Süddeutsche Zeitung

Tölzer Prügel:Wer ist hier völlig bescheuert?

Wer nicht bemerkt, wie aktiv und engagiert Frauen allzeit waren und sind, wird weiter von "Quoten" schwafeln. Und genau deswegen müssen Frauen immer noch protestieren, demonstrieren und in Aktionen weibliche Verdienste herausstellen.

Von Felicitas Amler

Ohmannomann! Ist das denn wirklich heute noch nötig? Müssen Frauen in dieser ach so aufgeklärten und hochzivilisierten Welt immer noch darauf aufmerksam machen, dass es sie gibt? Und immer schon gab. Und dass sie genauso gut oder schlecht, nervig oder liebenswürdig, leistungsstark oder schwach, fleißig oder faul, aufregend oder langweilig - jedenfalls mindestens so bemerkenswert sind wie Männer. Und müssen wir wirklich jedes Mal dazusagen, dass wir einen Anteil von 51 Prozent an der Bevölkerung haben? Dass Mann uns mithin eigentlich gar nicht übersehen kann.

Aber doch, das geschieht heute noch. Allenthalben. In Wolfratshausen müssen im Jahr 2021 - das heißt, sage und schreibe einhundertundzehn Jahre nach dem ersten Internationalen Frauentag - Stadträtinnen demonstrieren gehen, damit jemand merkt: Es gibt unter 185 Straßen in dieser Stadt nur eine einzige, natürlich ganz kleine, die nach einer Frau benannt ist. Und dann setzen einige Leute in den unsozialen Netzwerken noch eins drauf und nennen die Aktion "völlig bescheuert" und das Ansinnen "scheißegal". Etliche fragen geradezu empört, ob Frauen "nichts Besseres zu tun" und "keine anderen Probleme" hätten. Warum sie sich nicht stattdessen um die Pandemie kümmern oder um die Stadtentwicklung, die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit, bezahlbaren Wohnraum, Leben in der Stadt, Verschönerung derselben ...

Witzig, um all dies kümmern sich Wolfratshauser Rätinnen genauso wie jene der Nachbarstadt und vieler anderer Kommunen Sitzung für Sitzung, Jahr für Jahr. Das haben anscheinend einige noch nicht recht wahrgenommen - dass Frauen Politik machen, Corona-Teststationen organisieren, Stadtentwicklung fördern, sich über Sozialwohnungen oder die Attraktivität ihrer Kommune den Kopf zerbrechen. Und da schließt sich der Kreis. Wer nicht bemerkt, wie aktiv und engagiert Frauen allzeit waren und sind, wird weiter von "Quotenfrauen" und "Quotenideen" schwafeln.

Und genau deswegen müssen Frauen immer noch protestieren, demonstrieren und in Aktionen weibliche Verdienste herausstellen. So wie die Frauen des Historischen Vereins, die auf die "Wolfratshauser Weibsbilder" der Geschichte aufmerksam machen. Auf Frauen, die "Besseres getan" haben als manch anderer. Bemerkenswert!

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Quelle:
SZ vom 19.04.2021
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