Wackersberg:Das Genom der Kunst

Sabrina Hohmann setzt sich mit Natur und Erbgut, mit Individualität und Gesellschaft auseinander. Sie verbindet in ihren Werken Geist und Witz

Von Felicitas Amler, Wackersberg

Einen Gebrauchsmusterschutz vom Patentamt hat sie also nicht bekommen für den menschlichen Chromosomensatz. Es wäre womöglich die Rettung vor all dem gewesen, was der Menschheit noch bevorstehen mag an gentechnischen Manipulationen. Sabrina Hohmann hat es versucht. Und allein dies darf man als ein immaterielles Kunst-Stück betrachten. Reflexion über Individualität macht einen Teil des künstlerischen Hohmannschen Werks aus. Sie manifestiert sich auch in jenem Ameisenhaufen, der aktuell im Tölzer Landratsamt steht: 1,40 mal 1,50 Meter lang und breit, 90 Zentimeter hoch und sorgsam aus echtem Waldboden zusammengefügt. "Wir sehen in so einem Ameisenstaat ja gern ein Sinnbild des Gemeinwesens, der Gesellschaft, einen Super-Organismus, in dem Individualität sich auflöst." Weiteres Nachdenken über das Phänomen bleibt dem Betrachter überlassen.

Sabrina Hohmann

Sabrina Hohmann mit zwei Werken: Eselin "Bella" und Ameisenhaufen.

(Foto: Manfred Neubauer)

Der Ameisenhaufen steht - und ein Stück für Stück handgestricktes Abbild eines 23-teiligen männlichen Chromosomensatzes hängt - deswegen im Landratsamt, weil Sabrina Hohmann mit dem Kunstpreis 2016 des Landkreises ausgezeichnet wurde. Ein durchaus beachtlicher Vorgang in einer tendenziell konservativen Region, denn diese Künstlerin liefert nichts, was sich jedermann auf Anhieb erschlösse. Da hüpft ein dem Dürerschen Vorbild nachempfundener Hase durch eine Plexiglaswand; da steht ein Esel, aus Bronze gegossen und weiß angemalt; da liegen angebissene Äpfel, deren Wunden mit Pflastern zugeklebt sind. Mal wirkt Hohmann poetisch - wenn sie mit Tusche und Pastell Berge zu Papier bringt, die unter einem transparenten Zelt aufragen; oder wenn sie einen selbst gezimmerten Jägerhochsitz in eine Wiese stellt, aus dem links und rechts zwei Bootsruder ragen: Man kann in diesem "Luftschiff" sitzen, rudern und nachdenken. Mal ist sie geheimnisvoll, was sich aber eigentlich erst im Gespräch erschließt. Denn zuvor hat man nur starke, große Grafitzeichnungen von Möbeln an der Wand gesehen. Jetzt, da die Künstlerin davon spricht, was in unserer nüchternen Zeit verloren zu gehen droht: Fantasien der Kinder, die unterm Bett Schwerter wähnen, da möchte man noch mal genauer hinschauen auf - und unter - diese vermeintlich toten Möbel.

Sabrina Hohmann

Berge, mit Tusche und Pastell sehr plastisch in Form gebracht - und poetisch unter ein transparentes Zelt gestellt.

(Foto: Manfred Neubauer)

Sabrina Hohmann, 50 Jahre alt, hat an der Kunstakademie in München studiert und lebt seit 15 Jahren freischaffend in Wackersberg. Und sie lebt und schafft dort gern; empfindet sich "angekommen", wie sie sagt, und respektvoll angenommen - auch mit ihren "verrückten Ideen". Mit denen ist sie durchaus in der Welt herumgekommen. So war der Chromosomensatz etwa schon in Mexiko zu sehen und in Rom. Hohmann hat vielerorts Kunst im öffentlichen Raum realisiert. Die Hasen-Installation mit dem Titel "Dürer trifft Einstein auf Reisen" am Institut der Physik der Uni Heidelberg zum Beispiel, Abdrücke von Isarkieseln als Fassadenreliefs an einem Gebäude in München, imaginäre Vogelschwärme, die sie aus Alu-Türklinken an die Wände des Bundesgrenzschutzes in Berlin gezaubert hat.

"Vielleicht hat man mit fünfzig auch genug in die Welt gestellt", überlegt sie. Im Grunde wolle sie mit weniger Material auskommen, sich auch noch mehr der Sprache zuwenden: "Ich möchte eigentlich Gedichte schreiben auf Transparentpapier." Und es lässt sich schon fast ein Gedicht heraushören, wenn die bildende Künstlerin ihre Begeisterung fürs Immaterielle äußert: "Die Sprache ist immer da. Sie wächst wie das Gras."

Eine Arbeit, die Sprache und bildende Kunst verbindet, hat Hohmann aus der ersten Seite der Schöpfungsgeschichte erschaffen: Sie wollte "das Genom der Bibel" zeigen und hat dazu den Text auf die Nukleinbasen der DNA-Bausteine reduziert: A für Adenin, C für Cytosin, G für Guanin und T für Thymin. Alle anderen Buchstaben hat sie weiß übermalt. Das Ergebnis ist ein elfenbeinfarbenes Papier mit vielen weißen Flecken, zwischen denen kleine und große schwarze Buchstaben vermeintlich sinnlos herumschwirren. Die Erschaffung der Welt als unlesbares Gedicht. Total kopfig, aber auch herrlich verspielt.

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