Unruhe durch Satire in Wolfratshausen:Gespenstisch aktuell

Von 1979 bis 1984 erschien in Wolfratshausen die Zeitschrift "Marktgschlerf" von jungen, einheimischen Autoren. Themen darin unter anderem: die Situation der Hebammen und die Parkplätze.

Von Wolfgang Schäl

Das Marktgschlerf ist den Wolfratshausern wohlbekannt als eine düstere Spukgestalt, die schleppenden Schrittes in der Marktstraße herumgeht, den Bürgern in die Fenster schaut und mit ihrem bösen Blick allerlei Unheil anstiftet. Sie habe sich einst an einem Mordkomplott beteiligt und soll für den Tod des heiligen Nantovinus mitverantwortlich sein, nun müsse sie mit ewiger Ruhelosigkeit büßen, so erzählt man es sich. Weniger geläufig ist, dass unter dem Namen "Marktgschlerf" zu Beginn der 1980er-Jahre in der Stadt auch ein Magazin erschienen ist, das sich seinen Namen gewiss nicht von ungefähr gegeben hat.

Denn ein bisschen ruhelos wollte dieses andere Marktgschlerf schon sein, und in die bürgerlichen Wohnstuben wollte es auch gucken, gewiss nicht, um Schaden zu stiften, aber für ein bisschen Verunsicherung sorgen, das wollten die jungen, einheimischen Autoren damals schon. "Lebendiges und Nachdenkliches aus WOR" lautet der Untertitel des Magazins, das sich auch äußerlich seinem Titel annähert: Es ist in tiefem Schwarz gebunden, ein paar archaisch wirkende, schon fast auseinanderfallende Restexemplare hat Dieter Sattler, der Wirt der "Biermühle" am Untermarkt, irgendwann noch auf dem Dachboden entdeckt - ein kleines, aber gewiss reiz- und wertvolles Stück Lokalgeschichte, das daran erinnert, wie die Ausläufer der aufmüpfigen 68er-Generation mit einem Jahrzehnt Verspätung ihren Weg doch noch bis in die Loisachstadt gefunden haben.

Sagenserie

Das Marktgschlerf ist eine Wolfratshauser Sagengestalt, die heute bei Stadtführungen von Gabriele Rüth dargestellt wird.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Manches darin wirkt bestürzend aktuell. So kritisiert Mitherausgeberin Ulrike Adldinger in der Ausgabe 7/1983, dass die Pflicht, Hebammen bei Geburten hinzu zu ziehen, zur Debatte stand - in Frage gestellt sehen Hebammen ihre Arbeit doch auch heute. Im selben Heft geht es um einen Aufruf "Atomwaffenfreier Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen" der hiesigen Friedensinitiative und um ein Thema, das heute so aktuell ist wie vor vier Jahrzehnten: Unter der Rubrik "Wir gratulieren" machen sich Ulrike und Wolfgang Adldinger über die Parkplatzdebatte lustig. Ihre Empfehlung lautet: Die Loisach nach dem Modell Idar-Oberstein überbauen und das Rathaus abreißen, sodass eine durchgehende Parkfläche von der Marktstraße bis zur Loisachhalle entsteht. "Falls es dann noch Leute gibt, die lieber beschaulich einkaufen wollen", heißt es in der ironischen Betrachtung, "so können wir diese auf die Fußgängerzonen von München und anderen umliegenden Städten verweisen - man kann es ja nicht allen recht machen."

Es folgt ein Bericht über einen Aussteiger, der seine ganz eigene Freiheit gefunden hat: den Leierkastenmann Hans Deiß, der mit einem hochbetagten Hanomag-Wohnmobil durch die Republik reiste. 1954 geboren, ist er seit seinem 32. Lebensjahr unterwegs gewesen, ein Mann mit gewaltigem, kahlem Schädel und ebenso gewaltigen Bart. Er galt damals als "Leierkasten-Nachwuchs". Ob es ihn noch gibt?

Man findet beim Durchblättern allerlei Lustiges, dem Anspruch der Autoren entsprechend Nachdenkliches und sogar mundartlich Poetisches, beispielsweise zum Fasching: "A jeder moant doch no ganz g'wiß, dass er in der Zeit a anderer is. Des stimmt doch net, weil mi am End ohne Maskn koana kennt! Wenn des stimmt und i glaub, daß' wahr, lebm mir verkehrt, fast's ganze Jahr." Lotte Krieger hat diese leicht holprigen, aber hintergründigen Zeilen geschrieben - Respekt. Amüsant in dieser bunten Mischung ist nicht zuletzt eine Karikatur-Seite zum Thema "Verhütungsmittel im Test". Hochmotiviert springt da ein Mann auf die Dame seiner Wahl, um im nächsten Augenblick jäh zurückgeschleudert zu werden. Von der Spirale. Nun ja.

Unruhe durch Satire in Wolfratshausen: Es gab auch eine Satire-Zeitschrift gleichen Namens, die ein bisschen Unruhe in die Stadt bringen wollte.

Es gab auch eine Satire-Zeitschrift gleichen Namens, die ein bisschen Unruhe in die Stadt bringen wollte.

(Foto: Wolfgang Schäl/OH)

So geht es denn dahin, wie viele Exemplare vom "Marktgschlerf" erschienen sind, weiß keiner so genau. Die bei Dieter vulgo Dietsch Sattler vorliegenden sieben Publikationen umfassen die Jahre 1979 bis 1984, das letzte verfügbare Heft erscheint erstmals in weißem Einband, es würde 3,50 Mark kosten, wenn es die Mark und das "Marktgschlerf" noch gäbe. Man kann es auf Anfrage aber bestimmt auch so anschauen, der Biermühlen-Wirt hätte sicher nichts dagegen.

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