Tölzer Prügel:Wie Ötzi auf dem E-Rad

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Einst hatte man in den Bergen noch ein bisschen Ruhe. Nun aber haben E-Mountainbikes das Gipfelstürmen noch massentauglicher gemacht, als es ohnehin schon war

Kolumne von Florian Zick

Dass früher alles besser war, ist inzwischen nachhaltig widerlegt. Heute werden weniger Autos geklaut als früher, weniger Einbrüche begangen, die Wirtschaft brummt, die Lebenserwartung ist so hoch wie nie und wie Harvard-Professoren schon vor gut einem Jahr herausgefunden haben, ist die Weltbevölkerung im Schnitt so gesund und wohlernährt wie noch zu keinem anderen Zeitpunkt in der Menschheitsgeschichte. Eines war früher allerdings tatsächlich besser als heute: Auf den Gipfeln hatte man mehr Ruhe.

Während die Rast auf der Bergspitze bis vor wenigen Jahren noch denjenigen vorbehalten war, die es auch in den Beinen hatten, auf einem Dreitausender zu stehen, hat der technische Fortschritt den Gipfelsturm inzwischen massentauglich gemacht. Auch abseits der Seilbahnen erklimmen die Leute mittlerweile scharenweise die Wanderwege. Auch abgelegene Bergregionen sind nicht mehr sicher vom Touristenansturm. Denn mit den modernen E-Mountainbikes kann man sich selbst bis ins Methusalem-Alter hinein noch viele Anstiege hochtragen lassen. Was man nicht mehr in den Beinen hat, das hat man als Kilowatt eben jetzt im Akku.

Wahrscheinlich schwingt sich bald sogar der Ötzi noch einmal aufs E-Radl. Die morschen Knochen sind ja kein Hindernis mehr. Die Kühe auf der Almwiese werden ziemlich verdutzt schauen. Aber dem lieben Vieh ist die Milch sowieso schon längst sauer geworden, seitdem über ihre Weidegründe eine regelrechte Bergsteiger-Autobahn führt. Links strampelt gerade einer hoch, rechts rauscht einer runter - als Kuh kann einem da ganz schwindlig werden.

Viele Parteien fordern deshalb nun getrennte Wege: Welche für die ehrlichen Bergsteiger und welche für die Gipfelaspiranten mit Elektroantrieb. Aber bitte, was ist das für eine Lösung? Da werden die Berge ja nur weiter zerfurcht. Vielleicht muss man einfach warten, bis der Mensch wieder den Ehrgeiz entwickelt, den Berg aus eigener Kraft zu erklimmen. Es wäre eine Rückbesinnung - und zugleich ein Fortschritt.

© SZ vom 18.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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