Von München nach Johannesburg:Der Eisenmann

Von München nach Johannesburg: 11,4 Kilometer Schwimmen, 540 Kilometer Radeln, 126,6 Kilometer Laufen: Kein Problem für den Extremsportler Michael Schmüser.

11,4 Kilometer Schwimmen, 540 Kilometer Radeln, 126,6 Kilometer Laufen: Kein Problem für den Extremsportler Michael Schmüser.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Der Ultra-Triathlet Michael Schmüser radelt Strecken, die andere fliegen. Er steht im Guinness-Buch der Rekorde - und ist jetzt auch Sportler des Jahres in Wolfratshausen

Von Julian Erbersdobler, Wolfratshausen

Als der Mittelstreifen anfängt, vor Michael Schmüsers Augen zu tanzen, hat er schon 700 Kilometer in den Beinen. Die weißen Striche lösen sich vom Asphalt und steigen wie Luftballons in den Himmel. Schmüser halluziniert. Das war, 2015, erzählt der Extremsportler in seiner Wohnung. Damals ist er mit dem Rad von Flensburg nach Garmisch-Partenkirchen gefahren. 1100 Kilometer quer durch Deutschland, von Nord nach Süd, über die Ausläufer vom Harz bis zum Fuß der Alpen. "Am Ende kam ich mit Tränen in den Augen nach 55 Stunden und 16 Minuten ins Ziel", sagt er.

Michael Schmüser, 46, Brille, Rollkragenpullover, radelt Strecken, die andere fliegen. Schmüser joggt, was andere mit dem Auto fahren. Er schwimmt Distanzen, für die andere die Bahn nehmen. Der Wolfratshauser Sportler des Jahres hat schon ungefähr 200 Marathonläufe hinter sich gebracht. In der Summe sind das 8439 Kilometer, also einmal von München nach Johannesburg. Halluzinationen hatte er noch nie, bis zu dem Radrennen 2015. "Wenn ich keine Pause eingelegt hätte, wäre ich umgekippt." Als er damals durch ein kleines Dorf radelt, vier Uhr in der Früh, erkennt Schmüser die Silhouette eines Mädchens. Es läuft vor ihm über die Straße und setzt sich auf den Gehweg. "Das Mädchen war ein Stein, die Haare aus Gras", erinnert er sich. Als der Sportler realisiert, dass er Geister sieht, gibt er seinen Begleitern im Campingwagen hinter ihm Bescheid und legt sich eine halbe Stunde schlafen. Danach sei er weitergefahren, sagt Schmüser.

Wenn der Triathlet erzählt, wie er zu jemandem wurde, der zwei Nächte durchradeln und 24 Stunden am Stück laufen kann, klingt das weniger wahnsinnig als pragmatisch. Acht Jahre spielte er in seiner Heimat Schleswig-Holstein Fußball, bis er zur Leichtathletik wechselte. Besonders der Sprint habe ihm gelegen, sagt er. Den ersten Marathon lief Michael Schmüser im April 1989 in Hamburg, neue Strecke, neues Glück. Sein Fazit: "Das machst du nie wieder!" Mit einer Zeit um die fünf Stunden kam er mit den langsameren Läufern ins Ziel. Der Muskelkater machte ihm, damals 18, noch zwei Wochen danach das Leben schwer. Wenn er an die Vorbereitung denkt, muss er lachen. "Ich bin ein paar mal fünf und zehn, vielleicht einmal 20 Kilometer gelaufen und dachte: Das reicht schon." Eineinhalb Jahre danach: der nächsten Marathon. Dann noch einer. Und so ging es weiter, Kilometer für Kilometer, bis er 2013 mit einem Bandscheibenvorfall zum Arzt musste. Dessen Empfehlung: Fahrradfahren. "Ich hatte da noch nicht mal ein Rad", sagt Schmüser, der jetzt schon seit fast 20 Jahren in Bayern wohnt. Es dauerte nicht lange, bis er sich eins kaufte und auf eine Schnapsidee kam: ein Besuch bei seinen Eltern in Schleswig-Holstein, 860 Kilometer mit dem Trekkingrad, vier Tage, zwei Satteltaschen und eine Bayernfahne.

Jetzt müsste er nur noch Schwimmen üben, dachte sich der Eutiner, dann könnte er doch einen Triathlon machen. "Damals wusste ich gar nicht, wie man richtig krault." Wenig später meldete sich Michael Schmüser für den Iron-Man in Zürich an. Einziger Haken: Er musste die 3,8 Kilometer unter zwei Stunden schwimmen, um überhaupt im Rennen zu bleiben. Am Ende schaffte er es gerade so. Warum tut man sich das an? "Ich bin einfach gerne unterwegs", sagt der Athlet vom TSV Wolfratshausen. Das ist leicht untertrieben: Michael Schmüser war 1999 der erste Mensch, der mit 27 Jahren auf allen Kontinenten mindestens einen Marathon gelaufen ist. Sein Name steht im Guinness-Buch der Rekorde. Die Urkunde hängt wie die vielen anderen Medaillen und Startnummern an der Wand in seinem Flur, der auch in ein Vereinsheim passen würde.

Mittlerweile ist der Sportler schon beim nächsten Level angekommen: Ultra-Triathlon, 11,4 Kilometer Schwimmen, 540 Kilometer Fahrradfahren, 126,6 Kilometer Laufen. Wie er das packt? "Ich denke immer nur positiv und freue mich auf jeden Wettkampf." Viele seiner Sätze klingen so, als könnte das jeder, Schuhe anziehen, Kopf ausschalten und einfach loslaufen, stundenlang. Michael Schmüser ist schon durch die Sahara gejoggt und im Dschungel auf Bali, besonders gut kann er sich an den Marathon in der Antarktis erinnern, als er mit einem Expeditionsschiff zum Start gefahren ist. Der gesamte Trip kostete ihn 11 000 Mark. Auf Hawaii war er auch schon zweimal. Da laufe man in der Früh dem Sonnenaufgang entgegen. Er sagt: "Ich kann die Natur genießen, weil ich keine Rekorde brechen will." Seit einiger Zeit ist er ohne Uhr unterwegs. Das ist ungefähr so, als hätte Sebastian Vettel keine Ahnung, ob sein Ferrari gerade auf dem siebten oder ersten Platz ist.

Wenn Schmüser nicht joggt, radelt oder schwimmt, fährt er in Wolfratshausen Bus. Als Technischer Zeichner hat er nach der Ausbildung nie gearbeitet, stattdessen zog es ihn zum Transportbataillon der Bundeswehr. Da lernte er auch das Busfahren. Heute läuft er vor seinen Schichten manchmal um den Starnberger See. "Das ist für mich wie Yoga", sagt er. Es gebe da aber noch eine Sache, die ihn richtig reizen würde: 1300 Kilometer Laufen von Sylt bis zur Zugspitze, eine 19-tägige Tortur, Prinzip: Survival of the Fittest. Der Veranstalter verspricht auf seiner Homepage ein Rennen mit "Höllenqualen" und Sanitätern vor Ort. Das kann sich Schmüser nicht entgehen lassen.

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