Ukraine-Krieg:Spontane Hilfsfahrt an die ukrainische Grenze

Ukraine-Krieg: Straßenschilder in Polen bekunden die Solidarität mit der Ukraine.

Straßenschilder in Polen bekunden die Solidarität mit der Ukraine.

(Foto: Privat)

Miriam Altinisik und Eva Waldemer aus Wolfratshausen sind an die ukrainische Grenze gefahren, um Flüchtlinge abzuholen und Care-Pakete zu verteilen.

Von Tobias Bug

"Keiner hat gelächelt, die Menschen sahen so fertig aus, überall gab es Verletzte. Die Frauen, die ihre Männer in der Ukraine zurücklassen mussten, waren kaum ansprechbar, alle unter Schock." Eindrücke von der polnisch-ukrainischen Grenze, geschildert von Miriam Altinisik. Die Inhaberin eines Kosmetikstudios hatte sich am Wochenende gemeinsam mit Eva Waldemer von Wolfratshausen auf den Weg an die ukrainische Grenze gemacht, um zu helfen.

Vergangene Woche Dienstag erst hatten Altinisik und Ines Lobenstein von der Caritas Wolfratshausen eine Facebook-Gruppe ins Leben gerufen, "Ukraine Hilfe Wolfratshausen", auf der sie zu Spenden aufgerufen hatten. "Dann ging es sehr schnell", berichtet Altinisik am Telefon. Menschen aus dem Landkreis hätten Zahnbürsten, Zahnpasta, Kosmetikprodukte, Taschentücher, Müsliriegel und Babygläschen gespendet. Die Feuerwehr brachte Schmerzmittel, -gels und Tabletten vorbei. Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer packten Care-Pakete für die ukrainischen Flüchtlinge.

Ukraine-Krieg: Die Freude über die Ankunft ist bei Miriam Altinisik (rechts) groß.

Die Freude über die Ankunft ist bei Miriam Altinisik (rechts) groß.

(Foto: Privat)

Ende vergangener Woche meldete sich eine Kundin ihres Kosmetikstudios bei Altinisik. Sie habe Verwandte in der Ukraine, deren Häuser in der Stadt Saporischschja vom russischen Militär zerbombt wurden und die nun auf der Flucht seien. Altinisik entschloss sich spontan, die drei Frauen und zwei Kleinkinder abzuholen. Über Facebook startete sie einen Aufruf für einen Kleinbus, den ein Nutzer kurzfristig zur Verfügung stellte.

Am Samstagmorgen fuhr sie gemeinsam mit Waldemer in Richtung Osten los - 1800 Kilometer am Stück, nur unterbrochen von einer kurzen Tankpause. "Es war alles sehr chaotisch", sagt Altinisik, "wir wussten nicht genau, wo die drei Frauen mit ihren Kindern ankommen würden." Über eine Ukrainerin in Spanien, die übersetzte, hielt Waldemer auf dem Beifahrersitz Kontakt zu den Frauen. Kurz vor der Grenze mussten sie durch ein Waldstück fahren, mehrere Kilometer über Schotterwege, durchzogen von Schlaglöchern. Schließlich erreichten sie eine Polizeikontrolle. "Dort liefen auch Soldaten mit Gewehren rum. Helfer von der Caritas haben unsere Spenden entgegengenommen."

Ukraine-Krieg: Bilder der Geflüchteten zeigen die Zerstörung des russischen Angriffskriegs in ihrem Heimatland.

Bilder der Geflüchteten zeigen die Zerstörung des russischen Angriffskriegs in ihrem Heimatland.

(Foto: Privat)

Eine Polizeieskorte brachte sie direkt an die Grenze zur Ukraine. Dort, in einem Auffanglager, waren überall ukrainische Flüchtlinge, "80 Prozent Frauen", sagt Altinisik. Männer in wehrfähigem Alter dürfen das Land derzeit nicht verlassen. "Die waren alle so fertig, sahen so traurig aus. So etwas erlebt man nicht alle Tage." Nach einer Weile fanden Waldemer und Altinisik dann die drei Frauen und Kinder, die sie nach Deutschland bringen wollten. Eine der Frauen ist im siebten Monat schwanger und mit ihrer fünfjährigen Tochter geflüchtet, eine andere hat ihr acht Monate altes Baby dabei. "Die Frauen hatten dicke Ränder unter den Augen, sie waren seit vier Tagen auf der Flucht. Sie waren wie in Trance und sehr zurückhaltend. Eine von ihnen hat kaum mit uns gesprochen", sagt Altinisik.

Ukraine-Krieg: Erschöpft von der langen Flucht schläft ein Kind in einer Fahrtpause.

Erschöpft von der langen Flucht schläft ein Kind in einer Fahrtpause.

(Foto: Privat)

Auf dem Rückweg versuchten die beiden Ehrenamtlichen die drei traumatisierten Frauen aufzumuntern. "Wir haben viel gelacht und probiert, sie etwas aufzupäppeln", so Altinisik. In Grenznähe fanden sie keine Unterkunft für die Nacht, sie mussten noch einmal 250 Kilometer durch Polen fahren, bis sie in einem Hotel unterkamen. Dort verbrachten sie die Nacht und stärkten sich am nächsten Morgen bei einem Frühstück. Anschließend ging es weiter zurück nach Deutschland. "Eigentlich hatten wir vor, die Frauen mit ihren Kindern nach Berg zu bringen", sagt Altinisik, "aber da deren Verwandte noch nicht aus Spanien zurück war, mussten wir sie vorübergehend nach Ottobrunn bringen." Spät am Sonntagabend kamen sie dort an, die Frauen und ihre Kinder sind nun in Sicherheit.

Was jetzt noch gebraucht wird

Täglich flüchten Tausende Menschen aus dem umkämpften Land. Die Fahrt an die ukrainische Grenze, sagt Altinisik, wird nicht ihre letzte gewesen sein, in den nächsten Tagen seien neue Hilfstouren geplant. Für die Care-Pakete ist sie weiter auf Sachspenden angewiesen. "Wir brauchen Taschen, Rucksäcke, Hygieneartikel, Feuchttücher, Zahnbürsten und -pasta, Jacken, Babygläschen, Verbandsmittel und Medikamente wie Schmerzmittel und Antibiotika." Die Spenden können am Marienplatz 1 und 3 in Wolfratshausen vorbeigebracht werden. "Vor allem sind wir aber auf der Suche nach Unterkünften für die Flüchtlinge", sagt Altinisik. Wer Wohnungen und Zimmer anzubieten habe, könne sich bei ihr unter 0152/23 80 34 21 melden. Geldspenden können unter Angabe des Verwendungszwecks "Ukraine Hilfsfahrten Altinisik" an das Evangelisch-Lutherische Pfarramt Wolfratshausen, IBAN DE29 7005 4306 0000 0001 58 gerichtet werden.

Ukraine-Krieg: Das Spendensammeln geht weiter: Miriam Altinisik ist am Montag erschöpft von ihrer Reise, ordnet aber schon wieder Hilfsgüter in ihrem Laden in Wolfratshausen.

Das Spendensammeln geht weiter: Miriam Altinisik ist am Montag erschöpft von ihrer Reise, ordnet aber schon wieder Hilfsgüter in ihrem Laden in Wolfratshausen.

(Foto: Hartmut Pöstges)
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