Süddeutsche Zeitung

Vernissage im Hollerhaus:Nasenfüßler und Lockentürme

Die Ickinger Künstlerin Alinde hat ein fünfjähriges Mädchen an den Maltisch gebeten. Das Ergebnis ist nun in einer Ausstellung zu sehen: "Dialog - Alinde & Stefania"

Von Stephanie Schwaderer, Icking

Jeder kann sich die Szene ausmalen: Auf dem Tisch im Haus einer Künstlerin liegen Bilder, Malereien, die auf den ersten Blick abstrakt wirken. Ein Kind tritt an den Tisch, greift spontan zu Pinsel und Farben und malt kreuz und quer darüber, was ihm in den Sinn kommt: Einen grünen Strich Wiese, einen blauen Strich Himmel, dazwischen Blumen, Schmetterlinge und Sterne. Was wird passieren? Wie wird die Künstlerin reagieren? Im Fall von Alinde Rothenfußer heißt die Antwort: Sie organisiert eine Ausstellung und gibt dazu noch ein Buch heraus. "Dialog - Alinde & Stefania" lautet der Titel. Die Vernissage ist am Sonntag, 21. Juli, im Hollerhaus.

Humorvoll, großzügig, unkonventionell - so kennt man die Ickinger Galeristin, die sich gern in bunte Gewänder kleidet und als Künstlerin nur bei ihrem Vornamen genannt werden möchte. Alinde hat mit ihrem Mann, dem Augenarzt Walter Rothenfußer, sieben Kinder großgezogen; die beiden haben Enkel und Urenkel. Stefania ist die fünfjährige Tochter einer Freundin der Familie. Wie viele Stunden Alinde und das Mädchen mit dem blonden Zopf zusammen am Maltisch verbracht haben, hat keiner gezählt. Das Resultat jedoch, mehr als 50 Bilder, hängt im Hollerhaus. "Es sieht ein bisschen aus wie ein unaufgeräumtes Kinderzimmer", sagt Alinde und lacht ihr Sopran-Lachen.

Wer die Bilder betrachtet, erahnt, dass dieser Dialog ein inniger, respektvoller war, kein belehrender. Die Meisterin hat ihrer jungen Malgefährtin Alrografien zur Verfügung gestellt und sie dann mit Stiften, Pinseln, manchmal auch den blanken Fingern machen lassen.

Alrografien nennt Alinde eine Bildtechnik, die sie für sich entwickelt hat. Sie fotografiert die Oberflächen rostiger Müllcontainer, die meist zwischen Graublau und Orangerosa changieren, und erweckt auf ihnen mit Hilfe von Umriss-Akzentuierungen und Übermalungen neues Leben: Mal amöbenhaft, mal engelsgleich befreien sich fragile Wesen aus dem Verfall.

Und jetzt kommt Stefania. Klatscht knallgelbe Sonnen, Palmen und Regenbögen aufs Papier. Verteilt großzügig Herzen. Malt Frauen mit wilden Lockentürmen, die ein bisschen an Alinde erinnern. Und lässt eine Biene wie Superman aus dem Blumenbeet steigen, so kraftstrotzend, dass man das grassierende Artensterben für einen Moment vergisst. "Ich hab mit keinem Strich dran gerührt", sagt Alinde. "Das war mir heilig." Was sie jedoch gemacht hat: Sie hat Stefania Geschichten erzählt. Von Oscar Wilde und dem selbstsüchtigen Riesen zum Beispiel. Und sie hat zugehört, was Stefania ihr zu erzählen hatte. So bevölkern auch viele rätselhafte Gestalten die Szenerien: Nasenfüßler und Ohrenschnecken, Wunderwesen, wie nur Kinder sie aufs Papier bringen. Ob das Kunst ist?

"Mir geht es um etwas ganz anderes", sagt Alinde. "Es reißt mich im Herzen, wenn ich sehe, wie Kinder heute aufwachsen. Dass Dreijährige Smartphones in der Hand halten und diese schrecklichen Filme anschauen." Die wichtigste Botschaft heißt für sie: "Kinder brauchen Aufmerksamkeit, persönliche Zuwendung. Und sei es nur eine halbe Stunde am Tag." Nur so könnten sie ihre Begabungen entdecken, ihre Persönlichkeit entfalten. "Kinder sind der größte Schatz, den wir haben. Wir dürfen sie nicht in Klischeeförmchen quetschen, wir backen ja keine Plätzchen!"

Stefania kommt im Herbst in die Schule. Bald wird sie ordentliche Bilder malen. Ihre alrografischen Wunderwelten jedoch könnten Betrachter animieren, selbst einmal das Handy für ein paar Stunden wegzulegen. "Ich will eine kleine Maus loslassen", sagt Alinde. Wer weiß, vielleicht fängt der ein oder andere sie ein - und lässt sie weitersausen.

Vernissage am Sonntag, 21. Juli, 11 Uhr; bis 11. August, Sa und So, 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung Tel. 08178/4408

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Quelle:
SZ vom 18.07.2019
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