Wackersberg:Weg mit dem Wald

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An der Oberen Isar müssen Wacholder und andere Bäume weichen, damit verdrängte Arten Lebensraum finden. Auf einer Koppel südlich von Bad Tölz sollen Ziegen und Rinder weiden - ein Ortstermin.

Von Sebastian Raviol, Wackersberg

Der Weg ist uneben, an jeder Stelle erwartet den Wanderer ein anderes Gefälle. Das Gehen ist hier nicht einfach, alles ist zugewuchert. Die vielen Kieselsteine lassen erahnen, dass es sich hier nicht um einen Wald handelt, sondern um das alte Bett der Isar. "Wir stehen inmitten des damaligen Flusses", sagt Markus Henning. Als Projektmanager baut er zusammen mit dem Isartalverein hier auf dem Gebiet der Gemeinde Wackersberg ein neues Weideprojekt auf: Der Wildwuchs muss weg. Rinder, Pferde, vor allem Ziegen sollen den wuchernden Wacholder und andere ungeliebte Pflanzen fressen. Am Samstag führte Projektleiter Henning 14 interessierte Bürger durch die erste geplante Koppel bei der Bibermühle zwischen Bad Tölz und Lenggries.

Denn der Mensch hat Hand angelegt an die Isar und damit in die Natur eingegriffen. Früher nahm der Fluss einen ganz anderen Verlauf, war gelegentlich ein reißender Wildbach. "Die Isar ist eigentlich eine Katastrophenlandschaft. Sie schleppt Kies mit, es entstehen Bänke und die Vegetation fängt bei Null an", erklärt Henning. Solche Kiesbänke werden im Isarwinkel Gries genannt, sie sind die Namensgeber etwa von Lenggries, Unter- und Obergries. Das war einmal. "Hier bringt die Isar keinen Kies mehr her. Zu gewissen Zeiten ist fast kein Wasser mehr da", sagt Henning. Viel wird zum Walchenseekraftwerk abgeführt, doch entscheidend sei der Bau des Sylvensteinspeichers gewesen.

Die Folge: Auf dem Kies wuchert der Wald und verdrängt Alpenschwemmlinge wie Schleierkraut, Silberwurz und die Herzblättrige Kugelblume. Mit ihnen weichen spezialisierte Arten wie die Gefleckte Schnarrschrecke, die unterhalb des Sylvensteinspeichers in den letzten fünf Jahrzehnten praktisch verschwunden ist.

Darum organisiert Henning ein vierjähriges Weideprojekt. Bis 2020 sollen Tiere auf sechs Koppeln entlang der oberen Isar insgesamt 62 Hektar von unliebsamer Bebuschung befreien, damit die verdrängten Arten wieder Lebensraum finden. Den Anfang machen zwei Flächen auf gut 25 Hektar zwischen Bad Tölz und Lenggries. Die Maßnahme ist Teil des Bundesprojekts "Alpenflusslandschaften" zum Erhalt der Vielfalt zwischen Ammersee und Zugspitze, das mit 4,6 Millionen Euro ausgestattet ist.

Schafe, Rinder, Pferde, Ziegen - dort, wo die Wanderer am Samstag die erste Koppel besichtigten, sollen die Tiere künftig eine sogenannte Multi-Spezies-Beweidung bilden. Aber vor allem Ziegen würden für das Weideprojekt gebraucht, wie Henning erklärt: " Es sind die einzigen Tiere, die Hölzer gut abbeißen." Eine Ziege pro Hektar, also 62 insgesamt, werde man brauchen. Das sind viele, aber die Verantwortlichen sind zuversichtlich. "Und wenn wir sie aus Garmisch holen müssen", sagt Joachim Kaschek, der das Projekt im Tölzer Landratsamt betreut.

"Kann sich da jeder bewerben und seine Goaßn abgeben?", fragt einer der Interessierten. Solange die Tiere eine Ohrmarke hätten und gemeldet seien, ginge das, sagt Projektmanager Henning. "Man kriegt seine Goaßn im Herbst auch zurück. Die Abschussgefahr ist jedenfalls gering bei uns", scherzt er. Mit der Beweidung könnten die Tiere "mal früh, mal spät" im Jahr beginnen. Weil es nicht so viel zu fressen gibt, möchte Henning nicht zu viele Tiere auf die Koppeln lassen: "Tierquälerei werden wir nicht machen." Der Boden ist trocken, es handelt sich um einen Magerrasen. Nur eine kleine Schicht Erde, dann folgt schon Kies. Natürlich müsse man auch beobachten, ob die Ziegen für die sonstige Vegetation schädlich seien.

Henning hat Erfahrung: An der Pupplinger Au leitete er ein ähnliches Projekt, das erfolgreich seinen Abschluss fand. Doch in Wackersberg gebe es andere Voraussetzungen, der Ausgang sei offen: "Ich gehe es nicht ganz so wissenschaftlich an und sage: Probieren wir es aus." Schon im Frühsommer kommenden Jahres könnten auch Rinder mit der Beweidung beginnen. Ein Zaun wird dafür sorgen, dass die Tiere auf dem Gelände bleiben. "Maschinell ist nur eine Zauntrasse freigeschnitten worden", betont Kaschek. "Ansonsten wird nichts weiter gemacht, als Tiere rein gestellt." Henning sagt: "Aber wenn man merkt, es nutzt nichts, kann man immer noch entbuschen." Etwa 250 000 Euro, so Kaschek, würden in das Projekt bis 2020 investiert. Im Anschluss sei für die Dauer eines Jahres geplant, den Verlauf zu evaluieren. Die Beweidung werde danach fortgeführt, aber nicht mehr mit dieser hohen Intensität.

© SZ vom 21.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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