Totholz:Totes Holz ist neuer Anfang

Abgestorbene Bäume und Äste sind die Grundlage der Artenvielfalt im Wald - warum der Hirschkäfer darauf angewiesen ist.

Ingrid Hügenell

Ein Baum fällt. Vielleicht durch die Motorsäge eines Waldarbeiters, vielleicht in einem Sturm oder durch einen Blitzschlag. Und dann darf er liegen bleiben, wo er umgefallen ist. Er darf vermodern und so zur Grundlage neuen Lebens werden. Er ist totes Holz, das aber doch lebt. Denn Totholz ist im Wald der Anfang von allem. So sieht es jedenfalls Sarah Weber. Die Ickingerin hat für ihre Biologie-Diplomarbeit erforscht, welche Gliederfüßler sich wie schnell auf Totholz ansiedeln.

Totholz: Sarah Weber untersucht einen Baumstamm darauf, wie schnell sich Insekten auf Totholz ansiedeln.

Sarah Weber untersucht einen Baumstamm darauf, wie schnell sich Insekten auf Totholz ansiedeln.

(Foto: Hartmut Pöstges)

In dieser Gruppe, die wissenschaftlich "Arthropoda" heißt, werden Insekten und Spinnentiere zusammengefasst - geschätzt sind das drei Viertel aller Tierarten im Wald. Sie sind meist klein, fallen sozusagen vor lauter Bäumen nicht sehr auf und spielen doch eine wichtige Rolle. "Durch sie kommt der Pilz ins Holz", erklärt Biologin Weber. Häufig sind das Ambrosia-Pilzarten, welche die Aufgabe haben, das Holz zu zersetzen, so neuen Lebensraum zu schaffen und die Nährstoffe, die im Holz gebunden sind, wieder verfügbar zu machen.

Der Pilz selbst dient den Larven der Gliederfüßler als Nahrung. Von den Larven wiederum ernähren sich andere Insekten, etwa Raubwanzen, aber auch Vögel - einer der bekanntesten ist der Specht - und ebenso Säugetiere wie zum Beispiel Spitzmäuse. Nach und nach entsteht ein Nahrungsnetz, denn die kleinen Tiere sind selbst wieder Beute für größere Arten wie Wiesel und Marder.

Ein Viertel aller Käferarten in Deutschland, weiß Weber, sind in ihrer Entwicklung auf Totholz angewiesen. Wer einen artenreichen Wald will, muss also Totholz zulassen und darf den Wald nicht permanent aufräumen. 115 Käferarten in Deutschland haben es besonders schwer. Sie gehören laut Weber zu den Urwaldrelikten.

Zum Beispiel der Hirschkäfer, eine typische Totholz-Art. Sieben Jahre lebt das Tier als Larve im und vom Holz, bevor es einen Sommer lang als erwachsenes Tier, die Männchen mit dem namengebenden Geweih bewaffnet, über den Waldboden krabbelt. Bis zu zehn Zentimeter lang können Hirschkäferlarven werden, weiß Sarah Weber. Da werden hungrige Spechtküken schnell satt.

Da in einem ordentlich gepflegten Forst aber nicht sieben Jahre lang ein angestorbener Ast oder Stamm herumliegt, hat es der Hirschkäfer heute schwer. Er ist stark gefährdet. Die "Urwaldrelikte" bräuchten laut Weber eigentlich die typischen Phasen, die ein Urwald durchläuft (nach "Waldforschung aktuell - Nachrichten aus dem Zentrum Wald-Forst-Holz", Weihenstephan 2011). In der Reifephase wachsen die Bäume kräftig, das Kronendach ist geschlossen. In der Terminalphase fallen altersbedingt einzelne Bäume aus. Diese Periode dauert in der Dynamik des Waldes am längsten.

Es folgt die Zerfallsphase, in der Altbäume sterben und zusammenbrechen. In den Lücken wachsen schon die ersten jungen Bäume nach. Die vierte Phase ist die Verjüngungsphase, in der ein neuer Wald aufwächst. Laut "Waldforschung aktuell" währt ein solcher Zyklus in einem Buchenwald etwa 250 Jahre. Er findet nicht im ganzen Wald gleichzeitig statt, sondern mosaikartig und kleinräumig, so dass die verschiedenen Phasen nebeneinander zu finden sind.

Der Wirtschaftswald, der Ertrag abwerfen soll, ist aber kein Urwald, und ein Stadtwald, welcher der Naherholung dient, ist es auch nicht. Deshalb streben Förster in aller Regel stabile Wälder an. Fortsamtsrat Robert Nörr, der den Wolfratshauser Bergwald betreut, muss beispielsweise auch darauf achten, dass von dem Wald keine Gefährdung ausgeht. "Die Rechtsprechung ist rigoros, wenn ein Baum jemanden verletzt", sagt er. Bäume, die instabil sind, müssten deshalb gefällt werden.

Wo immer es geht, dürfen abgestorbene Bäume im Bergwald aber stehen bleiben. Dann siedelt sich der Specht an, der sich seine Bruthöhlen in morsche Stämme klopft. Ziehe der Specht aus, folge oft der Sperlingskauz und auf diesen womöglich ein Bienenschwarm, wie Nörr berichtet. Wo es geht, lässt er deshalb auch tote Äste oder Baumstämme liegen. Denn sie bilden geschützte Lebensräume am Boden, geben Tieren Windschutz und Deckung, viele junge Bäume keimen auf, zwischen Totholz besonders gut. "Damit kann man das Manko der Forstwirtschaft ausgleichen", sagt der Förster.

Und noch einen Vorteil haben ausgeprägte und vielfältige Nahrungsnetze im Wald, wie Sarah Weber erklärt. Sie verhinderten, dass bestimmte Arten überhand nähmen, erklärt die Biologin. Etwa der Borkenkäfer, der gerne ganze Fichtenwälder befällt, im Mischwald aber keine Chance hat.

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