind aus dem Haus.

Das Kinderdorf platzt bereits aus allen Nähten, es sind elf Wohnhäuser entstanden, ein Integrationshaus für Kinder mit Behinderungen, Nursery, Schule, Moschee, Krankenstation, ein Bauernhof ist im Bau. 175 Kinder vom Neugeborenen bis zum Zwölfjährigen leben dort, viele andere warten noch auf einen Platz. Mit Hilfe von Spendern aus der ganzen Welt hat die Stiftung eine Solaranlage errichtet und eine Trinkwasseranlage, die die vielen Plastikkanister überflüssig machen soll. Die Kinder lernen Sprachen, können reiten, sie sollen später eine Ausbildung in eigenen Betriebsstätten absolvieren oder auswärts in die höhere Schule gehen.

Viel läuft beim Spendensammeln mittlerweile über Instagram und Facebook. "Die Leute sehen unsere Nachrichten und spenden spontan", ist Brunes Erfahrung. Aber er betreut auch Unternehmen und einzelne Wohltäter. Darunter sind viele weltoffene Auslands-Marokkaner. Dieses Jahr will Braune 40 000 Euro für einen gebrauchten Kleinbus zusammenbekommen, der die Größeren ins nächste Gymnasium bringt und die abwechselnd arbeitenden Kinderdorfmütter aus den Berberdörfern abholt. Und endlich soll in diesem Jahr die Dorfküche gebaut werden, denn bislang werden die Mahlzeiten für 250 Menschen behelfsmäßig in eigentlich als Büros vorgesehenen Räumen gekocht.

Was Braune besonders gefällt, ist das Zusammenspiel vieler Idealisten. Da ist der pensionierte Zahnarzt aus Marrakesch, der einmal in der Woche gratis behandelt, da sind der Tanzlehrer aus Frankreich und der Reitlehrer, die unentgeltlich unterrichten. Viele Menschen identifizieren sich mit dem Kinderdorf. Auch die Spender, die direkt nachverfolgen können, was ihr Geld bewirkt. "Die Spendengelder kommen fast zu 100 Prozent an", unterstreicht Braune. "Das Einzige, was weggeht, sind kleinere Beträge für Bankgebühren, Briefmarken oder einzelne notwendige Übersetzungen." So sei es auch für den Stiftungsvorstand Ehrensache, alle Eigenkosten selbst zu tragen.

www.atlas-kinder.org/de

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