Süddeutsche Zeitung

Verkehrsprobleme in Schäftlarn:Das Fenster zum Stau

Das Bauernhaus der Familie Doll in Hohenschäftlarn liegt direkt an der Durchgangsstraße. Die Gemeinde hat 5600 Einwohner - und muss täglich doppelt so viele Fahrzeuge verkraften.

Von Ingrid Hügenell

Die Küche von Barbara und Rupert Doll sieht aus, wie Bauernküchen eben aussehen: ein gemütlicher Wohnraum mit viel Platz zum Arbeiten und einer Eckbank mit großem Tisch, an dem gegessen wird, wenn nicht zu einem besonderen Anlass das Wohnzimmer, die Stube, aufgemacht wird. Sitzt man am Tisch, könnte man sich fühlen wie in einem richtigen Dorf. Schaut man aber aus dem Fenster und hört auf die Geräusche, kommt man sich vor wie in der Stadt. Denn die Hauptdurchgangsstraße von Hohenschäftlarn, die Starnberger Straße, führt direkt am Hof der Dolls vorbei.

"Wenn die Fenster auf sind, das ist der Wahnsinn", sagt Barbara Doll. "Ohne die doppelten Fenster wär's nicht zum Aushalten." Fast 12 000 Autos befahren die Starnberger Straße in 24 Stunden, etwa drei Prozent sind Schwerlastverkehr. Das kann man auch spüren, wenn ein großer Bus, ein Kieslaster oder ein Tankwagen vorbeidonnert: Dann vibriert der Boden, manchmal wackelt das ganze Haus. "Es ist aus Feldsteinen gemauert, das ist flexibel", sagt Rupert Doll lakonisch. Die besonders langen Sattelschlepper kommen immer wieder auf den Gehweg, weil sie anders die enge Kurve nicht schaffen.

Das Bauernhaus "zum Jägerbauern" gibt es seit dem 17. Jahrhundert. Rupert Dolls Großvater hat es geerbt. Doll ist stolz auf den Hofnamen, der sich davon ableitet, dass das Haus ursprünglich eine Unterkunft für die Jäger des Klosters war. 35 Milchkühe mit Jungvieh hält er. Auch der Stall liegt unmittelbar an der Starnberger Straße, die lange nur ein schmaler Weg war. Immer näher ist sie an den Hof und die anderen Häuser herangerückt, auch an das Pfarrheim weiter oben. Als die Garmischer Autobahn gebaut wurde, wurde sie verbreitert, das Niveau der Fahrbahn ist heute deutlich höher als früher. Das sieht man am Jägerbauern-Hof an den Stallfenstern, die nur einige Zentimeter über dem schmalen Gehweg liegen. Auch im Wohnhaus ist der Effekt deutlich zu merken. Dolls können sich zum Beispiel keine normale Eckbank kaufen. Weil deren Lehne in das Fenster hineinragen würde, müssen sie sich eine schreinern lassen.

Gemüse im Vorgarten anbauen oder vor dem Haus sitzen und Kaffee trinken, das können die Dolls nicht mehr. Denn wenn im Sommer am Wochenende keine Lastwagen vorbeifahren und auch keine Schulbusse, dann kommen die Motorradfahrer. Und die sind mindestens genauso schlimm, findet Barbara Doll. "Wie blöd fahren die", schimpft sie. Wenn irgendwo zwischen Hohenschäftlarn und München eine größere Baustelle ist, rattern die Transporter mit dem Aushub vorbei. Nach München hinein dürfen sie nicht, die Landeshauptstadt schafft sich den Verkehr auf Kosten Schäftlarns vom Hals. Nicht nur der Lärm macht der Bauernfamilie zu schaffen, auch der Dreck an Fenstern und Hauswand, die man eigentlich alle fünf Jahre weißeln lassen müsste. Beide sind Befürworter der Umfahrungsstraße, die eine Bürgerinitiative fordert und die Gemeinde plant.

Natürlich ist die Situation entlang der Straße nicht ungefährlich. Am Dach des Pfarrheims bleibe alle ein bis zwei Jahre ein Lastwagen hängen, berichtet Bürgermeister Matthias Ruhdorfer. Besonders Radler seien gefährdet, wenn sie schnell bergab fahren. Ältere Menschen überqueren die Starnberger Straße ungern und nehmen Umwege in Kauf, um eine Stelle zu finden, die gut zu überblicken ist. Wer mit Rollstuhl oder Kinderwagen unterwegs ist, tut sich auf den schmalen Gehwegen schwer. Dass bisher nichts Schlimmes passiert ist, liege auch daran, dass die Straße abwärts von Gefahrguttransporten nicht befahren werden darf, erklärt Ruhdorfer. Auch er hat im Rathaus die Straße vor der Tür - telefonieren könne er nur bei geschlossenem Fenster, sagt er. Mit dem Auto brauche man bei starkem Verkehr einige Minuten, um aus der Ausfahrt des Rathaushofs herauszukommen. Da kann man schon mal vergessen, dass Schäftlarn eigentlich eine dörfliche Gemeinde ist.

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SZ vom 08.02.2013
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