Demokratie in Europa:Große Erleichterung nach großer Sorge

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In Frankreich hat eine linke Koalition, die sich zusammengetan hat, um die extreme Rechte von der Macht fernzuhalten, bei den Stichwahlen gewonnen. (Foto: Sadak Souici/dpa)

Weniger Franzosen als erwartet haben bei der vorgezogenen Parlamentswahl rechtsextrem gewählt. Bei den Städtepartnerschaftsvereinen ist man positiv überrascht.

Von Christina Lopinski, Wolfratshausen

„Vereine, die Städtepartnerschaften pflegen, sind absolut pro-europäisch“, sagt Rainer Kebekus, Vorsitzender des Vereins zur Förderung der Partnerschaft zwischen der französischen Gemeinde Barbezieux und Wolfratshausen. Pro-europäisch bedeutet auch: nicht nationalistisch, nicht rechtsextrem. Groß war deshalb die Erleichterung bei ihm und seinen französischen und deutschen Partnern und Freunden über die Wahlergebnisse der zweiten Runde bei der vorgezogenen Parlamentswahl in Frankreich am Sonntag. Entgegen der Prognosen wurde das rechtsextreme Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen nicht stärkste Kraft. Von den 577 Sitzen im Parlament gehen 125 an das RN. Das Bündnis Ensemble, das Präsident Emanuel Macron anführt, büßt seine bisherige relative Mehrheit ein und kommt auf 150 Sitze. Der vor der Wahl neu gegründete und links ausgerichtete Nouveau Front Populaire (NFP) wird mit 178 Sitzen im Parlament am stärksten vertreten sein. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 67 Prozent. So hoch war sie zum letzten Mal bei der Parlamentswahl 1997.

„Unsere Freunde aus Chamalières werden wirklich froh sein“, sagt Edith Peter, Vorsitzende des Partnerschaftsvereins Geretsried-Chamalières am Telefon. Erst am Sonntag seien der Bürgermeister aus Chamalières und einige Mitglieder des Vereins nach ihrem Besuch aus Geretsried abgereist. Über die Wahl hätten sie viel gesprochen. „Die Menschen haben sich große Sorgen gemacht“, sagt Peter. „Die wollen Le Pen nicht an der Macht haben.“ Dass so viele – nämlich 34 Prozent der Französinnen und Franzosen – beim ersten Wahlgang Anfang Juli das RN gewählt und es damit zur temporär stärksten Kraft gemacht hatten, kann sie sich dennoch erklären. „Die Leute sind ähnlich unzufrieden wie bei uns“, sagt sie. „Mir hat jetzt niemand direkt gesagt, dass er Le Pen gewählt hat, aber viele sind wütend.“ Peter nennt die umstrittene Rentenreform, die 2023 durchgesetzt wurde, die Bauernproteste, die Bewegung der Gelbwesten. „In Frankreich“, sagt sie, „sind die politischen Strukturen anders als hier in Deutschland.“ Damit meint Peter die zentralistische Organisation, bei der der Präsident und nicht das Parlament im politischen Zentrum steht. „Macron hat leider Dinge durchzudrücken, mit denen viele unzufrieden sind.“ Dann würde eben rechts gewählt.

„Es wird einiges verhandelt werden müssen. Aber das ist Demokratie“

Das Gefühl von Unzufriedenheit beschreibt auch Kebekus. Er ist oft in Frankreich, hat viele freundschaftliche Kontakte, nicht nur nach Barbezieux. Er erzählt von einem guten Bekannten, der ihm nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse eine SMS geschrieben hat. „L'agitation semble venir“ – also: Die Unruhe scheint zu kommen. Und: „Au moins rien à droite“ – wenigstens nichts rechts. Sein Bekannter sei zwar erleichtert, dass die Lepenisten nicht die stärkste Kraft bildeten, aber auch mit den extremen Linken sei er nicht zufrieden. „Die Franzosen sind unregierbar“, habe sein Bekannter noch geschrieben. Und dass er hoffe, sich als Franzose in den kommenden Monaten vor der Weltgemeinschaft nicht schämen zu müssen.

Wenn sich Parlamente neu zusammensetzen, dann sind Zustände der Unruhe keine Seltenheit. Koalitionen müssen gefunden, Grenzen neu abgetastet werden. Dass das rechtsextreme Rassemblement National in Frankreich nicht die stärkste Kraft geworden ist, hat vor allem mit der Brandmauer zu tun, die die anderen Bündnisse und Parteien in der vergangenen Woche ganz aktiv errichtet haben. Weil die Abgeordneten der 577 Wahlkreise direkt – und nicht wie in Deutschland durch personalisierte Verhältniswahl – gewählt werden, kam es in fast allen Wahlkreisen nach dem ersten Durchgang zu einer Stichwahl. Kandidaten von kleineren, politisch in der Mitte oder links stehenden Parteien, die wenig Aussicht auf den Sieg hatten, haben sich taktisch zurückgezogen. So sollte eine Zersplitterung der Mitte-Links-Parteien verhindert werden.

So einig wie während des kurzen aber intensiven Wahlkampfs sind sich die führenden Parteien Frankreichs inhaltlich aber nicht, sie werden sich bei der Regierungsbildung wohl in Kompromissfindung üben müssen. „Ich denke schon, dass sich in Frankreich jetzt etwas bewegen wird“, sagt Edith Peter. „Die Fragen für Macron sind aber viel komplizierter geworden. Es wird einiges verhandelt werden müssen.“ Wobei das ja im politischen Betrieb normal sei. „Das ist eben Demokratie“, sagt Peter. Und für die habe sich Frankreich bei dieser Wahl auf den letzten Metern ja glücklicherweise entschieden.

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