Musik der Mehrchörigkeit, die den Raum einbezieht, hatte Andrea Fessmann, Leiterin des Münchner Lassus-Chores, für ihr Konzert in der Basilika Benediktbeuern zusammengestellt. "Wir musizieren in wechselnden Aufstellungen, was Zeit braucht - und bitten um Ihre Geduld", erklärt sie eingangs. Da sie auch das Lassus-Bläserensemble mitgebracht hat, lassen sich die Chor-Wanderungen aufs Beste musikalisch überbrücken, so dass kaum Leerlauf für die Zuhörer in der gut besuchten Basilika entsteht.
Zoltán Kodálys "Jesus und die Krämer" für sechsstimmigen Chor bringt ein selten zu hörendes Werk der Moderne zur Eröffnung. Der Chor soll keinen Schönklang produzieren, sondern Sprechgesang, rhythmisch akzentuiert. Der Ausdruck, die bestmögliche Textausdeutung, ist gefragt. Dicht und gesammelt beginnen die Sänger zu erzählen. Als Jesus die Geldwechsler im Tempelhof vertreibt, ist ein wildes Getümmel darzustellen. Gottlos seien jene, die "meines Vaters Haus durch Schächerei entweihen". "Gottlos" wiederholt der Chor immer wieder, quasi ein riesiges Ausrufezeichen setzend. "Dieweil all die Menge kam und folgte ihm nach" schließt dann ganz dicht, gesammelt und drückt Kraft und Stärke aus.
Um "den Bogen zu schlagen zur barocken Basilika", so Fessmann, folgt Johann Sebastian Bach. Der Marsch BWV 207a, bearbeitet für Bläserensemble, entfaltet die Feierlichkeit, die sauber intonierende und ausdrucksvoll spielende Blechbläser unumgänglich produzieren. Juan Cererols Gloria aus der "Missa für zwölf Stimmen in III Chören" kann an diese Klangpracht anknüpfen. Vorne im Altarraum, rechts seitlich am Nebenaltar und links oben auf der Empore postiert lassen die Sänger das Publikum im Klang baden.
Fessmann dirigiert mit vollem Einsatz nach allen Seiten hin, um die Koordination zu wahren. Diese Aufstellung bleibt für Leonardo Casulanos gleich besetztes "Ave, Regina coelorum". Dabei sind die Klänge der drei Chöre stärker ineinander verwoben; es entsteht die typische italienische Mehrchörigkeit, wie sie exemplarisch in Venedig praktiziert wurde. Fessmann erläutert diese Praxis und erklärt, man habe damit die "Sphärenmusik" abbilden wollen. Das wird auch im nächsten Stück deutlich, Andrea Gabrielis "Canzon a quattro", mit dem erneut die Bläser glänzen.
Wieder in die Neuzeit führt Henryk Goreckis "Totos tuus", ein Lobpreis der Mutter Gottes. Das Werk beginnt mit der kraftvollen Anrufung "Maria, Maria!" und fährt dann ganz sanft und verinnerlicht fort. Der Chor produziert ein schön tragendes Piano, voller Ausdruck, ja Andacht. Wie ein Mantra wird "Maria" wiederholt, durchläuft verschiedene Ausdrucksnuancen und entfaltet geradezu meditative Wirkung. Zurück zur venezianischen Mehrchörigkeit - denn die war vokal wie instrumental zu verstehen, man tauschte auch Stimme und Instrument, je nach Verfügbarkeit der Ausführenden - geht es mit Giovanni Croces sanft wiegendem "Cantate Domino" der Bläser, welches man ebenso gut als Chorsatz ausführen könnte, wie die Dirigentin anmerkt.
Dass das doppelchörige Prinzip von der Renaissance über Barock bis zur Moderne wirkte, belegt Fessmann darauf mit Carl Orffs "Sonnengesang des heiligen Franziskus". Wegen der besonderen Beziehung des Komponisten zu Benediktbeuern, dort fand man die Textsammlung zu seinem Welthit "Carmina burana", sollte er im Programm vertreten sein. Der Chor ist nun vorne im Altarraum und hinten oben auf der Orgelempore aufgestellt, was dem Frage-Antwort-Schema des Werkes entgegenkommt. Keine reich verzierten Verschränkungen, sondern akzentuierter und rhythmisch geprägter Sprechgesang.
Mit Felix Mendelssohn kommt die wieder ganz andere Farbe der Romantik ins Spiel; nicht die erhabene Majestät der Renaissance, nicht die bewusste Reduktion der Moderne, sondern Gefühlsintensität, die unmittelbar ergreift. Giovanni Gabrieli führt zurück nach Venedig. Der rundum platzierte Chor lässt die Zuhörer abschließend nochmals in festlich jubelnde Klänge eintauchen. Viel Beifall.