Süddeutsche Zeitung

Tölzer Prügel:Hürdenbau statt Offenheit

Den Alltagsstress hinter sich lassen, dafür Ruhe und Idylle finden?. Ein Privatinvestor hatte sich das wohl anders vorgestellt

Glosse von Klaus Schieder

Ein Privatinvestor möchte ein naturnahes Hotel bauen, das seinen Gästen die Chance gibt, den Alltagsstress einmal hinter sich zu lassen, Ruhe zu finden, sich in einer Voralpenidylle beim Wandern, Radeln oder einfach auf dem Balkon zu entspannen. Dazu sucht er sich ein Grundstück jenseits des Stadtrands mit traumhaftem Bergblick aus, nimmt nach eigenem Bekunden sein ganzes Vermögen in die Hand und trägt sein Projekt mit viel Enthusiasmus der Stadt vor. In manchen Kommunen wäre man über so jemanden froh. Nicht in Bad Tölz.

In der Kurstadt muss sich ein Bauwerber, der als Unternehmer einen Versandhandel leitete und eine Ferienwohnung führt, von Stadträten öffentlich sagen lassen, dass er ja keine Ahnung vom Hotelgeschäft hat. Er muss sich anhören, dass sein Projekt, gegen das Fachbehörden und Artenschutzprüfer nichts einzuwenden haben, eine wunderbare Landschaft verunstaltet. Er wird mit dem Vorwurf konfrontiert, dass ihm die Stadt ein Filet-Grundstück mehr oder weniger hinterherwerfe, obwohl noch niemand - auch nicht die Skeptiker - den Kaufpreis kennt. Da wird viel spekuliert, auf eigene Faust herumgerechnet, gemutmaßt und sich ereifert. Es nimmt nicht wunder, dass Bad Tölz nach zehn Jahren nervtötender Debatten über ein neues Hotel kaum noch einen Investor in Sicht hat.

Es gab seinerzeit einsichtige Gründe, gegen das große Luxushotel der österreichischen Firma Geiger an der Arzbacher Straße zu sein. Es gab schon weniger gute Gründe, das Hotelprojekt Bichler Hof zu Fall zu bringen. Gegen das Naturhotel von Johannes Tien spricht hingegen wenig bis gar nichts. Selbstredend muss sich die Stadt absichern, dass auf der Wackersberger Höhe auch wirklich ein Hotel entsteht, das Haupthaus und die acht Chalets nicht erst zu Ferienwohnungen und später zu normalen Wohnungen umgewandelt werden. Aber gegen derlei Risiken kann sich die Kommune mit einem städtebaulichen Vertrag absichern, den Bürgermeister Ingo Mehner und die Stadtverwaltung jetzt ein wenig spät ins Spiel gebracht haben. Ansonsten kann ein Naturhotel - gerade in Corona-Zeiten - dem schwächelnden Tourismus in Bad Tölz nur gut tun.

Aber das sehen manche Stadträte anders. Ihnen kommt es anscheinend darauf an, ein solches Projekt zu verhindern, indem sie dem Investor Knüppel zwischen die Beine werfen: Er soll sein Vermögen in einer Bonitätsprüfung offenlegen, er soll eine Bürgschaft leisten, er soll keinen Kuhhandel bekommen, er soll die Landschaft nicht verunstalten, er soll..., er soll... - am besten nichts bauen. Das ist die Conclusio nach zehn Jahren ebenso aufgeregter wie fruchtloser Diskussionen: Man will kein neues Hotel. Aber dann sollte man das auch ehrlich sagen.

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SZ vom 02.11.2020
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