Unterwegs in Geretsried:Die Flüchtlingshelferin

Sie umarmt die Frauen, herzt die Kinder, übersetzt für die Männer: Ohne Ehrenamtliche wie Suzan Jarrar wären viele Asylbewerber aufgeschmissen. Die Geretsriederin unterstützt rund um die Uhr und manchmal kommen ihr die Tränen

Von Felicitas Amler, Geretsried

Aus all diesen kehligen Lauten eines ziemlich flott gesprochenen Arabisch klingen ab und zu bekannte Worte heraus: "Landratsamt", "Kindergarten" oder auch Zungenbrecher wie "Wohnungsberechtigungsschein". Flüchtlingshelferin Suzan Jarrar erklärt einem Syrer, der nach zehn Monaten angespannten, oft verzweifelten Wartens in der Gemeinschaftsunterkunft seine Asyl-Anerkennung bekommen hat, was jetzt zu tun ist. Der 30-jährige Familienvater kann sich eine Wohnung suchen. Und endlich kann er seine Frau und die beiden kleinen Kinder aus Palästina nachholen. Wieder so ein deutsches Wort: "Familienzusammenführung."

Die 48 Jahre alte gelernte EDV-Programmiererin Suzan Jarrar, geboren im Westjordanland als Tochter einer bayerischen Mutter und eines jordanischen Vaters, seit Jugendtagen Geretsriederin aus Überzeugung ("Ich liebe diese Stadt"), Teilzeit-Betreuerin in einem Altenheim und Mutter zweier erwachsener Kinder, ist eine der gefragtesten Flüchtlingshelferinnen. Denn außer Deutsch und Englisch spricht sie eben auch Arabisch. Wer mit ihr die Container-Unterkunft am Robert-Schumann-Weg in Geretsried betritt, kommt nicht allzu schnell voran. "Suzan!" hier und "Salam Aleikum" da, tönt es ihr entgegen. Umgekehrt kann Jarrar an keinem ohne ein freundliches oder fragendes Wort vorbeigehen: "How are you?", "Du bist aber dünn geworden, du musst mehr essen!" und "Hast du die Medizin für deinen Mann besorgt?"

Unterwegs in Geretsried: "Die sind alle meine Habibi - meine Lieblinge", sagt Suzan Jarrar (Mitte) über die Flüchtlingsfrauen und deren Kinder.

"Die sind alle meine Habibi - meine Lieblinge", sagt Suzan Jarrar (Mitte) über die Flüchtlingsfrauen und deren Kinder.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Im Geretsrieder Container leben mehr als siebzig Menschen. Das Landratsamt ist mit einem kleinen Büro an Ort und Stelle, der Verein "Hilfe von Mensch zu Mensch" leistet hauptamtlich die Sozialbetreuung. Aber ohne die Vielzahl engagierter Helfer, die dort tagein, tagaus ehrenamtlich im Einsatz sind, wäre mancher Asylsuchende aufgeschmissen.

Jarrar ist täglich, auch am Wochenende, in irgendeiner Weise für Flüchtlinge da. Sie macht Termine bei Ärzten für sie, begleitet sie häufig auch dorthin, übersetzt Behördenpapiere, hilft bei Anträgen, vermittelt Job-Bewerbungsgespräche, weiß, wer wann seinen Anhörungstermin hat oder einen Rechtsanwalt braucht, und ist Ansprechpartnerin bei all den kleinen, oft auch großen alltäglichen Sorgen. "Noch nachts um elf, zwölf klingeln sie mich an", sagt sie, "um zu reden."

Suzan Jarrar hat zwei Schaltzentralen, ohne die sie all das nicht bewältigen würde: Ihr Gehirn, das vieles speichert, was andere sich notieren müssten. Und ein Smartphone mit WhatsApp. Man kann nur ahnen, wie viele Dutzende Kontakte sich darin verbergen, wenn man sieht, wie die Flüchtlingshelferin damit hantiert. Mal ist es eine während eines Gesprächs geschriebene Anfrage, ob jemand seine Papiere schon abgegeben hat, mal eine Nachricht an eine Patin in Wolfratshausen, wie es nun mit der Asylbewerberin in Waldram stehe, dann muss sie schnell ihrem Mann schreiben, dass sie - zu spät, aber doch - bald nach Hause kommt . . . Sie steckt den Kopf ins Container-Büro des Landratsamts, wird gebeten, einer irakischen Familie etwas auf Arabisch mitzuteilen, und tippt schon wieder in ihr Smartphone. Weiter geht es zu der genannten Familie, und schnell zeigt sich, dass es dort um mehr als ums Dolmetschen geht.

Unterwegs in Geretsried: Wie ein Symbol der Integrationsbereitschaft hängt diese Deutschlandfahne am Geretsrieder Asyl-Container.

Wie ein Symbol der Integrationsbereitschaft hängt diese Deutschlandfahne am Geretsrieder Asyl-Container.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Die Mutter lebt mit einem depressiven Halbwüchsigen und einem um Fröhlichkeit bemühten Siebenjährigen in einer Unterkunft in einem Dorf im Norden des Landkreises. Sie sind seit einem Monat dort, werden von einer ortsansässigen Patin betreut und fühlen sich einigermaßen aufgehoben. Jarrar bringt ihnen die Nachricht aus dem Landratsamt: Sie müssen hier raus, sollen nach Lenggries in die Container. Denn die Wohnung, in der sie zu dritt leben, ist für vier Personen geeignet - das Amt muss nutzen, was geht. Die Mutter will es nicht wahrhaben, sagt, morgen komme ihr Sohn aus München nach, dann seien sie zu viert. Smartphone, WhatsApp, Nachfrage beim Landratsamt. Traurige Antwort: Der Sohn, der schon länger in Deutschland ist, hat seine Anerkennung. Er darf gar nicht mehr in eine Unterkunft ziehen, die Asylbewerbern vorbehalten ist. Die Mutter sinkt auf dem Bett zusammen, weint leise, der kleinere Sohn lächelt verlegen. Suzan Jarrar spricht sanfte, beruhigende arabische Worte. Als sie später die Wohnung verlässt, sagt sie: "Das hätte man nicht am Telefon erledigen können." Und dass sie sonst in solchen Situationen oft selbst weinen muss, aber heute hat sie Migräne, die ist stärker als die Traurigkeit. Warum sie mit so schlimmem Kopfweh nicht zu Hause bleibt? "Ich habe das zugesagt, und dann halte ich es auch."

Am nächsten Tag wieder Besuche im Container. Klärende Gespräche: Eine Kurdin sagt, das kranke Bein ihres Mannes sei geschwollen, er habe Schmerzen, aber die vom Arzt verordneten Tabletten könne sie nicht holen, die kosteten 600 Euro. Jarrar stutzt: Das kann ja nicht sein. Um welches Medikament geht es? Ein gängiges Mittel - in der Variante mit 600 Milligramm. Ein bestürzendes Missverständnis.

Jarrar umarmt die Frauen, herzt die Kinder, und immer wieder hört man sie ein arabisches Wort sagen: "Habibi." Nein, zu einem Mann würde sie das nie sagen, erklärt die Muslima, die seit zwölf Jahren auch das Kopftuch trägt: Das könnte missverstanden werden. Aber die Frauen und die Kinder - "die sind alle meine Habibi". Das Wort heißt Liebling. Und das ist auch eine Botschaft, die Jarrar vermitteln möchte. Da die Rechtsextremen so viel von sich reden machten, ist es ihr wichtig, dass die Flüchtlinge wissen: Es gibt Leute, die sie mögen und sie lieb gewonnen haben. "Und wir sind viel mehr als die Rechten."

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