Tölzer Prügel:Hier wiehert der Kunstschimmel

Unsinnige statt kunstsinnige Haftungsfragen in der Wolfratshauser Open-air-Ausstellung

Kolumne Von Felicitas Amler

Echt blöd gelaufen! Das Mädchen kann noch gar nicht lesen. Aber gehen kann es schon, hüpfen und rennen sogar, und das macht ihm einen Riesenspaß. Mit Karacho ist die Kleine gerade unter dem Bauch des Pferds durchgesaust. Jetzt gickert und gackert sie, weil sie das kleine Hindernis mit Bravour gemeistert hat. Dabei hätte das um Himmels willen niemals geschehen dürfen! Aber sie hat das Schild offenbar gar nicht gesehen - und hätte es notabene eben auch nicht lesen können. Wen soll man jetzt zur Verantwortung ziehen? Da kann nur einer helfen: der Verein "Lebendige Altstadt".

Der tut alles, um seinem Namen nur ja keine Ehre zu machen: Allzu lebendig soll's in Wolfratshausen bitte nicht zugehen - und schon gar nicht, wenn sich's um die Kunst dreht. Da steht also dieses überlebensgroße Holzpferd aus der Bildhauerwerkstatt von Hans Neumann im Rathaus-Innenhof. Schlecht platziert, nämlich halbschepps zwischen schmuddeligen eingeklappten Sonnenschirmen, zusammengeschobenem Café-Mobiliar und verwelkten Grünpflanzen in kaputten Terracotta-Töpfen. Aber mit Blick auf den allzeit hier heulenden Bronze-Wolf, was vermutlich eine gewisse Spannung - Tier schaut Tier an - in die Szene bringen soll. Mit angemessener Präsentation von Kunst hat es eher nichts zu tun. Aber sei's drum. Wer sagt denn, dass es bei der Kunstmeile um Respekt vor der Kunst geht? Das Beste kommt ja erst noch.

Das Kunstwerk ist beschriftet. Und zwar nicht, wie es bei konservatorisch sorgsameren Ausstellern üblich ist, mit einem Schild daneben. Nein, dieser Hinweis haftet direkt am Kunstobjekt: "Hans Neumann. Holzbildhauer", und es folgt - nein, nicht der Name des Kunstwerks, sondern E-Mail-Adresse und Telefonnummer. Daneben Schild Nummer zwei: "Berühren verboten". Tackern aber anscheinend erlaubt, denn die DIN-A-4-großen Blätter sind mit vier dicken Klammern ins Holz der Skulptur geheftet. Und sollte nun ein Kindchen kommen und das vermutlich mehrere Zentner schwere Pferd umhauen wollen, es also - Ogottogottogott - berühren, dann weiß die Lebendige Altstadt wiederum Rat: "Eltern haften für ihre Kinder". So steht's geschrieben und angetackert. Möge die Kunst also ihren bürokratisch-juristisch-ordungsrechtlich einwandfreien Verlauf nehmen. Aber bitte nicht lebendig sein.

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