Der Flüssiggasspezialist Tyczka begrüßt einen im Internet mit Bildern unberührt wirkender Gebirgslandschaften. Flankiert werden diese auf der Homepage des Unternehmens mit Slogans wie „Gases for tomorrow“. Wer weiterscrollt erfährt, dass das Unternehmen aktiv daran arbeitet, eine nachhaltige Energiewende mit grünem Wasserstoff umzusetzen sowie grünen Stickstoff, Sauerstoff, Argon oder biogenes Flüssiggas in Tankanlagen zu bringen. Dass dieser Prozess herausfordernd sein wird, ist Ulrich Hanke anzuhören. „Der Umbau einer Energiewirtschaft von fossil zu nachhaltig geht nicht von heute auf morgen“, sagt der Chief Marketing Officer (CMO) von Tyczka im Gespräch.
Die 2021 gegründete Tyczka Hydrogen GmbH für Wasserstoff ist die jüngste Sparte der Tyczka-Gruppe. Ziel ist es, eine grüne Wasserstoffproduktion für Europa aufzubauen. Derzeit machen die nachhaltig erzeugten Flüssig- und Industriegase sowie der Wasserstoff noch einen relativ kleinen Teil der Produktpalette der Gruppe aus. Aber bereits aktuell investiert das Unternehmen beträchtliche Summen, um die Wasserstoffinfrastruktur auszubauen. Darunter fällt eine eigene Wasserstoff-Trailerflotte. Zudem baut Tyczka ein Tankstellennetz und ist an einem Elektrolyseur für grünen Wasserstoff in Pfeffenhausen nahe der niederbayerischen Bezirkshauptstadt Landshut beteiligt. Die Sparte Tyczka Hydrogen, in der sich alle Wasserstoffaktivitäten bündeln, steht damit beispielhaft für den Transformationsprozess von fossiler zu nachhaltiger Energie.
Der Elektrolyseur in Pfeffenhausen ist laut dem bayerischen Wirtschaftsministerium die erste netzdienliche grüne Wasserstoff-Erzeugungsanlage in Südbayern. Eine Photovoltaik-Freiflächenanlage mit einer Leistung von zehn Megawatt stellt den dafür benötigten Strom bereit. Der wird als Wasserstoff gespeichert, wenn mehr grüne Energie produziert wird, als ins Netz eingespeist werden kann. Damit fahren Busse des Verkehrsverbunds der bayerischen Landeshauptstadt in den Landkreisen München und Ebersberg. Ein Technologie- und Anwenderzentrum für Wasserstoff in Pfeffenhausen soll ebenso versorgt werden.
„Ziel des Projekts ist es, einen regionalen Kreislauf aus grüner Wasserstofferzeugung, Wasserstoffverteilung und Wasserstoffnutzung in emissionsfreien Wasserstofffahrzeugflotten zu erzeugen“, heißt es dazu von der Pressestelle des bayerischen Wirtschaftsministeriums. Der Elektrolyseur hat derzeit eine Leistung von fünf Megawatt. Die kann laut Behördenangaben verdoppelt werden, wenn wie angedacht weitere Solar- und zwei Windkraftanlagen errichtet werden.
Für die Wasserstoff-Mobilität könnte Pfeffenhausen damit als Referenzobjekt im Freistaat dienen. In der Produktionsgesellschaft arbeiten Tyczka, die Hynergy Invest GmbH, die BayWa AG, die Landkreise Landshut und München sowie die Bürgerenergiegenossenschaften Isar, Niederbayern und Unterhaching zusammen. „Kein Mensch bestreitet mehr, dass Wasserstoff einer der zentralen Energiespeicher der Zukunft ist“, gibt sich Ulrich Hanke überzeugt. Auch wenn dieser wohl auch in großen Mengen importiert werden müsse, sieht der Tyczka-CMO das Land Bayern gar nicht so schlecht aufgestellt, um Elektrolyseure betreiben zu können. 150 Millionen Euro schwer ist etwa Fördertopf des Programms zum Aufbau einer erneuerbaren Wasserstoffproduktionsinfrastruktur.
Um das saubere Gas auch für die Schiene nutzbar zu machen, haben die Tyczka Hydrogen und das Unternehmen Siemens Mobility eine Absichtserklärung geschlossen. Beide Partner wollen Lösungen erarbeiten, um Wasserstoff für Züge zu produzieren, zu speichern, zu betanken, zu warten und zu liefern. Ab Mitte dieses Jahres soll es einen Testbetrieb auf der Strecke von Augsburg nach Peißenberg beziehungsweise nach Füssen geben. Der Fahrgastverband „Pro Bahn“ sieht es allerdings als sinnvoller, das Streckennetz zu sanieren und zu elektrifizieren, um so das Allgäu besser an den Fernverkehr anbinden zu können.
Zu Kritiken, dass Wasserstoff knapp bleiben werde und großen Industriebetrieben vorbehalten bliebe, äußert sich Hanke gelassen. Ob sich der Energieträger etwa für Pkws eigne, lasse sich erst in zehn, 15 Jahren seriös beantworten. „Aktuell sehe ich den Fokus klar auf Schwerlastmobilität und Industrieanwendungen“, sagt Hanke. Generell plädiert er für Technologieoffenheit. Zwar sei Wasserstoff derzeit noch etwas teurer als Strom für den Elektroantrieb. Dafür sei die Reichweite deutlich größer. „Ich glaube, wir müssen weg davon, Sachen in Konkurrenz zu sehen“, so Hanke.
Vor 100 Jahren hat Georg Tyczka in Schlesien den Grundstein fürs Unternehmen gelegt
Aus der Unternehmenshistorie heraus sieht sich Tyczka jedenfalls gut gerüstet, um Wasserstoff herzustellen, zu vertreiben, für den Transport zu verdichten und auszuliefern. Dafür stehen dem in dritter Generation geführten Familienbetrieb zwei Binnenschiffsterminals in Mainz und Mannheim, 18 Werke, mehr als 500 Tankfahrzeuge, 220 Schienenkesselwagen für Flüssiggas sowie mehr als fünf Millionen Flaschen für Industrie- und Flüssiggas zur Verfügung. Mehr als 620 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind für die Tyczka-Gruppe tätig, die im Jahr 2022 einen Umsatz von mehr als 500 Millionen Euro verzeichnet hat.
1924, also vor genau hundert Jahren, gründete Georg Tyczka eine GmbH unter seinem Namen und ein Sauerstoffwerk bei Görlitz in Schlesien. Sauerstoff wird etwa zum Schweißen und für weitere Industrieanwendungen verwendet. In den 1930er-Jahren begann das Unternehmen Flüssiggas, das primär bei der Erdöl- und Erdgaserzeugung sowie in Erdölraffinerien anfällt, abzufüllen und zu vertreiben. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Industriegase als Geschäftszweig obendrauf, der heute unter den Namen Tyczka Air Gases firmiert und etwa auch Kältemittel im Portfolio hat. Nach einem kriegsbedingten Neuanfang im bayerischen Schwarzenfeld kam Tyczka während der 1960er-Jahre nach Geretsried. 2015 hat das Unternehmen eine eigene Luftzerlegungsanlage im oberösterreichischen Braunau eröffnet, 2024 ein neues Werk für Spezialgase in Würzburg eröffnet.
Aus landwirtschaftlichen Reststoffen oder organischen Abfällen stammt das biogene Flüssiggas von Tyczka Energy, einer weiteren Sparte der Unternehmensgruppe. „Das biogene Flüssiggas fällt unter anderem als Beiprodukt bei der Produktion von Sustainable Aviation Fuel, einem biogenen Treibstoff für die Luftfahrt, an“, erklärt Hanke. Je mehr Luftfahrtunternehmen dieses nachhaltige Antriebsmittel verwendeten, desto mehr biogenes Flüssiggas werde verfügbar sein, so der Tyczka-CMO. Sein Unternehmen bewirbt dies unter anderem als Alternative zum Heizen in Privathäusern insbesondere in ländlichen Regionen. Laut Hanke können damit die CO₂-Emissionen um bis zu 90 Prozent im Vergleich mit fossilen Energieträgern reduziert werden. Im neuen Gebäude-Energie-Gesetz (GEG) ist biogenes Flüssiggas als erneuerbarer Brennstoff in Neubauten anerkannt.
Ebenso setzt Tyczka zu hundert Prozent auf österreichische Wasserkraft, um seine nachhaltigen Industriegase herzustellen. Den Transformationsprozess voranzutreiben, wird aber wohl kaum im Kurzstreckenlauf zu bewältigen sein, sondern eher einer Art Ultra-Marathon gleichen – und teuer werden. Ein Elektrolyseur wie in Pfeffenhausen koste alleine schon eine zweistellige Millionensumme, sagt Hanke. Er glaubt aber daran, dass man den Energiemarkt nachhaltiger machen kann, mit der richtigen Unterstützung der deutschen und europäischen Politik sowie einer „positiven Grundeinstellung“. Das aber, betont er, gehe nur mit Augenmaß.