Süddeutsche Zeitung

Virtuelles Konzert im "Hinterhalt":Erstaunendes Frohlocken

Silke Aichhorn stellt bei ihrem Auftritt ohne Publikum in der Geltinger Kleinkunstbühne unter Beweis, dass eine Harfe mehr kann als lieblich klingen

Von Barbara Szymanski, Geretsried

Warum wird die Harfe meist von Frauen gespielt? Silke Aichhorn weiß die Antwort. Multitasking sei gefragt, wer dem 40 Kilogramm schweren Holzinstrument verführerische und zum wegträumen schöne Melodien entlocken wolle: zupfen und dabei die Saiten beobachten. Denn es gibt nichts zu erfühlen wie beim Klavier oder anderen Instrumenten. Mit den Füßen Pedale bedienen für die Halbtöne, die Noten umblättern, dabei entspannt wirken und Dynamik entwickeln, damit die Zuhörer sich nicht zu weit weg träumen.

Dafür sorgt die mit Preisen bedachte, europaweit gefragte Harfenistin aus Traunstein in der Geltinger Kulturbühne "Hinterhalt" gleich zu Beginn ihres Konzerts mit einem würzigen Samba, zu dem es sich tanzen ließe. Die Konzertharfe frohlockt bei diesem Kleinod nicht nur. Sie swingt, jazzt. Dissonanzen lösen sich auf, die angeschlagenen Saiten klingen mitunter härter, um dann wieder zu tremolieren oder köstliche Glöckchentöne durch den Raum zu schicken.

Der Applaus ist dünn. Das Harfenkonzert hat keine analogen, sondern wie seit einem Vierteljahr nur virtuelle Zuschauer. Auch dieser Auftritt im Hinterhalt wird einmal mehr als Live-Stream-Konzert im Internet aufgezeichnet und Assunta Tammelleo, Wirtin der Kleinkunstbühne, jubelt mit der Harfe um die Wette: "Live schon 150 Zuhörer. Wunderbar!"

Silke Aichhorn, die sich selbst als Rampensau bezeichnet, beeindruckt das fehlende Publikum nicht. Sie will nur eines: spielen. Bislang seien 37 Konzerte abgesagt worden, sagt sie und ist bemüht, Haltung zu bewahren. Sie erzählt über ihr Instrument, für das sie sich schon sehr jung und wohl für immer entschied. Sie will das ewig jubelnde Instrument sozusagen entstauben mit Werken, bei denen das typische Erscheinungsbild von Harfenistinnen - lange Haare, fließendendes langes Kleid, raunende Tonleiterstränge bei weitem nicht ausreichen, sondern ausgewählte Stücke hart erarbeitet werden müssen. Wie die aus der Türkei stammende Hethiti Suite von Cagatay Akyol. Angelehnt ist diese musikalische Preziose im eckigen 5/8-Takt an ein Thema der Musik der Hethiter aus Kleinasien. Es gibt Beifall. Tammelleo jubelt und pfeift in den ungewohnt leeren Raum des Hinterhalts. Auch der Kameramann Thorsten Thane aus Waldram, sonst mit der BR-Krimiserie "Hubert & Staller" beschäftigt, und Tontechniker Hendrik Noller aus Gelting zollen Anerkennung. Sie werden noch einiges zu tun haben. Denn die Wirtin will in diesem Jahr keine Sommerpause einlegen, sondern durchspielen lassen und der wachsenden Anzahl von virtuellen Zuschauern "ein tolles Programm" bieten.

Wie den Auftritt von Silke Aichhorn. Die Harfenistin, Musiklehrerin und Buchautorin spielt nicht nur mal beseelt und dann wieder forsch und fordernd oder verführend mit Flageoletttönen auf den oberen Saiten und ausgleichenden, rollenden und grollenden auf den unteren. Sie bietet auch zwischendurch einige Kostproben aus ihrem im Selbstverlag erschienenen Buch "Lebenslänglich frohlocken". Dabei lässt sie die Texte für sich sprechen über ihre teilweise skurrilen Erlebnisse aus ihrem Konzertalltag. Sie erzählt mit ruhiger Stimme, welche Tricks sie anwenden müsse, um weiterzukommen mit ihrem ziemlich großen Instrument, wenn mal der ICE im Tunnel stehen bleibt zwei Stunden vor Konzertbeginn. Oder wie sie die passende Lücke bei einer voll durchgeplanten Hochzeit gefunden hat, bevor die äußerst engagierte Schwiegermutter vollkommen aus der Fassung gerät. Genug gekichert. "Die Moldau" als Soloversion für Harfe lässt die wenigen Zuhörer wieder andächtig werden. Es braucht offenbar kein Orchester, um diesem weltberühmten Werk Glanz zu verleihen. Es genügen acht Finger und zwei Füße, um die gemächlichen Wellen der Moldau zu hören, den Wind in den Büschen oder die Feiernden auf der Bauernhochzeit. Silke Aichhorn legt viel Seele, Gefühl und Farbe in dieses Stück, dem ein Werk folgt, das einmal mehr Staunen macht, wie vielseitig die Harfe sein kann. Wie bei einem Chanson von Carlos Salzedo. Da erarbeitet sie Sequenzen wie auf einem Klavier, trommelt auf den Korpus, reißt die Saiten hart an oder spult die Tonleitern mit den Fingernägeln ab, was metallische Töne hervorbringt. Auch so lässt es sich frohlocken - mit mehreren Prozessen gleichzeitig.

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SZ vom 22.06.2020
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