Süddeutsche Zeitung

Zeitgeschichte:Eisenhower und die Flüchtlingsgeige

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Im Erinnerungsort Badehaus Waldram-Föhrenwald gibt es nun einen Zeitstrahl mit Fotos, Artefakten und kurzen Erläuterungen. Er verbindet im Treppenhaus den einstigen Alltag der Menschen mit der Weltgeschichte.

Von Benjamin Engel, Wolfratshausen

Im lokalen Alltagsleben scheint die Weltgeschichte oft weit entfernt zu sein. Durch ein einziges Foto kann beides aber plötzlich ganz nah zusammenrücken. Das Team des Erinnerungsortes Badehaus Waldram-Föhrenwald hat eine solche besondere Aufnahme für den neuen Zeitstrahl im Treppenhaus ausgewählt. Auf dem Bild steht die damals elfjährige Pesa Balter zwischen elf weiteren Mädchen in gestreiften Häftlingshemden hinter Stacheldraht. Aufgenommen wurde das Schwarz-Weiß-Foto unmittelbar, nachdem das Konzentrationslager Auschwitz am 27. Januar 1945 befreit worden ist. Später sollte Balter im Lager Föhrenwald für jüdische Displaced Persons (DP) bei Wolfratshausen Zuflucht finden. Das hatte zur Zeit der Nazi-Diktatur als Siedlung für Mitarbeiter der Rüstungsfabriken im Wolfratshauser Forst gedient.

Erst kürzlich hat der Verein Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald sein zehnjähriges Bestehen gefeiert. "Wir haben uns den Zeitstrahl zum Jubiläum selbst geschenkt", sagt dessen Vorsitzende Sybille Krafft. In Bandform zieht sich das neue Ausstellungselement an den Wänden des Treppenhauses beim Eingang hinauf. Fotos aus der Weltgeschichte werden darauf Bildern der dadurch beeinflussten, lokalen Entwicklungsgeschichte gegenübergestellt, mit kurzen Erläuterungen: von der Rüstungsarbeitersiedlung zur NS-Zeit, dem jüdischen DP-Lager Föhrenwald, dem Stadtviertel für kinderreiche katholische Heimatvertriebene, das dann Waldram getauft wurde, bis zur Eröffnung des Erinnerungsorts Badehaus als Museum. "Es beginnt mit 1933 und endet 2018", sagt Krafft. Sie freue sich, dass es damit gelungen sei, Raum und Zeit ansprechend-illustrierend zu verbinden.

Grafisch ausgearbeitet hat den Zeitstrahl das Münchner Büro Müller-Rieger, das bereits das gesamte Museum des Erinnerungsorts gestaltet hat. Um passende Fotos und Materialien zu finden und zusammenzustellen, brauchte eine Gruppe von Vereinsmitgliedern um die Vorsitzende Krafft ein ganzes Jahr. Beteiligt waren die frühere Geschichtslehrerin Eva Greif, Emmanuel Rüff, Sarah Lex, Barbara Kaulbarsch, Stephanie Coenen und die ehemalige Kreisheimatpflegerin Maria Mannes.

Eine prägnante Auswahl zu finden und den Zeitstrahl zugleich überschaubar zu halten, sei schwer gewesen, berichtet Krafft. Zum Nachdenken regen Fotos von einer mit Hakenkreuz geschmückten Metzgerei-Auslage oder der Hitlerjugend an, die durch die Adolf-Hitler-Straße zieht, wie der Ober- und Untermarkt in Wolfratshausen zur NS-Zeit genannt wurde. Einfach nur schauerlich findet Krafft die Zeitungsmeldung mit dem Titel "Wolfratshausen wurde judenfrei", die von der Schließung der jüdischen Mädchenschule nach der Reichspogromnacht berichtet. Weitere Aufnahmen zeigen, wie der General und spätere US-Präsident Dwight D. Eisenhower im September 1945 das DP-Lager Föhrenwald besuchte und wie dort der jüdische Unabhängigkeitstag gefeiert wurde. Gegenübergestellt sind auch Fotos von Demonstrationen in München Mitte der 1950er-Jahre gegen das Gesetz zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik und Aufnahmen vom Einzug der ersten Heimatvertriebenen nach Waldram.

Am Zeitstrahl haben die Vereinsmitglieder viele Stunden ehrenamtlich gearbeitet. Aus Eigenmitteln - Einnahmen aus den Eintrittsgeldern, Spenden und Mitgliedsbeiträgen - haben sie zehn Prozent der dafür angefallenen Kosten selbst finanziert. Laut Sarah Lex flossen staatliche Fördergelder über die Landesstelle für nicht-staatliche Museen in Bayern. Finanziell beteiligt haben sich auch die regionale Sparkassen- die Alfried-Krupp-, die Alfred-Toepfer- sowie die Doris-Wuppermann-Stiftung und der Anne-Frank-Fonds.

Welch verschlungene Wege ein neues Ausstellungsexponat nehmen kann, zeigt der ebenso schlichte wie kunstvoll gearbeitete Thorazeiger im Untergeschoss. Badehaus-Vereinsvorsitzende Krafft schildert, dass sie zufällig ihre private Hauseingangstür geöffnet habe, als ihr eine unbekannte Frau ein Paket in die Hand drückte. Mit den Worten, der Inhalt stamme aus Föhrenwald, sei die Dame wieder verschwunden. Im Päckchen fand Krafft einen Thorazeiger, einen hölzernen Zeigestab für die Zeilen der hebräischen Bibel. Dieser sei laut dem Jüdischem Museum München für Osteuropa typisch für die Zeit um 1900 und vermutlich im DP-Lager Föhrenwald verwendet worden, so Sarah Lex. In den Ausstellungsräumen können Besucher neuerdings auch ein Replikat der in jiddischer Sprache verfassten DP-Lagerzeitung durchblättern. Eine von deutschen Heimatvertriebenen gespielte sogenannte Flüchtlingsgeige ist genauso zu sehen wie das Originaldokument zur offiziellen Umbenennung von Föhrenwald in Waldram. Porträts von Shoah-Überlebenden und Zeitzeugen der DP-Tage hängen nun neuerdings an der Wand im zweiten Treppenhaus. Sie leiten vom allgemeinen zum persönlichen Ausstellungsbereich im Obergeschoss über, in den sogenannten Wald der Erinnerung.

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