Verkäuferin der ersten Stunde:Das Isar-Kaufhaus war mein Leben

Elfriede Rupp legte Fußböden und schleppte Waren über Leitern, wo es noch keine Treppen gab. Die heute 84-Jährige war von Anfang an dabei - Tochter Edeltraud war die erste Auszubildende.

Von Thekla Krausseneck, Wolfratshausen

Am frühen Morgen des 30. März 1966 schlüpfte Elfriede Rupp in einen weißen Kittel und brach auf ins Isar- Kaufhaus, das an diesem Tag eröffnen sollte. Die halbe Nacht noch hatten sie und ihre Kollegen gemeinsam mit Otto-Ernst Holthaus die Regale mit den unterschiedlichsten Waren gefüllt, mit Geschirr, Kleidung, Spielzeug, Nähgarn und allen möglichen anderen Dingen. Rupp ahnte nicht, welcher Anblick sich ihr am Abend bieten sollte: dass die Kunden des Isar-Kaufhauses die Regale gleich am ersten Tag leerkaufen würden. Noch heute, 50 Jahre später, erinnert sich Rupp lebhaft an ihren ersten Arbeitstag in Wolfratshausen. "Das war eine Katastrophe!", ruft sie und lacht.

Genaugenommen war jener 30. März gar nicht Rupps erster Arbeitstag: In Wahrheit war sie schon viel länger dabei. Als sie von Pasing nach Wolfratshausen kam, war das Isar-Kaufhaus noch eine schmutzige Ruine, die einst unter anderem einen Getreidespeicher und eine Knabenschule beherbergt hatte. Rupp packte an, wo sie konnte, legte Fußböden und baute Regale auf, schleppte Waren über Leitern, wo es noch keine Treppen gab. Ganze sieben Monate dauerte es, aus dem Nichts ein Kaufhaus entstehen zu lassen. Dieses Kaufhaus sollte für Rupp weit mehr werden als nur ein Arbeitsplatz. "Das Isar-Kaufhaus war mein Leben", sagt die inzwischen 84 Jahre alte gebürtige Unterfränkin.

Dass ihr Leben diese Entwicklung nehmen würde, davon ahnte Rupp noch nichts, als sie sich an einem Tag des Jahres 1963 aufmachte, um sich in einem Pasinger Kaufhaus vorzustellen. Beim ersten Besuch musste sie unverrichteter Dinge wieder heimkehren: Holthaus senior, der das Kaufhaus damals führte, war gerade nicht anwesend - sondern im Krankenhaus auf der Entbindungsstation. Es sei der Tag gewesen, an dem Tochter Dolly auf die Welt gekommen sei, die kleine Schwester des gerade ein Jahr alten Frederik. "Am nächsten Tag kam ich wieder und fragte: Zu was darf man gratulieren?", erzählt Rupp. Am Abend durfte sie ihren neuen Arbeitsvertrag feiern. Sie fing zunächst als Reinigungskraft an, später - wegen ihres großen Fleißes - stieg sie zur Verkäuferin auf. Das geht aus einem Arbeitszeugnis von 1966 hervor, das Rupp bis heute zusammen mit schwarz-weißen und vergilbten Fotos aufbewahrt. Unter den Erinnerungen ist auch ein warmherziges Dankschreiben, das Holthaus ihr zur zehn Jahre andauernden Zusammenarbeit geschickt hat.

Das Arbeitszeugnis erhielt sie, weil sie weniger als zwei Jahre später aus dem Pasinger Kaufhaus ausschied - um Holthaus senior nach Wolfratshausen zu folgen. Von einem Freund hatte Holthaus von der leer stehenden Immobilie erfahren, die Volksbank hatte ihm einen Kredit von einer Million Mark versprochen und der Vermieter Hans Hugo hatte ihm sein Einverständnis für den Ausbau der Ruine gegeben, sofern Holthaus alle Ausgaben und die Instandhaltung selbst finanzieren würde. Grünes Licht für das Isar-Kaufhaus: Die Sanierungs- und Umbauarbeiten begannen, und Rupp war von Anfang an mit dabei.

Ihre damals 15 Jahre alte Tochter Edeltraud, die heute den Familiennamen Woratsch trägt, wurde die erste Auszubildende des Isar-Kaufhauses. Mit dem Umzug aus der großen Stadt hinein ins "schlafende Nest" Wolfratshausen sei sie anfangs gar nicht klargekommen, sagt sie. Doch in der Zeit vor der Eröffnung des Isar-Kaufhauses hatte sie gar keine Zeit mehr, um sich darüber Gedanken zu machen. Die Kunden stürmten das Kaufhaus geradezu, die Wach- und Schließgesellschaft musste die Türen sichern und ließ die Kunden nur schwungweise in den Laden. "Für Wolfratshausen war das eine andere Dimension", erinnert sich Woratsch. Sie blieb nur drei Jahre im Isar-Kaufhaus, doch diese drei Jahre sind ihr lebhaft im Gedächtnis geblieben. Etwa, dass der Tennisplatz, den Holthaus neben dem Märchenwald eröffnet hatte, jedes Jahr in einen Eisplatz verwandelt wurde, auf dem dann ein Faschingseislauf veranstaltet wurde. Im Isar-Kaufhaus gab es Autogrammstunden mit Sepp Maier und Gerd Müller vom FC Bayern. Und in der alten Turnhalle, auf deren Platz heute die Loisachhalle steht, fanden Modenschauen statt, die zahlreiche Leute anzogen. All das gehört der Vergangenheit an. Als das Isar- Kaufhaus Ende 2013 schloss, sei Wolfratshausen "um vieles ärmer geworden", sagt Woratsch. Es fehle der Magnet, der Anziehungspunkt. Heute könne man in Wolfratshausen nicht mal mehr eine Nähnadel kaufen.

So sieht es auch ihre Mutter. "Die haben uns alten Leuten alles weggenommen", kritisiert Rupp die Einkaufslage in der Stadt. "So wie Wolfratshausen durch das Kaufhaus aufgeblüht ist, so geht es heute wieder zurück." Vor mehr als zwei Jahrzehnten hat sie sich in die Rente verabschiedet - nach 24 Jahren im Isar-Kaufhaus. Dass sie aber nie ganz gegangen ist, zeigen Fotos der jüngeren Zeit. Auf einem lacht sie flankiert von Holthaus senior und junior in die Kamera - wie auf einem Familienfoto.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: