Viertes Chorprojekt in Benediktbeuern:Singen mit Propeller

Andrea Fessmann bringt Laien aus Nah und Fern zum gemeinsamen Singen zusammen. Sie selbst ist das Herz dieses "Heart-Chors".

Von Sabine Näher

Ein Ehepaar aus Leipzig verbringt ein paar schöne Augusttage in der oberbayerischen Bilderbuchlandschaft um Benediktbeuern. Soweit nichts Besonderes - im Sommer ist die Region ein beliebtes Urlaubsziel. Aber Ingrid und Jens Hilmers sind nicht zum Bergsteigen, Wandern, Fahrradfahren oder Baden hier. Seit Montag sitzen sie täglich von neun bis zwölf und dann wieder von sechs bis neun Uhr abends im Allianzsaal des Zentrums für Kultur und Umwelt (ZUK) im Kloster Benediktbeuern. Sie sind in voller Konzentration, Noten und Bleistift in der Hand und völlig Ohr für alles, was die temperamentvolle Frau, die am und vor dem Flügel mit weit ausholenden Bewegungen und riesigen, immer strahlenden Augen agiert, so von ihnen verlangt. Die Hilmers sitzen inmitten von 48 weiteren sangeslustigen Mitstreitern, die sich auf das Projekt mit dem hintergründigen Titel "Heart-Chor" eingelassen haben. Und das Herz dieses Projekts ist Andrea Fessmann, die vor Vitalität sprühende Frau am Flügel, in der Region bekannt als Sängerin, Chorleiterin und Managerin der Iffeldorfer Meisterkonzerte.

Zum vierten Mal hat Fessmann zu einem sommerlichen Chorprojekt ins Kloster eingeladen. Von den 50 Teilnehmern kannte sie vorher etwa ein Fünftel, allen anderen ist sie am Montagmorgen zum ersten Mal begegnet. "Das Zusammenfinden ging diesmal ganz schnell. Es ist wirklich eine ganz herzliche Gruppe", sagt die Sängerin, die mit den ersten zweieinhalb Tagen Arbeit völlig zufrieden ist. Abgelehnt wird hier kein Interessent; es gibt kein Vorsingen, sondern jeder ist mit seinen Fähigkeiten willkommen.

Aus diesem sehr heterogenen Gemisch innerhalb einer Woche einen konzertfähigen Chor zu zaubern, ist die nicht geringe Herausforderung, der sich Fessmann mit Begeisterung stellt. Dafür hat sie Werke ausgewählt, "die mich berühren, die mir zu Herzen gehen und bei denen ich das Gefühl habe, es entsteht eine Verbindung der Seele zum Göttlichen". Das mag zunächst etwas abgehoben klingen, aber wenn man Fessmann bei der Arbeit zuschaut und erlebt, was sie bei den Chorsängern bewirkt, dann spürt man, dass sie genau die richtige Formulierung gewählt hat. Stilistisch kennt sie übrigens keine Grenzen oder Hemmschwellen: Die Bandbreite der Literatur reicht von Leonard Cohens "Halleluja" bis zu Bachs "Wohl mir, dass ich Jesum habe", vom bayerischen Andachtsjodler bis zum Gospel.

In einem leuchtend pinkfarbenen Shirt und einem bunten Sommerrock steht die Sängerin, dem nassgrauen Regenwetter trotzend, vor ihrer Schar und erklärt: "Das Herz muss euch beim Singen immer aus den Augen rausschauen!" Wer nicht versteht, wie das gemeint sein könnte, braucht nur sie anzusehen. Mit "Uuuuuuh!" und "Aaaaaah!", mit jauchzenden Wohlfühllauten auf verschiedenen Tonhöhen fällt das Einsingen eher kurz aus; schließlich hat man am Vormittag schon drei Stunden lang geprobt. Und los geht's mit der Literatur: "Wirf dein Anliegen auf den Herrn" von Felix Mendelssohn macht den Anfang. "He, was ist da los? Ihr schleppt total!", ruft Fessmann in den Saal und verdoppelt ihren Körpereinsatz, um die Choristen auf Touren zu bringen. Mendelssohn zum Warmwerden; weiter geht's mit Bachs Choral "Ach, mein herzliebes Jesulein" - allerdings in der verjazzten Version von Stephan König, der ungewöhnlich vertrackte Rhythmen verlangt. "Was braucht ein Hubschrauber, damit er sich nach oben bewegt? Richtig, einen Propeller! Also schaltet vor den hohen Tönen einfach euren Propeller an", lautet Fessmanns Anweisung, welche die Sänger erstaunlicherweise sofort umsetzen können. Der Klang hat sich hörbar verändert.

Auf den verjazzten Bach folgt barocke Klangfülle in Reinkultur: "Cantate domino" von Giuseppe Ottavio Pitoni entfaltet mitreißende Vitalität. Mittendrin erhebt sich eine ganze Gruppe aus dem Sopran und verlässt geschlossen den Probensaal. Protest? Nein, die Frauen wechseln hinüber zu Martin Petzold, Kammersänger aus Leipzig, der auch dieses Jahr wieder für die Gruppen- und Einzelstimmbildung verantwortlich ist und sich vor Anfragen kaum retten kann. Fessmann motiviert währenddessen die Dagebliebenen: "Selbst wenn ihr das Gefühl habt, ihr könnt es noch nicht ganz, tut trotzdem schon mal so, als würde es euch Spaß machen. Dann klingt's gleich ganz anders."

Nach eineinhalb Stunden ununterbrochener Arbeit (die meisten anderen Chorproben wären da schon zu Ende) sind eben mal zehn Minuten Pause erlaubt. Die Hilmers wirken gleichwohl euphorisch: "Wir waren letztes Mal schon dabei. Es ist einfach super toll hier. Alles passt zusammen!" Der Kontakt zu den Mitsängern habe sich mühelos ergeben. Für die Leipziger steht jetzt schon fest: "Wir kommen nächstes Jahr wieder!"

Das Abschlusskonzert findet am Samstag, 12. August, 18 Uhr, in der Basilika Benediktbeuern statt

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