Erinnerungsstücke:Tölzer Stadtmuseum legt Turbo ein

Die Neugestaltung der Ausstellungsflächen geht schneller voran als geplant. Schon Ende 2020 soll der Umbau abgeschlossen sein - ein Jahr früher als ursprünglich vorgesehen.

Von Klaus Schieder

Die Deutschlandfahne ist mittlerweile um die 170 Jahre alt. Sie stammt aus der Zeit, als in der Frankfurter Paulskirche die Nationalversammlung tagte. Von dort brachte das Freikorps Tölz die schwarz-rot-goldene Flagge mit nach Hause, ein Symbol für Demokratie und Bürgerrechte. Ihre Mitglieder waren auch Anhänger des Reichsverwesers Erzherzog Johann, was ihrem Anführer jedoch weniger gefiel. Auf seinen Wink hin schnappten sich Wackersberger Burschen die Fahne, die sie dann 100 Jahre lang versteckt hielten. Erst 1949 gaben sie das Tuch den Tölzern zurück. "Zerrissen und vermodert", wie Elisabeth Hinterstocker sagt, die Leiterin der Tölzer Stadtmuseums.

Die alte Fahne ist eines der Exponate, die in der neu konzipierten Ausstellung zu sehen sein werden. Mit der Umgestaltung ist die Museums-Chefin beschäftigt, seit sie vor sieben Jahren ihr Amt antrat. Sie stand vor einer Herkulesaufgabe: Sie musste nicht nur den Umbau auf drei Etagen leiten und die vielen Themengebiete neu modellieren, sondern daneben auch unzählige Stücke und Leihgaben inventarisieren, die nirgendwo verzeichnet waren. Das rund 867 000 Euro teure Mammutwerk soll nun schon Ende 2020 beendet sein, ein Jahr früher als geplant.

Der erste Stock mit Erd- und Menschheitsgeschichte, Isar und vor allem Handwerk wie Flößerei, Kalkbrennerei, Köhlerei, Zimmerei und Kistlerei wurde teils noch unter Museumsgestalter Peter Syr eröffnet, alles andere oblag dann Hinterstocker. In der zweiten Etage unter der Überschrift "Adel und Bürgertum" sind nun die Galerie, das Kyrein-Zimmer, das Musikzimmer und die Abteilung Marionettentheater fertiggestellt. Aber die Zeit drängt. "Wir müssen heuer zwei Bauabschnitte schaffen", sagt Hinterstocker. Bis zum Jahresende will sie die Schau bis zur Hälfte des dritten Stockwerks geschafft haben. "Ein enormes Power-Programm."

Die nächsten Räume sind dem Adelsleben und dem Tölzer Schloss, der Jagd im Isarwinkel, dem beginnenden Bürgertum und der Stadtgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert gewidmet. Da geht es um den Bahnanschluss von Tölz, um die erste elektrische Straßenbeleuchtung, um die Besuche des ehemaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Und um die SS-Junkerschule, die von den Nazis auf der Flinthöhe gebaut wurde. Bad Tölz hat sogar noch das Originalmodell von diesem Bauwerk, das der US-Armee nach Kriegsende als Kaserne diente und heute unter anderem das Landratsamt beherbergt. Aber es gibt auch unscheinbare Dinge, die vom Leben der Tölzer erzählen. Die wirtschaftlich schweren Jahre in der Weimarer Republik veranschaulicht ein selbstgebasteltes Spielzeug. Ein Vater, so Hinterstocker, habe aus einer Knorr-Brühe-Dose das Pulver herausgeschüttet, drei kleine Erbsen hineingelegt und eine Holzschnur befestigt - "so hatte sein Kind eine Rassel".

Für das Design der Zimmer zeichnet seit vorigem Jahr das Atelier Hackel aus München verantwortlich, das der Museums-Chefin zufolge dafür "sehr schöne Pläne" gezeichnet hat. Eine Schreinerei gebe die Daten gerade in ihre Maschinen ein, außerdem würden die letzten Texte geschrieben und vom Grafiker gesetzt, berichtet Hinterstocker. Nun hoffe sie, dass dem Schreiner nichts passiert und die Stromleitungen rechtzeitig bis Jahresende verlegt seien.

Ein Wunsch mit innerem Seufzer. Denn in all den Jahren der Neugestaltung hatte sie mit manch unerwarteten Problemen zu kämpfen gehabt: Ein Restaurator, der einen alten Kachelofen herrichten sollte, starb plötzlich, der Inhaber einer Metallfirma, die Vitrinen im Stadtmuseum einbaute, bekam einen Schlaganfall, das frühere Gestaltungsbüro "Haslbeck und Schneider" hatte viele Aufträge, aber dadurch nicht mehr genug Personal fürs Tölzer Museum. Immerhin gab es auch schöne Überraschungen: 2016 entdeckte Hinterstocker die barocke Sänfte der Kurfürstin Henriette Adelheid von Savoyen, die im Speicher in der Passage zwischen Marktstraße und Bürgergarten vor sich hin dämmerte. Der kostbare Fund, der heuer in der Bayerischen Landesausstellung in Regensburg gezeigt wird, dürfte ein, wenn nicht das Prunkstück im Stadtmuseum sein.

2020 ist noch die Abteilung "Textilien und textile Schätze" an der Reihe. Gezeigt werden Uniformen, bürgerlich-städtische Trachten, Gebirgserhaltungstrachten, Mode, Modeaccessoires. Das sei nicht ganz einfach, sagt die Museumsleiterin. Dafür brauche man spezielle Vitrinen, spezielle Lichtabschottung, spezielle Beleuchtung. "Ich lege drei Porzellantassen viel einfacher in eine Vitrine als Seide aus dem 19. Jahrhundert." Auf dem Plan steht zudem die Abteilung "Freizeit" mit den Themen Faltboot und Eishockey. Neben einer Hommage an den Münchner Architekten Gabriel von Seidl wird es im dritten Stock einen Raum für Thomas Mann geben, der sich 1908 in Tölz eine Sommervilla bauen ließ und dort bis 1917 den Urlaub mit der Familie verbrachte. Im Stadtmuseum, das auch den Endpunkt des neuen Thomas-Mann-Wegs bildet, werde es "eine Einführung in Mann als Mensch, als Persönlichkeit" geben, sagt Hinterstocker. Dafür habe sie die Rückendeckung des Dichters Albert von Schirnding. Der Raum werde eher exponatfrei sein und den Besucher mit Fragen zum Schöpfer der "Buddenbrooks" konfrontieren. Zum Beispiel: War Thomas Mann gerne in den Bergen? Wie hat sich seine Einstellung zum Nationalismus verändert?

Krippen, sakrale Figuren, Leonhardifahrt, Rosenkränze: Auch der christliche Glaube ist ein gewichtiges Sujet in der neuen Schau. Es gibt eine Abteilung für zeitgenössische Skulpturen mit Werken von Thomas Fiedler bis Birgit Niedernhuber. Und dann noch einen Lieblingsraum vom Hinterstocker, den sie die "Kunstwunderkammer" nennt. Dort sind allerlei Wunderlichkeiten geplant: eine Geburtshelferkröte, ein Glasschwein, ein Grabamulett.

Die Inventarisierung all dieser Stücke ist so gut wie abgeschlossen. Demnach hat das Stadtmuseum circa 10 000 Exponate - wenn man Konvolute wie ein Kilo handgeschmiedeter Nägel nicht einzeln zählt. Hinterstocker hat am liebsten Stücke, zu denen sie etwas über die Leute von einst erzählen kann. "Ich zeige lieber einen Nachttopf und erzähle seine Geschichte, als zehn Nachttöpfe mit dem Vermerk: aus dem Jahr 1810, dem Jahr 1814, dem Jahr 1820 ..."

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